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Hort der Bedrängten

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Dr. O 1 a e c h e a, Erzbischof von V a-1 e n c i a, der vor einem Jahre den für die Sozialpolitik des spanischen Regimes nicht gerade schmeichelhaften Ausspruch tat, „die spanischen Arbeiter fühlen sich als Sklaven und sie sagen es auch“, hat in seinem letzten, im Diöz'esanblatt ven Valencia veröffentlichten Hirtenbrief erneut zur Frage der Lohnpolitik der spanischen Regierung Stellung genommen, in einer Art, wie sie sonst wohl von Würdenträgern der Katholischen Kirche nicht gern angewandt wird. Er verließ nämlich den Boden der gebräuchlichen Empfehlungen und Ermahnungen, drang zu technischen Berechnungen vor und nannte Ziffern. Kurz gefaßt fordert er:

„In meiner Bistumshauptstadt kann das Netto-gehalt, das dem Arbeiter für ihn und seine Familie zusteht (,el salario familiär absoluto'), nicht um einen einzigen Cent niedriger sein als 50 Peseten“ (das sind 30 Schilling).

Und er stellt fest:

„Der Arbeitgeber, der das, 'obwohl er dazu in der Lage ist, nicht tut (das heißt das Mindestgehalt zu zahlen), ist ein schlechter Katholik und ein Helfershelfer des Kommunismus.“

Es ist wohl etwas Außergewöhnliches, daß ein Kirchenfürst in einer Streitfrage, deren Lösung immerhin Sache des Arbeitsministeriums des Landes und der Legislationskörper ist, eine unzweideutige Forderung mit einer festumschriebenen Zahl stellt. Wenn das jetzt in Spanien geschehen ist, so können wir nur sagen, es war allerhöchste Zeit, daß einmal jemand aus dem engen Personenkreis, der sich hier ungestraft in Fragen hören lassen darf, in denen nationales Prestige und politische Empfindlichkeit eine Rolle spielen, so offen sprach.

Die Forderung von 50 Peseten als Mindestlohn für einen ungelernten Arbeiter mit Familie bedeutet eine Lohnerhöhung um hundert Prozent; eine Ziffer, die in all den Jahren, die nun schon die sterile Diskussion um die Reform des Lohnwesens dauert, noch niemand öffentlich zu nennen wagte, weder die Streikführer von 1951 noch die Sozialkomitees der Partei, nicht die Sj'ndikate, nicht die HOAG (Arbeitergruppen der Katholischen Aktion) und auch nicht Arbeitsminister Girön, trotz der dialektischen Akrobatenkunststücke, die er in seinen Reden zu vollführen imstande ist.

Die Minutiosität, mit der der Erzbischof von Valencia in seinem Hirtenbrief das Thema und seine Forderungen unterbaut, mag Menschen in sozial fortschrittlichen oder weitgehend befriedeten Ländern längst überholte Selbstverständlichkeiten mitteilen. Der Erzbischof spricht sie dennoch aus, denn es ist hier nun einmal so: die Werktätigen dieses Landes besitzen keine frei gewählten, unabhängigen Vertreter, denen ausreichende Autorität zugestanden würde, mit Arbeitgebern oder Ministerien von gleich zu gleich zu verhandeln.

Dr. Olaechca nennt in seinem Hirtenbrief zunächst die von Pius XII. formulierten Grundbedürfnisse der arbeitenden Klasse:

„1. Eine gesunde Ernährung, die die Kräfte des Arbeiters, seiner Frau und Kinder erhalte und wiederherstelle.

2. Dezente Kleidung und Schuhwerk für den Arbeiter, seine Frau und Kinder.

3. Menschenwürdige Wohnung für den Arbeiter, seine Frau und Kinder. (Die ständige Wiederholung dieses Details ist vorsorglich und nicht unbeabsichtigt! Der Korrespondent.)

4. .Erziehung und Schule für die Kinder.

5. Vorsorge für Zeiten der Not, Krankheit und des Alters.“

Zur Auszahlung des „absoluten Familiengehaltes“ sei der Arbeitgeber aus folgenden Gründen verpflichtet:

„1. Der Arbeitgeber ist durch sein Gewissen und ,sub gravi' (unter schwerer Sünde) dazu verpflichtet, zumindest jedoch aus Nächstenliebe. Ohne Reue und Vorsatz der Gutmachung kann er von einer hier begangenen Sünde nicht losgesprochen werden.

2. Natürlich verpflichtet ihn dazu der soziale Gerechtigkeitssinn, und der Staat soll und kann daraus, mit der Klugheit, die das Gemeinwohl anrät, durch Gesetzeskraft eine Pflicht machen.

3. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Pflicht dazu sich aus der ,kommutativen Gerechtigkeit' ergibt, weshalb zur Vergebung einer hier begangenen Sünde die Wiedergutmachung notwendig ist.“

Der Bischof erkennt nur einen Grund an, der von der Zahlung des Mindestlohnes befreit: „Die Unmöglichkeit einer Firma, ihn zu bezahlen.“ (Also ihren Bankrott.) Keine Gründe sind:

„1. Der Umstand, daß der Betrieb nicht mehr so viel Einnahmen verzeichnet wie früher, besonders dann, wenn seine früheren Einkünfte übermäßig hoch waren, weil den Arbeitnehmern das ihnen Zukommende vorenthalten wurde.

2. Der Rückgang der Produktion.

3. Die Absicht des Arbeitgebers, sich und seine Familie mit der Weiterführung eines Betriebes über Wasser zu halten, der nicht einmal in normalen Zeiten den Arbeitnehmern den ihnen zukommenden Mindestlohn abwerfen kann.

4. Kein Grund ist vor allem auch die so umstrittene liberale These, hinter der sich so viele verschanzt haben und auch heute noch verschanzen, daß eine Lohnerhöhung als fatale und unausbleibliche Folge eine Preiserhöhung nach sich ziehen müsse ...

5. Auch der sogenannte .gesetzliche Lohn' befreit den Arbeitgeber nicht von der Zahlung des .absoluten Familienlohnes', denn jener ist nichts anderes als eine Minimalgrenze, die der Gesetzgeber gezogen hat unter der Androhung von Sanktionen.“

Anschließend detailliert der Erzbischof die eingehenden Erkundigungen und Studien, die er vornahm, um den Betrag des für einen ungelernten Taglöhner erforderlichen Mindestlohnes zu errechnen.

„Ein sozial gesinnter Arbeitgeber“ errechnete ihm 42,36 Peseten für ein Arbeiterehepaar ohne Kinder. „Ein Fachmann“ errechnete auf der Basis der für ein Ehepaar und zwei minderjährige Kinder notwendigen Kalorien 44,30 Peseten. Die Barmherzigen Schwestern eines Arbeiterheimes gaben 46,73 Peseten an und die Erhebungen eines Sozialbeamten in einer Arbeiterfamilie ergaben 47,44 Peseten. „Bei diesen vier Tabellen müssen wir hervorheben, daß der betreffende Arbeiter niemals rauchen kann; weder er noch seine Frau ge nießen Wein zu den Mahlzeiten (Wein ist kein Luxus, sondern billigstes Volksgetränk in Spanien); niemals erlauben sie sich auch nur die bescheidenste Art von Zerstreuungen; sie gebrauchen keinen Cent im Transportwesen, der

Mann geht zu Fuß zur Arbeit; außerdem habe

sie ein Zimmer zu einem erträglichen Mietpreis. Und sie haben keine Kinder! Wenn wir nicht wollen, daß es in einem christlichen Land so kraß und noch krasser differenzierte Kasten gebe wie in Indien; wenn wir nicht wollen, daß die Lebensbedingungen der Arbeiter sich kaum noch von denen von Sklaven unterscheiden; wenn wir behaupten, etwas von der Brüderlichkeit unter den Menschen zu wissen, müssen wir sagen: Nein!“

“Weitere Stellen aus dem Hirtenbrief:

„Der Arbeitgeber, der den gerechten, absoluten Lohn nicht auszahlt, ist ohne Zweifel ein schlechter Katholik, ein Helfershelfer des Kommunismus, er trägt die Schuld, wenn seine Arbeiter die Religion verabscheuen, die er zu praktizieren vorgibt.“

„Vor Gott befreit ihn von seiner Verpflichtung nicht, daß er die Kirche eifrig besucht; es hilft ihm nichts, wenn er mit seinem Geld oder mit persönlicher Mitarbeit den Klerus oder den Gottesdienst unterstützt. Es hilft ihm nichts, wenn er in gewissen wohltätigen Organisationen Mitglied ist, mögen sie auch noch sosehr gelobt, applaudiert und ausgezeichnet werden. Es hilft ihm nichts, wenn er freigebig ist in Almosen, denn die Barmherzigkeit, welche die Ungerechtigkeit verschleiert, ist keine Barmherzigkeit.“

„Er hat die Verpflichtung, seinen Arbeitnehmern den gerechten Lohn nicht wie ein Almosen hinzuwerfen, sondern er hat ihnen zu sagen, daß er ihnen nur das gibt, was gerechterweise ihnen gehört.“ Es ist bezeichnend, daß Erzbischof Doktor Olaechea diese Normen und Forderungen ausdrücklich für die Hauptstadt seiner Diözese aufstellt. Man kann aus diesem Umstand schließen, daß er vor einem Jahre, als er den so viel Staub aufwirbelnden Ausspruch tat, „die spanischen Arbeiter fühlen sich als Sklaven“, vergeblich auf ein Echo seiner Feststellung aus anderen Bistümern gewartet hat; man kann vermuten, daß er unter Umständen auch in der Metropolitenkonferenz eine entsprechende Adhäsion seiner Amtsbrüder und Oberen vermissen mußte. Darum beschränkte er sich ausdrücklich auf seine Diözese, in der er in der Sorge um das Heil der Seelen der erste Verantwortliche ist.

Die spanische Presse allerdings gibt seinem Hirtenbrief die Bedeutung, die ihm zukommt. Sie nennt ihn „von äußerster Aktualität wegen seiner sozialen Ausstrahlungen“. Darum stellen seine Feststellungen und Forderungen, ungeachtet dessen, daß er sie auf sein Erzbistum beschränkt, einen mutigen Affront gegen den Handelsminister Arburüa dar, der vor drei Monaten Lohnerhöhungen als indiskutabel bezeichnete, einen Affront gegen den Arbeitsminister Girön, der zwar immer für Lohnerhöhungen ist, aber nicht sofort und, wenn möglich, lieber für den Preisabbau (eine bewußt irreführende Haltung, denn die spanischen Marktpreise für Verbrauchsgüter liegen immer noch eine Spanne unter den Weltmarktpreisen). Sie bedeuten auch eine ernste Entgegnung auf die der Unkenntnis entspringenden, maßlos optimistischen Lobsprüche ausländischer Stimmen gegenüber der spanischen Sozialpolitik.

Der bisher übliche Mindestlohn eines ungelernten Arbeiters liegt bei 19 Peseten (13 S). Mit Sozialhilfen und sonstigen Zulagen kann ein Familienvater auf 25 Peseten kommen. Der Erzbischof verlangt also mit 50 Peseten Mindesttagelohn eine reichlich hundertprozentige Lohnerhöhung. Logisch ist es, daß ein Arbeiter oder .Angestellter, der bisher 35, 40 oder 50 Peseten erhielt, alsdann auch Anspruch auf Lohnerhöhung erheben darf, und ein erfahrener Facharbeiter, ein Beamter oder Angestellter in Chefkategorie mit gegenwärtig 80 bis 150 Peseten Tageseinkommen ebenfalls. In der Tat würde eine solche hundert- und hundertundfünfzigprozentige Lohnerhöhung die spanischen Löhne und Gehälter auf das gleiche Niveau der französischen und italienischen, sogar auf das der deutschen Löhne und Gehälter bringen.

Man darf gespannt sein, ob und wie die spanische Regierung, besonders das Handelsministerium, das Ministerium für Industrie und das Arbeitsministerium, zu diesem ungewöhnlichen Vorstoß eines katholischen Erz-bischofs Stellung nehmen werden.

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