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„Das Roamerhaus“ — ein Symbol

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Anläßlich einer von der schweizerischen Europahilfe veranstalteten Studienreise leitender Sozialbeamter Österreichs hatten wir Gelegenheit, das Fabrikheim der Uhrenfabrik Meyer & Stüdeli AG in Solothurn, das seit 1914 besteht und nach dem hauptsächlichen Erzeugnis des Unternehmen , der „Roameruhr“, „Roamerhaus“ benannt wird, zu besichtigen. Die sozialen Einrichtungen des Unternehmens gelten auch in der Schweiz als vorbildlich. Die Seele des Unternehmens ist sein Direktor Ernst Meyer, der seine praktisch erprobten Ideen zur Herstellung des Arbeitsfriedens in der Industrie in vielen Vorträgen vor Arbeitgebern und Arbeitnehmern und in mehrfachen Publikationen, wie „Die Sozialmaßnahmen in der Industrie“ oder „Die Betriebsgemeinschaft, ein Weg zum sozialen Frieden“, weiten Kreisen vermittelt hat. Er geht von dem 6chon von JohannesMeßneraufgestellten Grundsatz aus, daß ohne Mitwirkung des Betriebes ein sozialer Friede nicht errungen werden kann. Denn der Betrieb ist nicht nur das notwendige Mittelglied zwischen Familie und den höheren sozialen Gemeinschaften, sondern er beeinflußt auch weitgehend die Familie, die Berufsstände und den Staat. Meyer sieht in der Betriebs- gemefrischaft, also in der Gemeinschaft aller an einem Produktionsprozeß Beteiligten, den Weg zum sozialen Frieden. Dieser soziale Friede, den er als „Ruhe in der Ordnung" definiert, könne aber nur dort erreicht werden, wo die Grundsätze des Naturrechts und des christlichen Sittengesetzes die Grundlage bilden. Eine wirkliche Betriebsgemeinschaft müsse geistig fundiert sein und setze den guten Willen und das gegenseitige Vertrauen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern voraus: „Arbeitsfreude und Arbeitstreue auf der einen, die Hochhaltung der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Liebe auf der anderen Seite sollen dazu dienen, das Erdreich für die Gestaltung der Betriebsgemeinschaft aufnahmebereit zu machen.“ Die Gesinnung muß im Betrieb so werden, daß der Arbeiter im Unternehmer den fachmännischschöpferischen, weitblickenden und unternehmungsfreudigen Leiter sieht. Der Arbeitgeber aber soll im Arbeitnehmer das Urelement der Produktion erkennen, kostbarer als die teuerste Maschine, „nicht den Arbeiter, sondern den verantwortlichen Mitarbeiter“. Ähnlich wie in EHiisburg haben die rund 1200 Arbeitnehmer des Unternehmens sowohl ein Mitbestimmungsrecht als auch einen Anteil am Gewinn. Die Mitbestimmung wird durch die aus freier, geheimer Wahl hervorgegangene Betriebskommission oder Arbeiterkommission (seit 1936) und durch die Betriebsversammlung ausgeübt. Diese Organe sind die vornehmlichsten Repräsentanten der Betriebsgemeinschaft und haben ein weitgehendes Mitspracherecht in den Fragen der Arbeitszeit, des Arbeitsbeginns und des Arbeitsschlusses, der Ferien, der Altersfürsorge und Betriebsgesundheitspflege und anderen wichtigen Belangen. Sie erhalten einen Überblick über die Geschäftslage und die Leistungen des Produktionsprozesses, können dazu Wünsche und Anträge Vorbringen und Aufklärung verlangen. Auch die Sozialmaßnahmen stehen weitgehend unter der Verwaltung dieser Betriebskommission.

Die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ist in einem eigenen Reglement fest gelegt. Nach Zuweisungen an den allgemeinen Reservefonds wird zunächst den Aktionären eine Grunddividende und der A r- beitnehmerschaft der Tariflohn ausbezahlt. Der Rest des Reinge-w i n n s wird zwischen den Aktionären und der Arbeitnehmerschaft geteilt und stellt für die ersteren eine zusätzliche Risikoprämie und für die Arbeitnehmer eine „Prosperitäts- Zulage" (in Duisburg „Ergebnislohn“) dar. Grundlage für die Berechnung der Prosperitätszulage im einzelnen ist der im abgelaufenen Geschäftsjahre bezogene Arbeitslohn.

Darüber hinaus gewährt das Unternehmen Kinder- und Familienzulagen, Geldbeiträge bei Geburten, Konfirmationen und Erstkommunionen für die Kinder, Herbst- und Weihnachtszulagen und Kurbeiträge. Das Unternehmen hat eine Reihe von E i n- familienhäusern für seine Arbeitnehmer gebaut, die vier bis fünf Zimmer enthalten und außerdem einen großen Garten besitzen. Das Unternehmen gewährt auch für den Bau solcher Häuser zinsenlose Beiträge. Auch eine Alters- und Hinterbliebenenversicherung wurde für die Arbeitnehmer geschaffen, wobei das Unternehmen zwei Drittel der Prämien bezahlt.

Das oberste Ziel des Unternehmens ist, die Betriebsgemeinschaft so zu gestalten, daß die Fabrik, der Betrieb, für den Arbeitnehmer nicht bloß die nüchterne Verdienstgelegenheit bildet, sondern, wie Ernst Meyer sagt, „ein Stück Heimat, mit dem er fest verwurzelt ist". Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl aller, die an dem Produktionsprozeß teilnehmen, wird durch verschiedene kleine Maßnahmen gepflegt. Allen Betriebsangehörigen und ihren Familien wird es möglich gemacht, alle Teile des Betriebes kennenzulernen und an den Fortschritten und Erfolgen mit teilzunehmen.

Als ein Symbol des einträchtigen Zu- sammenstehens und der Verbundenheit aller Betriebsangehörigen, Arbeitgeber- sowohl als Arbeitnehmer, wurde 1914 das Fabrikheim

„Roamerhaus“ eröffnet. Eigentümer ist ein Verein, der sich aus der Arbeiter- und Angestelltenstiftung, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sind, zusammengesetzt. Nach Dr. Meyer ist der Zweck des Roamerhauses, „der ganzen Belegschaft, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und ihren Familien als Heim zu dienen, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Berufsverbundenheit zu stärken und den hygienischen, gesellschaftlichen und ethischen Bedürfnissen aller Werkangehörigen entgegenzukommen“. Es besteht aus drei in sich abgeschlossenen Bauteilen: dem Kinderhaus, dem Haus für die Fabrikfürsorge und der Kantine. Das Kantinengebäude enthält zwei große Speisesäle mit Büfetts und allen Nebenräumen. Im oberen Stock kann der Speiseraum auch als Vortrags- und Demonstrationsraum verwendet werden. Zeitungen, Gesellschaftsspiele und eine Radioanlage stehen für die Freizeit zur Verfügung. Das Kinderhaus enthält im Erdgeschoß Aufenthaltsräume und Schlafräume für Kinder bis zu vier Jahren, im ersten Stock neben dem Raum der Säuglingspflegerin drei Boxen mit Bad, Wickeltischen usw. Auch künstliche Höhensonne und Quarzlicht sind vorhanden. Stillenden Müttern steht ein Stillzimmer zur Verfügung, das sie auch während der Arbeitszeit benützen können. Da9 Haus der Fabrikfürsorge, das die Arbeitsstätte der Fabrikfürsorgerin ist, beherbergt auch einen Kindergarten und einen Schülerhort. Diese Schöpfung, die Unternehmern und Arbeitern zur Ehre gereicht, gehört zu dem schönsten, was wir in der Schweiz an ähnlichen Einrichtungen gesehen haben. Es wäre zu wünschen, daß diese Einrichtung, vor allem der Geist, dem sie ihr Entstehen verdankt und der immer wieder wachgehalten wird, auch bei uns reiche Nachahmung finden würde.

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