Ungerechtigkeiten sind geblieben

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Wie gehen die Parteien mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen für das "Internationale Jahr der Senioren" um? Ein Überblick.

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Wie gehen die Parteien mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen für das "Internationale Jahr der Senioren" um? Ein Überblick.

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Die Furche hat Vertretern der vier Parteien sowie dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie, Martin Bartenstein, einige Grundsätze der Vereinten Nationen für das "Internationale Jahr der Senioren 1999" im Hinblick auf ältere Menschen zur Stellungnahme vorgelegt: 1. Unabhängigkeit: * Ältere Menschen sollten Gelegenheit haben zu arbeiten oder andere Einkunftsmöglichkeiten zu nutzen.

* Ältere Menschen sollten mitentscheiden können, wann und wie schnell sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden wollen.

* Ältere Menschen sollten so lange wie möglich zu Hause leben können.

2. Mitsprache: * Ältere Menschen sollten entsprechend dem kulturellen Wertesystem einer jeden Gesellschaft Betreuung und Schutz durch die Familie und die Gemeinde erhalten.

* Ältere Menschen sollten im Falle ihrer Unterbringung, Betreuung oder Behandlung in einer Institution in den Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten kommen, worunter auch die volle Achtung ihrer Menschenwürde, Anschauungen, Bedürfnisse und persönlichen Sphäre sowie die Einhaltung des Rechts, über ihre Betreuung und die Qualität ihres Lebens selbst zu entscheiden, zu verstehen ist.

3. Würde: * Ältere Menschen sollten ungeachtet ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer rassischen oder ethnischen Abstammung, einer Behinderung oder eines sonstigen Umstandes gerecht behandelt werden und unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Beitrag geschätzt werden.

Der Generalsekretär des österreichischen Seniorenbundes der ÖVP, Wilhelm Mohaupt, sieht die Frage nach den Arbeitsmöglichkeiten für ältere Menschen sehr variabel: es gebe sehr viele Ältere, die froh seien, wenn sie vom Arbeitsmarkt weg sind und ihre "Ruhe" haben. Jene Menschen, die ab einem Alter von 45 aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden, sollten sich nicht auf bestimmte Arbeits- und Einkommensbereiche beschränken. Ein "Anklammern" an die Zumutbarkeitsklausel sei kein geeigneter Ansatzpunkt, um auch in späteren Jahren einen Job zu finden.

Minister Bartenstein sieht - neben der erfolgreichen Sicherung der materiellen Teilhabechancen - in Zukunft die Sicherung der gesellschaftlichen Mitwirkung älterer Menschen als Kernpunkt einer erfolgreichen Seniorenpolitik. Damit die Fähigkeiten älterer Menschen für die Gesellschaft nicht verlorengehen, gibt es seit 1998 die "Bürgerbüros für Jung und Alt", in denen sich Senioren und Seniorinnen für gemeinwohlorientierte Zwecke einsetzen und engagieren können. Den Aktivitäten sind keine Grenzen gesetzt. Sie umfassen unter anderem Besuchsdienste bei alten und kranken Menschen, kurzfristige Kinderbetreuung im Fall der Erkrankung der Betreuungsperson, Schülerlotsen, Hausaufgabenhilfe für Kinder und Jugendliche, Fahrdienst für nicht mehr mobile ältere Menschen ... (Nähere Infos über die "Seniorenhotline" des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie Tel: 0800/24 02 62 - gebührenfrei!). 1998 gab es drei Bürgerbüros in Österreich, 1999 bereits zehn und für das Jahr 2000 sind 20 geplant.

Ehrenamt aufgewertet Karl Öllinger von den Grünen verweist hingegen auf das Pensionsmodell seiner Partei, das allen Personen im Alter eine Grundsicherung zusätzlich zur Sozialversicherungspension garantieren würde. In diesem Pensionsmodell sind Vorschläge enthalten, die auch für ältere Menschen die Möglichkeit schaffen könnten, auch über die Pensionsaltersgrenze hinaus zu arbeiten.

Im "grünen Modell" markiert das einheitliche Pensionsalter (60 Jahre) jene Grenze, ab der jeder Person unabhängig von vorheriger Erwerbstätigkeit eine Grundsicherung zusteht, einerseits weil die Gesellschaft anerkennt, daß ältere Menschen ein Recht auf Ruhestand haben, andererseits, weil die Gesellschaft auch will, daß im Interesse der Erwerbschancen Jüngerer diese Altersgrenze auch eingehalten wird. Öllinger: "Während noch vor einigen Jahrzehnten Lebensalter, Pensionsalter und Arbeitsalter weitgehend zusammenfielen, sind diese Altersgrenzen inzwischen weit auseinandergerückt. In der Arbeitswelt werden zynischerweise Menschen - vor allem Frauen - schon mit 40 bis 50 Jahren als alt betrachtet, während die Lebensaltersgrenze 80 Jahre erreicht hat.

Parallel dazu hat sich das alte Lebensphasenschema entgrenzt: die Erwerbsphase wird immer häufiger von Zeiten einer zumeist unfreiwilligen Arbeitsruhe, sprich Arbeitslosigkeit, unterbrochen, während andererseits etliche Menschen im Pensionsalter noch arbeiten beziehungsweise arbeiten wollen."

Das grüne Modell ermöglicht Menschen über der Pensionsaltersgrenze, unter Verzicht auf die Grundsicherung, aber unter Beibehaltung der Versicherungspension zu arbeiten, beziehungsweise auch Pensionsjahre gegen Zeiten des mit Grundsicherung abgesicherten Ausstiegs aus dem Erwerbsleben (Sabbatjahre) abzutauschen. Die heute bereits zwei Jahre alte "grüne" Forderung, (die im ablaufenden Jahr 1999 nun auch bei anderen Parteien aufgetaucht ist), verlangt außerdem eine altersunabhängige Stellenausschreibung.

Herbert Haupt, Freiheitlicher Pensionistensprecher im Parlament, sieht die Ruhensbestimmungen in einem integrierten System der gesetzlichen Beiträge und der Eigenvorsorge als überholt an. Für die Freiheitlichen wäre es daher auch logisch, daß - unabhängig vom Pensionsalter - unbeschränkt dazuverdient werden könnte.

Was den Wunsch älterer Menschen nach einem möglichst langen Verbleiben zu Hause betrifft, so trifft dies, nach Meinung des ÖVP-Sprechers Mohaupt auf rund 95 Prozent aller Menschen in Österreich zu. Durch das Pflegegesetz ist dies unter Einbeziehung der verschiedenen mobilen Hilfswerke heute großteils auch möglich. Eine Aufwertung der "Ehrenamtlichen" sei aber unumgänglich notwendig, denn wenn Ehrenamtlichkeit bis zur Jahrtausendwende oft nur kurzfristig eingesetzt wurde, so wird sie in den Jahren ab 2000 mit Sicherheit permanent verlangt werden. Eine effiziente Altersversorgung wäre andernfalls unfinanzierbar. Wird eine Pflege im Familienbereich notwendig, so sollte durch das geltende Geldleistungsmodell auch die Absicherung der Pflegenden in Zukunft gewährleistet sein. Das Pflegegeld kann an sie weitergegeben werden und eine menschliche und auf Vertrauen begründete Versorgung älterer Menschen ist möglich.

Alois Pumberger, Freiheitlicher Gesundheitsprecher, fordert im Interesse einer funktionierenden Altenbetreuung die bundeseinheitliche Anerkennung des Berufes von Altenfachbetreuerinnen und Familienhelferinnen, um im Rahmen des Ausbaues der Alten- und Behindertenpflege neue Maßstäbe zu setzen. Die Betreuung und Pflege älterer oder behinderter Menschen stellt heute eine ständig wachsende Herausforderung für die Familienangehörigen dar. Sie werden daher in Zukunft vermehrt eine qualifizierte Unterstützung und Entlastung durch ambulante Dienste brauchen. Nur so könne schließlich der längstmögliche Verbleib älterer Menschen im Familienkreis sichergestellt werden.

Zu wenig Betreuung Bereits heute benötigen 400.000 Österreicherinnen und Österreicher Hilfe und Pflege daheim. Derzeit werden nur 40.000 Österreicherinnen und Österreicher durch mobile Gesundheits- und Sozialdienste betreut, über 80.000 haben jedoch einen dringenden Bedarf an Hilfe und Pflege.

Was die Unterbringung, Betreuung und Behandlung älterer Menschen in Institutionen betrifft, wurde seitens der UNO folgendes gefordert: n volle Achtung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten sowie der persönlichen Anschauungen und Bedürfnisse des einzelnen.

n Achtung der persönlichen Sphäre und die Wahrung des Rechts über Betreuung und Qualität des Lebens selbst entscheiden zu dürfen.

Diese Vorgaben sind für viele Heime und Heimbewohner in Österreich selbstverständlicher Alltag. In Österreich gibt es mehr als 100 mustergültig geführte Heime. Es gibt aber auch immer wieder Meldungen, daß für Kosten von 30.000 bis 40.000 Schilling monatlich hilflose Menschen unwürdig behandelt werden. Es gibt Einrichtungen, in denen die kaufmännische Rentabilität für die Betreiber im Vordergrund steht und bei denen es an Verständnis und Einfühlungsvermögen für die Situation der Betreuten fehlt.

Auch gesunde Heimbewohner haben mitunter kaum die Möglichkeit, mit der Außenwelt zu kommunizieren, zum Beispiel ungestört zu telefonieren, das Heim zu verlassen oder Besucher außerhalb der knappen Besuchszeiten zu empfangen. Heimbewohner-Vertrauensleute gibt es in Österreich nur in sehr wenigen Heimen. Oft fehlt es auch an ausreichend geschultem Pflegepersonal und an einer ordnungsgemäßen Therapie und Rehabilitation.

Heimanwälte Andy Wohlmuth, Sprecher des Pensionistenverbandes der SPÖ, sieht einen Zusammenhang dieser Mißstände mit den stark eingeschränkten beziehungsweise nicht existenten rechtlichen Möglichkeiten der Heimbewohner. Anstelle der derzeit unbefriedigenden Landesgesetze (die in einigen Bundesländern, darunter auch in Wien überhaupt fehlen) fordert der Pensionistenverband ein Bundesgesetz, sowie die Einrichtung von sogenannten "Heimanwälten", die die Rechte aller in Heimen lebender Menschen sichern sollen. Bis zur Schaffung dieser Heimanwälte (ein Ombudsmann nach Art der Patientenanwälte) übernimmt der Pensionistenverband Österreichs diese Funktion. Heimbewohner und deren Angehörige können sich mit Beschwerden und Anregungen schriftlich oder telefonisch an den Pensionistenverband Österreichs, Alserbachstrasse 23, 1090 Wien, Tel 0800/ 20 40 88 (zum Ortstarif) wenden. Der Beschwerdeführer kann auf Wunsch auch anonym bleiben.

Was die Pensionen betrifft, so ist die Situation vor allem für ältere Frauen vollkommen unbefriedigend. Rund 400.000 Frauen in Österreich hatten 1997 keine eigene pensionsrechtliche Absicherung. Von diesen erhielten 230.000 Frauen eine Witwenpension. 160.000 Frauen (das sind 16 Prozent aller Frauen über 60) erhielten 1997 keine eigene Pension und waren auch nicht erwerbstätig. Die absoluten und relativen Zahlen haben sich somit gegenüber dem Jahr 1993 (rund 410.000 Frauen waren damals ohne eigene Pension) de facto kaum verändert beziehungsweise verbessert. Heute geraten besonders jene Frauen in Notsituationen, die durch den Verlust des Partners (Scheidung, Trennung oder Tod) über sehr wenig oder gar kein Einkommen verfügen, weil sie ihre lebenslange Arbeitskraft der Familie zur Verfügung gestellt haben.

Auch das Jahr 1999, das Internationale Jahr der Senioren" geht mit extremen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu Ende. Pensionen von Arbeiterinnen und Bäuerinnen sind nach wie vor äußerst niedrig, denn sie liegen nach wie vor noch immer beträchtlich unter den Richtsätzen für die Ausgleichszulage. Diese niedrigen Pensionen sind zum überwiegenden Teil eine Konsequenz der niedrigeren Erwerbseinkommen von Frauen.

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