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Altersheime sind nur Notlösungen

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„Mit Sechzig kann man noch etwas werden: glücklich”, versprechen Werbebroschüren der Seniorenverei- ni’gungen. „Wenn man nicht mehr der Jüngste ist, ist man noch lange nicht alt” oder „statt Einsamkeit: Gemeinsamkeit!”

Mit diesen und ähnlichen Parolen werden die alten Menschen mit ihren Problemen mehr und mehr ins Rampenlicht öffentlicher Diskussion gebracht. Man liest von „Kindergärten für alte Leute. .Överprotection auch in den Heimen” (Die Presse) oder von „Warteraum zum Himmel” (Solidarität).

Noch vor etwa 20 Jahren waren der alte Mensch und seine Anliegen kein Gegenstand gesellschaftspolitischer Überlegungen. Im Parteiprogramm der SPÖ aus 1958 scheint die ältere Generation gar nicht auf. Erst der „Problemkatalog für das neue Parteiprogramm” berücksichtigt die Alten unter den „benachteiligten Gruppen”.

Grund für diese gesellschaftspolitischen Maßnahmen ist einerseits die Tatsache, daß jeder fünfte Österreicher über sechzig Jahre alt ist und anderseits, daß die Lebenserwartung ständig steigt. In zehn Jahren wird sie bereits zwischen fünfündsiebzig und achtundsiebzig liegen. Beide Großparteien betrachten das Altenproblem als eine „permanente Erscheinung unserer Gesellschaft”, die nach dauerhaften Lösungen verlangt.

Dagegen ordnet die ÖVP im „Salzburger Programm” von 1972 das Alter in .das Kapitel „Neue Verantwortung für den Menschen” ein. Sie will: „… nicht nur eine gesicherte Existenz, sondern auch die weitere Integration in die Gemeinschaft gewährleisten”, sowie „einen stufenweisen Übergang in den Ruhestand”.

Im ÖVP-Plan 2 „Sozialer Fortschritt für alle” heißt die generelle Forderung, daß „die Gesellschaft dem alten Menschen seine humane Würde bewahrt, daß Altem menschlich bleibt”.

„Altersheime sind auch für uns nur Notlösungen”, sagt Johann Scharin- ger, beim Amt der niederösterreichischen Landesregierung, zuständig für Altersheime. Der alte Mensch sollte seinen Lebensabend zu Hause verbringen. Um diesem Ideal möglichst nahe zu kommen, versucht man „domizilorientiert” zu bauen, so daß jeder Bezirk ausreichend Heimplätze zur Verfügung hat. Der alte Mensch soll nicht ganz aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen werden, sondern weiterhin den Kontakt zu seinen Kindern und Freunden pflegen können, erst dann sei er in seinem neuen Heim voll zufrieden.

Das Altersheim als soziale Institution und Angebot der Gesellschaft hat nicht die Privatinitiative des einzelnen Menschen erstickt. Auch heute fühlen sich noch Menschen verantwortlich für ihren Nachbarn. Diese Verantwortungsbereitschaft in konkrete Aktionen im Rahmen der Nachbarschaftshilfe umzumünzen, ist das Land Niederösterreich bemüht.

Frau T. aus Temitz, zweiundsiebzig Jahre alt, ist alleinstehend und schwer nervenleidend. Seit zehn Jahren wird sie von ihrer Nachbarin, Frau K., Mutter dreier Kinder, gepflegt. Diese bereitet ihr die Mahlzeiten, plaudert täglich mit ihr und erledigt ihr die notwendigen Besorgungen. Bettina, ihre neunjährige Tochter, besucht öfters am Tag die „Oma” nebenan. „Meine kleine Tochter tut noch viel mehr, ich verrichte nur die Arbeit”, sagt die Mutter, womit sie vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen meint Auch Frau T. sieht in diesem Mädchen ihre ganze Lebensfreude, wenn sie sagt: „Ich möcht’ noch drei Jahr’ leben, ich hab’ ein Mädel zur Firmung zu führen.”

Ähnlich betreut Frau S. aus Tulln, selbst vierundsechzig Jahre, Freunde oder Bekannte, die bereits bettlägrig sind. Sie kocht, räumtauf, wäscht und bügelt Auch sie arbeitet unentgeltlich, solange sie von den betreffenden Personen jeweils gebraucht wird. Warum? „Ich bin froh, anderen helfen zu können.”

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Es sind „Nachbarschaftshelfer”, die aus Mitmenschlichkeit heraus dort anpacken, wo andere nicht einmal sehen. „Diese Not schreit nicht”, umschreibt Erwine Langhammer, Sozialarbeiterin in der Altenpastoral für Wien, das Problem des alleinstehenden alten Menschen. Die Kirche hat darin ihre große pastoralb Aufgabe erkannt. Sie will die „Arbeit mit durch und für den alten Menschen” fördern. Der alte Mensch soll aktiviert werden. Dadurch könnte das Betreuungsproblem gemäßigt werden. Es genügt nicht Unterhaltung im Rahmen von wöchentlichen Seniorenrunden anzu- vbieten. Vielmehr soll dem alten Menschen bewußt bleiben, daß er noch immer dazu berufen ist Verantwortung mitzutragen. „Dabei dürfen wir nicht mit unseren Vorstellungen kommen”, betont Frau Langhammer, „sondern wir müssen die Menschen nehmen, wie sie sind.” Es dürfen nicht eigene Wertvorstellungen auf den anderen übertragen werden. Das gilt besonders für den Bereich der Sauberkeit. Ein alter Mensch soll nicht mehr umerzogen werden, sondern sich angenommen fühlen.

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