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Endstation Alleinsein?

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"Wen kümmert's, mit wem der Alte spricht?", keine unberechtigte Frage der Caritas Socialis in Wien, wo mancherorts die alleinste-henden, alten Menschen im Stadtbild dominieren.

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"Wen kümmert's, mit wem der Alte spricht?", keine unberechtigte Frage der Caritas Socialis in Wien, wo mancherorts die alleinste-henden, alten Menschen im Stadtbild dominieren.

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Einen Überblick über bestehende Einrichtungen und neue Ansätze zur Hilfestellung für alte Menschen bot vorige Woche eine Dis-kussionsveranstaltung im Wiener Haus der Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis". Zunächst einmal überraschte die Feststellung, daß rund 80 bis 90 Prozent hilfsbe-dürftiger alter Menschen nicht im Altersheim betreut werden, sondern zu Hause. "Die 33 Wiener Pensioni-sten- und Pflegeheime sind übervoll", betonte Elisabeth Fischer vom Ludwig Boltzmann-Institut für Altersforschung, "undnichtein-mal in Lainz ist ein Platz zu bekommen." Bleibt also die Frage, von wem die Hauptarbeit in der Altenbetreuung geleistet wird.

Das Gros der Betreuung liegt bei den vielen freiwilligen und unent-geltlichen Helfern. In erster Linie sind das Familienangehörige, Nach-barn und Bekannte, Mitarbeiter von caritativen Hilfsorganisationen oder Pfarren.

"Diese Menschen leisten eine Arbeit", betont die Familienthera-peutin Anneliese Schigutt, "die wenig bekannt und wenig anerkannt ist." Enorme Leistungen werden mit grenzenloser Selbstverständlichkeit hingenommen, es fehlt die sozialgesetzliche Anerkennung der Pflegearbeit. Viele Frauen haben zwei oder drei Kinder großgezogen und nun sorgen sie auch noch für ihre betagten Eltern. Nach all diesen Jahren, in denen sie Unersetzliches für die Gesellschaft geleistet haben, steht ihnen nicht einmal ein eigener Pensionsanspruch zu.

Bei der Betreuung innerhalb der Familie ist das große menschliche Problem das Alleingelassen werden mit der Pflege: Keine Stunde, kein Abend und kein Wochenende ist frei. Hier sei auf eine Möglichkeit der Entlastung hingewiesen, aufgrund derer sich viele bestimmt eher zu einer Pflege entschließen könnten: Es gibt in Wien die sogenannten Heimhelferinnen.

Die Heimhelferinnen (der Begriff ist etwas mißverständlich, Heim steht dabei für Haushalt, Wohnung) kommen stunden- oder tageweise und übernehmen die Erledigung jener Dinge im Haushalt, die ein alter Mensch nicht mehr selber tun kann. Ideal ist, wenn sich die Betreuung durch Angehörige und durch die Heimhelferin ergänzen.

Elisabeth Fischer weist auf die ebenfalls schlechte soziale Stellung der Heimhelferinnen hin: Viele seien unterbezahlt, nicht angestellt und nicht versichert, ihre Beschäftigung werde nicht als Beruf anerkannt, und bis jetzt wurde nicht einmal die dringendste und am leichtesten durchzuführende Forderung erfüllt, nämlich die an sich selbstverständliche Einbindung der Supervision (gesprächsweise Auf-arbeitung anfallender Schwierig-keiten) in die Arbeitszeit.

Als weitere Einrichtung zur Be-treuung alter Menschen existiert die sogenannte Sozialstation, eine ' Art Vermittlungsstelle für verschiedene Hilfsdienste. Auf telefonische Anfrage kommt eine Kranken-schwester ins Haus, um den Hilfs-bedarf zu erheben, und legt dann die weiteren notwendigen Leistungen fest: Krankendienst, Reini-gungsdienst, Besuchsdienst...

Die Gemeinde Wien betreibt zehn solcher Sozialstationen. Das sei viel zu wenig, meint Elisabeth Fischer und legt Zahlen aus dem internationalen Vergleich vor, denen zufolge eine Sozialstation pro 30.000 Einwohnern eingerichtet' werden müsse; das wären also 40 bis 50 in Wien.

Schließlich gibt noch Tageszentren. Ältere Menschen werden dort den Tag über betreut und verpflegt, finden Gesellschaft und Ansprache, können aber zu Hause wohnen bleiben. Wenn notwendig, werden sie auch von zu Hause abgeholt. Für viele könnte das eine echte Alternative zum Altersheim dar-stellen. In anderen Ländern besteht diese Einrichtung schon seit vielen Jahren. In Wien gibt es erst zwei davon; nach dem oben genannten Schlüssel brauchte man aber zwei pro Bezirk!

Abgesehen davon, daß der Aufbau dieser beiden Formen der Al-tenbetreuung viel zu langsam vor sich gehe, bemängelt Elisabeth Fischer die mangelnde Koordination der bestehenden Einrichtungen. In Wien gäbe er derzeit neben den von privater oder öffentlicher Hand geführten Alters- und Pflegeheimen noch: neun Vereine der offenen Altenhilfe, acht psychiatrische soziale Dienste, acht oder zehn mobile Krankenstationen... Eine Vernetzung der verschiedenen Systeme sei dringend notwendig.

Auch einige Pfarren engagieren sich hier sehr. Ein neues Modell wird etwa in der Wiener Pfarre "Namen Jesu" entwickelt. In der Altenpastoral sorgt eine Pastoralassistentin für die seelsorgliche Betreuung und eine Krankenschwester wird den pflegerisch-medizi-nischen Bereich übernehmen. Ein Team ehrenamtlicher Mitarbeiter engagiert sich ebenfalls: Hausbesuche und Hauskrankenpflege, Aussprache und Glaubensgespräche, Veranstaltungen zur Pflege der Geselligkeit und Fortbildung werden angeboten.

"Wen kümmert's?", hatte die Caritas Socialis gefragt - und tatsächlich zeigt sich, daß es erfreulicherweise eine Reihe privater oder kirchlicher Initiativen gibt, denen das Wohlergehen alter Menschen ein Anliegen ist. Dieser Weg, sich nicht alles vom Staat zu erwarten, sondern selbst initiativ zu werden, ist sicher richtig. Damit kann die Gemeinde aber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden!

Man darf nämlich keinesfalls aus den Augen verlieren, daß sich die Zahl der alten Menschen weiterhin erhöhen wird. Bis zum Jahr 2025 sollen den Prognosen zufolge rund 50 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre oder älter sein. Und die Zahl der betreuungsbedürftigen alten Menschen wird drastisch ansteigen. Welcher Weg der Altenbetreuung soll da eingeschlagen werden?

Es gibt eine Anzahl von Heimen, einige Initiativen - aber alles das erinnert zu sehr an Improvisation. Die große Frage bleibt: Durch welche finanziellen und menschlichen Ressourcen gedenkt man mit dieser Entwicklung zurecht kommen zu können? Dies ist vor allem für Wien ein besonders dringendes Anliegen, wo die Überalterung und die Isola-tion alter Menschen am deutlichsten spürbar ist. Positive Anregungen wären im nahen Niederösterreich zu finden. Dort hat man von Anfang nicht nur auf Altersheime gesetzt, sondern schon vorzeitig eine dezentrale und daher viel flexiblere Betreuung eingerichtet, die es alten Menschen ermöglicht, möglichst lang in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. So gibt es in Nieder-österreich bereits 47 Sozialstationen (gegenüber zehn in Wien).

Dringend geboten erscheint eine breite Offensive für die alten Men-schen. Man darf ihre Lage nicht nur unter dem Blickwinkel der Versor-gung mit dem Notwendigsten sehen.

Geeignete Ansätze müssen die seelischen Bedürfnisse in den Mit-telpunkt stellen. Erforderlich ist eine (auch materielle) Aufwertung der Leistung, die Nachbarschaftshelfer, Familienangehörige oder So-zialarbeiter durch die persönliche Betreuung alter Menschen erbringen.

Die Caritas Socialis veranstaltet in der Zeit vom 30. November bis zum 2. Dezember (jeweils von 9 bis 18 Uhr in der Pramergasse 9, 1090 Wien) ihre traditionelle Weihnachtsschau, bei der eine Fülle von originellen Weihnachtsgeschenken zum Verkauf angeboten werden. Der Reinertrag dieser von vielen freiwilligen Helfern unterstützten Aktion fließt Menschen in Notsituationen zu.

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