Das Land der Freiwilligkeit

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Im Vergleich mit anderen Staaten der Europäischen Union stellt sich die österreichische Bevölkerung als überdurchschnittlich engagiert dar, was ehrenamtliche und freiwillige Mitarbeit an gemeinnützigen Projekten betrifft. Dennoch besteht weiter Bedarf an neuen Helferinnen und Helfern.

Die Familie Pfaderer ist ehrenamtlich engagiert, überdurchschnittlich sogar. Vater Max hilft neben dem Dorfverschönerungsverein auch im Altersheim und bei Greenpeace aus. Seine Frau Vroni, die beiden Kinder und der Familienhund unterstützen in ihrer Freizeit ebenfalls unentgeltlich Institutionen wie die Freiwillige Feuerwehr, den Naturschutzbund oder die Österreichische Frauenföderation für Weltfrieden. 2011 ist das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit, und die Familie möchte so viele Freiwilligenprojekte wie möglich in Österreich und der EU besuchen. Gereist wird per Auto, im Einkaufssackerl oder per Hut - denn die Pfaderers sind Figuren, die von Projekt zu Projekt weitergegeben werden. Ihre Reise wird im Internet dokumentiert (www.familiepfaderer.eu).

"Es geht darum, Leute ins Gespräch zu bringen und mit Organisationen zu vernetzen“, sagt Initiator Philipp Pertl von den Pfadfindern und Pfadfinderinnen Österreich. Die Aktion soll Freiwilligenprojekte abseits der "Blaulichtorganisationen“ Rettung und Feuerwehr ins Zentrum rücken. Auch wenn das Engagement der fiktiven Pfaderers überspitzt sei, stecke "in jedem von uns ein Freiwilliger“.

Hohe Freiwilligenquote in Österreich

Die Bereitschaft zur Freiwilligentätigkeit ist in Österreich tatsächlich sehr hoch. Rund drei Millionen Österreicher sind ehrenamtlich engagiert. Das hohe Engagement zeigte auch eine aktuelle Studie der Fachhochschule Salzburg, bei der 1000 Personen befragt wurden. 44 Prozent der über 15-Jährigen sind ehrenamtlich tätig. Verglichen mit dem EU-Durchschnitt von 23 Prozent gehört Österreich in diesem Bereich neben Großbritannien und Schweden zu den Musterländern der Europäischen Union.

Die Wertschätzung und Aufwertung von ehrenamtlicher Arbeit ist Clemens Steindl, dem Präsidenten des Katholischen Familienverbandes Österreich, als einem der Sonderbotschafter im europäischen Jahr der Freiwilligkeit ein großes Anliegen. Ehrenamtlichkeit definiert er als eine praktizierte Bürgergesellschaft, in der Bürger für sich selbst und andere tätig seien. Steindl unterscheidet die ebenfalls unentgeltliche Familienarbeit, die besonders im Betreuungs- und Erziehungsbereich aktiv ist, vom Ehrenamt, das mit anderen Aufgaben verbunden ist. "Gesellschaft und Staat wären um vieles ärmer, wenn sich nicht täglich oder wöchentlich Millionen von Österreichern freiwillig engagieren“, hebt Steindl die Bedeutung der Freiwilligentätigkeit hervor.

Pro Woche werden hierzulande über 1,7 Millionen Stunden im Bereich Kultur geleistet, zeigt der erste Freiwilligenbericht aus dem Jahr 2009. An zweiter Stelle folgt mit über 1,5 Millionen Stunden die Katastrophenhilfe. Im sozialen Bereich werden 564.689 Stunden pro Woche freiwillig abgeleistet. Zwei Sozialbereiche verzeichneten laut Spendenbericht 2009 nur wenige Freiwillige: Institutionen für obdachlose (siehe "Sinnbild“ über ein ehrenamtliches Projekt, Seite 24) sowie für suchtkranke Menschen.

Die Drogenberatung sei generell ein sensibler Bereich, der Fachkräften vorbehalten ist, wie es aus den Hilfseinrichtungen des Vereins Wiener Sozialprojekte heißt. Dennoch ist auch hier ehrenamtliches Engagement möglich, wenn auch nicht operativ. So verweist Peter Wieser, Leiter von H.I.O.B., einer Anlauf- und Beratungsstelle für Drogenabhängige in Feldkirch, auf derzeit zwei aktive ehrenamtliche Mitarbeiter. Fünf weitere helfen von Zeit zu Zeit aus, wobei diese Leute, so wie die Zivildiener der Vorarlberger Hilfseinrichtung, vor allem den hauseigenen Café-Dienst verrichten.

"Die Zahl der Anfragen ist in den letzten Monaten erfreulicherweise gestiegen“, sagt Wieser. Immer wieder seien Zivildiener der Beratungsstelle erhalten geblieben, da sie die als sinnvoll empfundene Arbeit weiterverfolgen wollten. Im Jahr der Freiwilligkeit versuche seine Institution weitere ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen.

Weit höher ist der Anteil an Freiwilligen in der Behindertenbetreuung oder Altenpflege. Auch für die großen Organisationen wie das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) und die Caritas sind diese Helfer essenziell. So betont Caritas-Präsident Franz Küberl, dass die 27.000 ehrenamtlichen Mitarbeiter eine wichtige Säule seien, ohne deren Mitarbeit es die Caritas nicht gäbe.

Die Bergrettung Tirol ist ob ihrer 4291 Freiwilligen - davon 99 Frauen - stolz, gibt dabei aber zu, ihnen keinerlei Kostenersatz etwa für Anfahrten zum Dienst leisten zu können. Im Fall einer schlimmen Verletzung, einer Querschnittlähmung gar, seien z. B. für medizinische Hilfsmittel Zahlungen aus einer Stiftung vorgesehen, welche freilich nur als sehr bescheiden bezeichnet werden könnten.

Engagement mit sinkender Dauer

Das ÖRK verzeichnet einen stetigen Zuwachs an Freiwilligen. 2009 waren 51.430 davon im Einsatz - im Vergleich zu 5.620 hauptberuflichen Mitarbeitern. Das Volumen an Freiwilligen bleibt stabil, das Engagement verändere sich aber: "Das Commitment, ein Leben lang für eine Organisation beschäftigt zu sein, nimmt ab. Viele sind lieber für Projekte tätig“, sagt Angelika Winter, Pressesprecherin des ÖRK. Dadurch steige aber der Aufwand für die Organisation, da die Freiwilligen ja aus- und weitergebildet würden. Eingebunden werden sollen auch verstärkt ältere Freiwillige, die in der Pension ihre Lebenserfahrung weitergeben sollen, so Winter. Dazu gebe es europäische Initiativen. So sei das ÖRK in das Projekt "Seven-Netzwerk“ eingebunden, einer Plattform zum Austausch älterer Freiwilliger.

Viele ehrenamtlich Tätige hoffen durch ihr Engagement auch auf berufliche Vorteile. Die Organisationen können ihre Freiwilligen mit einem entsprechenden Nachweis unterstützen. Dabei handelt es sich um eine vom Österreichischen Freiwilligenrat zur Verfügung gestellte Mappe, in der die "Freiwilligenkarriere“ gesammelt werden kann. Darin sollen die trainierten Kompetenzen und Stärken des Freiwilligen sichtbar werden. Beigefügt ist einen Vordruck für Stellenbewerbungen.

In der Tat bringt eine freiwillige bzw. ehrenamtliche Tätigkeit im Lebenslauf Vorteile, wie Otmar Hill, Gründer und Präsident der Personalberatung Hill International, erklärt. In erster Linie sei dies für junge Leute ohne Berufserfahrung ein Gewinn, da Arbeitgeber es naturgemäß gerne sehen, wenn sich jemand engagiert. Der Erwerb von "organisatorischen, führungsmäßigen und sozialen Kompetenzen“ liege dabei auf der Hand. Jedoch sehen es viele Unternehmen nicht gerne, wenn dieses Engagement nach Abschluss eines Dienstvertrags weitergeführt wird. So paradox das klinge, sei es doch nachvollziehbar, sagt Hill, da "etwa bei der Feuerwehr oder der Bergrettung eine Absenz- und Verletzungsgefahr besteht“.

"Es kostet nichts außer Zeit“

In seinem Lebenslauf hat auch der 25-jährige Peter Länger sein soziales Engagement vermerkt. Der Slawistikstudent hat gemeinsam mit einem Freund vor zwei Jahren im Rahmen der Sozialinitiative "Concordia 72“ von Pater Georg Sporschill "Oldies 72“ gegründet. Inzwischen ist er für das Projekt hauptverantwortlich. Einmal pro Woche besucht sein Team, das derzeit aus 15 Freiwilligen besteht - davon mehrheitlich Studierende - ältere Menschen. Sie lesen ihren "Oldies“ vor, begleiten sie zum Einkaufen oder zum Arzt. Inkludiert ist aber weder die Verabreichung von Medikamenten noch professionelle Pflege. "Wir machen etwas, das uns nichts kostet außer Zeit und das uns und die Senioren bereichert“, sagt Länger. Er möchte mit seinem Projekt dazu beitragen, die soziale Armut in Wien etwas einzudämmen.

Freiwilligkeit findet nicht zuletzt auch im kleinen, privaten Kreis statt - man denke nur an die zahlreichen Menschen, die einen nahen Angehörigen unentgeltlich pflegen. Für jene, die dafür ihren Beruf (zumindest teilweise) aufgeben müssen, besteht immerhin die Möglichkeit, sich kostenlos in der Pensionsversicherung weiterversichern zu lassen. Allerdings nur, wenn die pflegebedürftige Person Pflegegeld der Stufe III oder höher bezieht.

Im Jahr der europäischen Freiwilligentätigkeit hat sich Österreich viel vorgenommen: So wird neben einem Freiwilligengesetz, dass verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen schaffen soll (siehe unten) auch über eine Kommunale Freiwilligenagenda diskutiert. Darüber können sich die Pfaderers dann bei Familientreffen unterhalten - so werden sie z. B. am Nationalfeiertag den Bundespräsidenten besuchen. Bis Ende Dezember befindet sich die Familie Pfaderer noch auf Reisen.

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