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Digital In Arbeit

Keine „Mädchen in Uniform“!

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Nein, mit Worten wie „Hitler- oder Russenmethoden“ oder „Sie wollen nur billige Arbeitskräfte für ein Jahr“ kann man dieses Problem nicht abtun. Den Arbeitsdienst, ob nun pflichtmäßig oder freiwillig, hat es schon gegeben, bevor noch der Name Hitlers irgendwo genannt wurde. So wurde in Bulgarien bereits 1920 eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht vom 20. bis zum 40. Lebensjahr eingeführt, die die heimische Arbeitskraft organisieren und nutzbar machen sollte. Sie wurde nicht etwa durch überhandnehmende Arbeitslosigkeit, sondern vielmehr durch die Notwendigkeit veranlaßt, die Verwüstungen und Zerstörungen des ersten Weltkrieges wieder gutzumachen. Im Deutschen Reich wurde 1931, also noch vor der Machtübernahme durch Hitler, unter der Regierung Brüning, der freiwillige Arbeitsdienst als eine neue Form der produktiven Erwerbslosenfürsorge und pädagogischen Erziehung aktiviert, dem dann zu Beginn des Jahres 1933 die gleichfalls freiwillige Landhilfe nachfolgte. Beide Organisationsformen der Arbeit verfolgten ausschließlich den Zweck, die heranwachsende Jugend vor den durch langdauernde Arbeitslosigkeit entstehenden Schäden zu bewahren. In der Ersten tschechoslowakischen Republik wurden seit 1934 gleichfalls Versuche mit der Einführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes unternommen, und zwar zunächst von seiten der Gemeinden. So errichteten die Städte Prag, Brünn und Preßburg Arbeitslager; auch der Staat folgte mit einem solchen in dem später so unrühmlich bekannt gewordenen Theresienstadt nach.

Und schließlich hat auch Österreich selbst — das scheint man nämlich bei den Auseinandersetzungen um das

Mädchensozialjahr ganz vergessen zu haben — bereits mit dem Gesetz vom 18. August 1932 dem freiwilligen Arbeitsdienst sein besonderes Augenmerk zugewandt. Auch hier verfolgte er den Zweck, jugendliche, noch nie in den Erzeugungsvorgang eingegliederte Personen vor dem entsittlichenden Einfluß längerdauernder Arbeitslosigkeit zu bewahren. Unbeschränkte Freiwilligkeit der Betätigung war charakteristisch, und durchgeführt wurden nur zusätzliche, gemeinnützige Arbeiten, wie Siedlungsbauten für Arbeitslose, Güterwege zu hochgelegenen Gebirgsdörfern, Wildbachver-bauungen usw. Das Ergebnis: Mit verhältnismäßig geringen Kosten wurde 93 von Hundert dessen geleistet, was sonst nur durch erwachsene, geübte Arbeiter vollbracht wurde.

Von der „Kür“ zur Pflicht

Der dann 1934 in Deutschland für die männliche und weibliche Jugend zwischen 18 und 25 Jahren zur pflichtmäßigen Ableistung öffentlicher Arbeiten eingeführte Reichsarbeitsdienst Hitlerischer Provi-nienz — er dauerte sechs Monate — mißbrauchte den ursprünglichen, gesunden Gedanken des freien Arbeitens im militaristischen Sinn (sogenannte „Wehrertüchtigung“). Eine Erneuerung des freiwilligen Arbeitsdienstes wurde nach 1945 zunächst sowohl in der Deutschen Bundesrepublik als auch in Österreich entschieden abgelehnt, bis dann im August des Vorjahres der westdeutsche Bundesminister für das Wohnungswesen und Präsident des 79. Deutschen Katholikentages zu Hannover, Paul Lücke, den Gedanken eines Sozial Jahres für Mädchen wieder aufgriff und öffentlich zur Diskussion stellte.

Würgender Arbeitskräftemangel

Hatte seinerzeit vor dem zweiten Weltkrieg die damalige würgende Ajbe&slc.sjgkeitden Anlaß zur.Ein-„ führung i des -freiwilligen Arbeitsdien- stes gegeben, so t es jetzt der Mangel an Arbeitskräften, der itiPWiedereinführung drängt. In der Deutschen Bundesrepublik fehlen zur Zeit mehr als 600.000 Arbeitskräfte, und damit ist es auch zu erklären, daß die weniger attraktiven und relativ schlechter besoldeten Berufe, wie der des Pflegepersonals in Krankenhäusern und Altersheimen oder der der Hausgehilfinnen, ohne jeden Nachwuchs ist. Allein in den katholischen Krankenanstalten fehlen 8000 Pflegekräfte, und vielfach mußten bereits Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime geschlossen werden, weil die Kräfte fehlen. Hier forderte nun Minister Lücke zur Erfüllung praktischer Nächstenliebe als große, christliche Aufgabe auf, die zunächst einmal der Frauenjugend zufallen soll. Jedes Mädchen vom 16. bis zum 25. Lebensjahr möge ein Sozialjahr auf freiwilliger Basis ableisten. Es könnte in einer Familie mit kleinen Kindern, in einem Altersheim, in einem Krankenhaus oder Kindergarten oder auch in der Fürsorgearbeit oder einem sonstigen pflegerischen Beruf abgeleistet werden. Die freiwillige Ausübung solcher Dienste würde ihre hauptberufliche Leistung auch wieder „gesellschaftsfähig“ machen. Lücke meinte, daß die Bereitschaft zum Dienen bei der deutschen weiblichen Jugend durchaus vorhanden sei.

Und bei uns in Österreich?

Man tritt übrigens in der Deutschen Bundesrepublik dafür ein, den freiwilligen sozialen Hilfsdienst für Mädchen durch ein Bundesgesetz einzuführen, praktisch aber in die Hand der freien Wohlfahrtsverbände zu legen.

Im September des Vorjahres befaßte sich die Wiener ÖVP-Gemeinderätin Nora Hiltl in einem im ÖAAB-Organ „Freiheit“ veröffentlichten Artikel „Abkommandiert zur Nächstenliebe“ eingehend mit dem Problem des Mädchenpflichtjahres und trat für eine der allgemeinen Wehrpflicht der männlichen Jugend analoge Hilfsdienstpflicht für die weibliche Jugend im zivilen Sektor ein; obwohl Frau Hiltl von Pflicht sprach, sollte das Ganze dennoch auf Freiwilligkeit basieren. Dieser Artikel der „Freiheit“ rief sofort den Vorstand der „Sozialistischen Jugend“ auf den Plan, der er-Wärtd des .Mangel-an Abejtskräft|m in bestimmten weiblfch'efi Berufszweige Jsönne keinesfalls dtnh“,vZwfcngf-ärbeit“, sondern nur durch entsprechende Entlohnung und durch eine allgemeine Aufwertung dieser Berufe bekämpft werden. Dienen im Sinne eines Pflichtjahres hieße nichts anderes, als seine eigene wertvolle Lebenszeit und Arbeitskraft zu verschenken, damit es ein anderer leichter hat. — Über die ideelle Seite des Problems wurde leider nichts gesagt. Und dann kam der „Verband österreichischer Hausfrauen“, der am 1. Februar d. J. im Wiener Palais Liechtenstein sein „Promemoria“ über den Sozialdienst für Mädchen zur Diskussion brachte. Der Vorschlag der Damen war allerdings ziemlich radikal, denn die Mädchen sollten Uniform tragen, kaserniert sein und nur gegen Passierschein Ausgang erhalten. Tagsüber sollten sie in Haushalten, Siechenhäusern und Kinderheimen arbeiten. Diese dem Militärdienst der Jungen analoge Ertüchtigung müßte pflichtmäßig und dürfte keineswegs freiwillig sein. — Daß dieses „Hausfrauenparlament“ mit seinem Vorschlag eine völlige Ablehnung erfuhr und daß es bei der Diskussion darüber ziemlich turbulent zuging, war vorauszusehen gewesen. „Kaffeekränzchen mit Hitlermethoden“, „Dreckputzen für die Gnädige“, „Horts auf mit dem Stuß“ war noch das wenigste, was die so honorigen Damen des Hausfrauenverbandes zu hören bekamen. Die Diskussion über das Pflichtjahr für Mädchen dürfte damit endgültig abgeschlossen sein. Aber wie steht es mit der Freiwilligkeit des Sozialdienstes?

Bei uns in Österreich gibt es bereits jetzt einige hundert junge Mädchen, die gar nicht erst darauf gewartet haben, bis das „Sozialjahr“ eine gesetzliche Regelung findet. So arbeiten im

Wiener Krankenhaus der „Barmherzigen Brüder“ etwa 50 Mädchen des Malteserhilfsdienstes schon seit eineinhalb Jahren freiwillig einen ganzen Sonntag im Monat. Dann gibt es das „diakonische Jahr“ der evangelischen Jugend, und es gibt die Caritas mit ihren Familienhelferinnen. Das sind immerhin verheißungsvolle Anfänge. Und wäre nicht gerade in einer Demokratie ein solcher Dienst an der Gemeinschaft zu begrüßen, der freiwillig von jungen Mädchen in Spitälern, Kinder- und Altersheimen, in kinderreichen Familien und am Land bei der Bauersfrau abgeleistet werden würde? Würde er die Mädchen nicht reifer und verständnisvoller für viel Leid und Armut in der Umwelt machen? Dazu aber sind weder Uniformen, noch Kasernen notwendig, dazu genügt es, die jungen Mädchen nur richtig anzusprechen und an ihr Herz und Gemeinschaftsgefühl zu appellieren.

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