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Der verjüngte Mensch in der Gemeinschaft

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Ein Traum der Menschheit will sich erfüllen: die Verjüngung des Menschen, die Goethe in seinem „Faust“ durch den Hexentrank genial vorgebildet hat, und die Verlängerung seines Lebens. Durch verbesserte Lebensbedingungen und die steigende Kunst der Medizin ist das menschliche Leben heute bereits tatsächlich wesentlich verlängert. In Amerika ist man zum erstenmal auf diese Tatsache gestoßen. Man hat eine Statistik aufgestellt und aus ihr auch Folgerungen für die Zukunft zu ziehen versucht. Danach waren im Jahre 1860 etwa 3%, im Jahre 1920 etwa 5%, im Jahre 1940 etwa 7% über 65 Jahre alt. Man rechnet für das Jahr 1960 mit 10% und 1980 mit 15% Einwohner über 65 Jahren. Diese Alterszunahme kann durch neue medizinische Errungenschaften, wie es bereits die Antibiotica sind (Aureomycin, Chloro-mycetin usw.), noch erhöht werden. Es erfolgt demnach eine Umgruppierung der

Bevölkerung. Man würde also im Jahre 1980 in den Vereinigten Staaten etwa 21 Millionen Menschen von 65 Jahren und darüber haben. Bei der starken Vermehrung der Bevölkerung würde man aber auch einen Uberschuß von 300 Millionen arbeitsfähiger Menschen haben und die Altersgrenze auf etwa 50 Jahre oder weniger herabsetzen müssen. Es gäbe also ein Unzahl von arbeitsfähigen und arbeitswilligen Männern und Frauen, für die kein Arbeitsplatz vorhanden wäre, denen der Lebensunterhalt in vielen Fällen, nahezu immer der Lebensinhalt fehlen würde. Die Lebenslage der heutigen Alters reifen wäre dann die Situation der heutigen Menschen im „besten“ Alter. Da dieses Schicksal jeden einzelnen bedroht, hat in den Vereinigten Staaten eine rege Debatte „On aging“ eingesetzt. An einem Fachkongreß 1950 nahm auch Präsident Truman teil, der, wie die meisten Staatslenker der Nachkriegszeit, den Siebziger überschritten hat. Die Welt ist ja nach dem zweiten Weltkrieg durch die „Alte Garde“ aufgebaut worden, für die eine Ablöse noch nicht vorhanden zu sein scheint.

Wir besitzen in Österreich noch keine ausgebaute Altersstatistik, wissen aber, daß das Lebensalter ansteigt und daß es sehr viele ältere Leute gibt, die mit dem Ausscheiden aus ihrer Arbeit ihren Lebensinhalt verloren haben, Sie finden den Weg zu einer gesunden Tätigkeit nur in seltenen Fällen. Tätigkeit ist aber auch für den älteren Menschen eine Notwendigkeit.

Bei uns scheint für viele, auch jüngere, Menschen die Möglichkeit fruchtbarer Arbeit zu fehlen. Wie sollte sie dann für die älteren Leute vorhanden sein! Nun ist es ja tatsächlich so, daß viel zu wenig organisierte Arbeitsplätze vorhanden 6ind, weil die Mittel nicht für mehr zu reichen scheinen. Darum wird viel weniger Arbeit geleistet, als unserer Erkenntnis und unserem geistigen und sozialen Fortschritt enstpricht. Wir müssen endlich mit der Vorstellung Schluß machen, daß Arbeit und Beruf etwas Feststehendes sind, das sich Generationen hindurch nicht ändert. Es gibt Arbeitsbedarf weit über die organisierte Arbeit hinaus. Hier müßte eine freiwillige Arbeitsarmee eingesetzt werden: die der arbeitswilligen älteren Menschen. Das Handwerk könnte Reparaturwerkstätten für kinderreiche Familien und Bedürftige schaffen, Rentnerinnen, die im Haushalt tätig sind, könnten Familien- und Hauskrankenpflege leisten, ehemalige Lehrer und Fürsorger könnten einen Stab von Mitarbeitern für die Jugendgerichtshilfe und Berufsvormundschaft ergeben und der viel zu überlasteten Fürsorge wichtige Hilfsdienste leisten. Die Heranziehung von Arbeitswilligen und die Organisation der bisher nichtgeleisteten freiwilligen Arbeit wäre Aufgabe von Staat und Kirche. Nur so könnte einerseits notwendige Arbeit geleistet werden, die bisher unterbleibt, und für viele der notwendige Lebensinhalt geschaffen werden. Das würde aber auch im Interesse der Jugend zur Auflockerung des starren Arbeitsschemas führen und einer schöpferischen Berufspolitik den Weg bahnen.

Professor Monroe von der Geriatrie-Klinik der Harvard-Universität empfiehlt die Verbindung von Altersheimen mit einer Art Altersuniversität, um die geistige Spannkraft des Alternden zu erhalten. Wir wissen alle, daß die alten Leute die treuesten Zuhörer sind. Unsere bestehenden Volksbildungsstätten könnten bei der Programmaufstellung auch die besonderen Interessen der Alternden berücksichtigen.

Auf eines dürfen wir nicht vergessen: daß der Mensch als geselliges Wesen die Aussprache mit seinesgleichen braucht. Amerika hat hier durch seine vielen Klubs den älteren Leuten die Möglichkeit gleichgestimmter Geselligkeit geschaffen. Bei uns war das Kaffeehaus ein bescheidener Ersatz dafür. Bei fortschreitender Verarmung der Intelligenz und steigender Teuerung wird man andere Treffpunkte schaffen müssen.

Im ganzen erscheint es von größter Bedeutung, daß die Altersumschichtung endlich auch bei uns beachtet und berücksichtigt wird. Die verbesserten Lebersverhältnisse haben dem Menschen eine Reihe von Jahren der Arbeitsfähigkeit geschenkt, bevor er in das eigentliche hohe Alter eintritt. Diese sollen richtig genützt werden können. Bis jetzt sind sie für viele ein Danaergeschenk, mit dem man nichts anzufangen weiß. Wir müssen den Fortschritt wagen, vom bloßen Pensionsoder Rentenempfang zu neuem freiwilligen Arbeitseinsatz für die gesunden, tatkräftigen Menschen. Er brauchte voraussichtlich nur halbtägig sein. Für Frauen besteht ein Vorbild in dem Ordo viduarum und dem Diakonat der Frühkirche. Witwen über 60 Jahre wurden dort als Gemeindehelferinnen verwendet, und die besten zu weiblichen Diakonen erwählt. Sie erhielten so von der Gemeinde nicht bloß den Lebensunterhalt, sondern auch den Lebens i n h a 11. Heute ist das Fehlen des Lebensinhalts oft die größere Bedrängnis.

Hier ist nur die eine Seite betrachtet. Auch andere Fragen können auftauchen, wie die der geistigen Anpassung an die geänderten Zeitverhältnisse oder das besonders schwere Problem der Generationen, beide oft so quälend, daß über den Alternden ein vorzeitiges Bedürfnis nach Ruhe kommt. So wie schließlich

über den lebenshungrigen Apelles in Wilbrandts .Meister von Palmyra“ die Erkenntnis kommt, daß der Tod nicht als Feind, sondern als Pausanias, als Sorgenloser ihn heimholt aus einer gewandelten Welt, die er ebensowenig versteht wie sie ihn. Das ist die andere Seite der Lebensverlängerung: das Fremdwerden im rasenden Wechsel der Zeit.

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