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Hilfsorganisationen warnen: Die Wirtschaftskrise und Maßnahmen dagegen treffen immer mehr die Ärmsten der Gesellschaft. Wie gegensteuern?

Jana V. war eineinhalb Jahre arbeitslos, bis sie im Stadtbeisl Inigo im ersten Wiener Gemeindebezirk Arbeit als Kellnerin fand. Der Gastbetrieb ist ein sozialökonomisches Projekt der Caritas, das langzeitarbeitslose Menschen bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt. Betroffene können sechs Monate lang den Einstieg in den Berufsalltag trainieren. Für Jana V. ist diese Zeit bereits um. Die 52-Jährige hat nun wenige Optionen: Ein Vollzeitjob kommt für sie nicht in Frage, denn sie hat eine pflegebedürftige 86-jährige Mutter und eine alleinerziehende Tochter mit zwei Kindern. Beide brauchen ihre Hilfe. Eine Halbtagsbeschäftigung ist ebenfalls ausgeschlossen, weil sie dann bei den Pensionsbezügen schlechter gestellt würde. Ein Paradoxon. Also bleibt nur eine Möglichkeit: Sie wird nun eine geringfügige Beschäftigung suchen und Notstandshilfe beziehen. Arm fühle sie sich dennoch nicht. Sie habe ihre Familie, erzählt sie: "Armut schaut anders aus."

Vielen ihrer Kollegen geht es schlechter. Rund 40.000 Österreicher sind derzeit langzeitarbeitslos und armutsgefährdet, exakt 1.029.000 Menschen leben derzeit am und unter dem Existenzminimum. Das geht aus Daten der Europäischen Einkommens- und Lebensstandardstatistik hervor. Die Tendenz: steigend. Die Wirtschaftskrise lässt die Arbeitslosenzahlen vor allem in der Industrie hochschnellen. Immer mehr Menschen sammeln sich am Rande der bei 912 Euro liegenden Armutsgrenze. Besonders armutsgefährdet: Langzeitarbeitslose, alleinerziehende Frauen, kinderreiche Familien, Pensionistinnen. Die Armutszahlen heizen die Diskussion um das Sozialbudget in Österreich an. Denn viele Sozialorganisationen fürchten, dass jene Milliarden, die derzeit zur Stützung der Wirtschaft und der Banken ausgegeben werden, nun ausgerechnet bei den Ärmsten, also im Bereich Soziales, eingespart werden.

Auch das sozialökonomische Projekt "Stadtbeisl Inigo" hätte gerne einen winzigen Teil von den Bankenmilliarden abbekommen: 2007 kürzte das AMS die Förderungsdauer für die Langzeitarbeitslosen: Es werden nun nur mehr sechs Monate Arbeitstraining gefördert, nicht mehr zwölf. Für den Geschäftsführer des Gastbetriebes, Philipp Pannosch, eine nicht zielführende Maßnahme: "Die Menschen, die zu uns kommen, sind im Durchschnitt 40 Monate lang arbeitslos. Sie haben mehrere Hindernisse, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen: Schulden, prekäre Wohnungssituation, mangelnde Deutschkenntnisse und familiäre Pflichten, etwa Kinder. Da sind sechs Monate Projektdauer zu kurz. Nach drei Monaten sollten wir schon anfangen, einen Arbeitsplatz außerhalb des Projekts zu finden. Da haben diese Personen gerade begonnen, sich wieder an den Arbeitsalltag zu gewöhnen, haben sich hier eingewöhnt, haben vielleicht endlich wieder ein Bankkonto eröffnen können, sind gerade leistungsfähig geworden, haben ihre ganzen Sorgen unter Kontrolle gebracht." Sozialökonomische Projekte würden immer mehr unter Druck geraten.

Kritik an AMS-Förderung

Die Österreichische Armutskonferenz ist unter jenen, die am lautesten vor drohenden Einschnitten warnen: Allein bei den Ermessensausgaben des Sozialministeriums sollen an die 300 Millionen Euro zur Einsparung anstehen. "Dass vor allem kleinere dynamische Initiativen um ihre Existenz ringen", fürchtet Martin Schenk, Sprecher der Initiative. Sozialminister Hundstorfer versucht zu beruhigen: "Es wird nicht eingespart." Doch die karitativen Gruppen, unter ihnen Caritas und Volkshilfe sowie die Gewerkschaften, bleiben misstrauisch. Denn der Sparkurs hat bereits voll eingesetzt. Statt einer Erhöhung oder zumindest Valorisierung der Arbeitslosenversicherung kommt: nichts. Finanzminister Josef Pröll sagt Nein. Sozialminister Hundstorfer will die Diskussion zwar erneut ankurbeln (siehe Interview), doch die Erfolgsaussichten sind gering.

Wie sich dieser Sparkurs anfühlt, musste der Verein für soziale Betreuung Niederösterreich-Süd in Wiener Neustadt erleben: Ende des Jahres wird das AMS die Förderung einstellen, die Gelder werden woanders gebraucht. Dennoch ist Vereinsobfrau Eva Eigner zuversichtlich. Sie hofft, dass das Land Niederösterreich finanziell einspringt.

Mindestsicherung: Bitte warten

Am 27. Juli 2008 verkündete der damalige Sozialminister Erwin Buchinger stolz: "Die bedarfsorientierte Mindestsicherung, das soziale Leitprojekt der Bundesregierung, wird trotz Neuwahlen umgesetzt." So geht es Leitprojekten: Kurz nach den Wahlen wurde ruchbar, dass die Regierung das 300-Millionen-Euro-Paket auf 2010 verschieben wird - wegen verzögerter Vorbereitung. Doch die Hilfsorganisationen lassen das nicht gelten. Michael Landau, Direktor der Wiener Caritas: "Die Regierung hatte genug Zeit zur Vorbereitung. Es ist höchste Zeit zu handeln." Von der Mindestsicherung würden nach Angaben des Sozialministeriums rund 270.000 Menschen profitieren, kurios dabei: Buchinger war noch von 400.000 Bezugsberechtigten ausgegangen.

Auch einige Bewohner des Männerwohnheims in Wiener Neustadt hätten von der Mindestsicherung profitieren können. Einige der Männer im Heim sind trotz ihrer schwierigen Lebenslage zuversichtlich, etwa Otto Haderer oder sein Mitbewohner Karl (er will seinen vollen Namen nicht nennen): Beide, um die 50 Jahre alt, verbindet ein ähnliches Schicksal: Zuerst verloren sie den Job, dann die Wohnung, dann drohte die Obdachlosigkeit. Sie fanden Unterkunft im Männerwohnheim und konnten ihr Leben stabilisieren. Maximal ein Jahr darf man im Wohnheim wohnen. Otto Haderer, seit sechs Monaten im Haus, ist optimistisch, bald Arbeit und Wohnung zu finden. Sein Arbeitslosengeld sei ausreichend, ob es auch für eine Wohnungsgründung reicht, bleibt auch für ihn fraglich.

Das Umfeld wird zunehmend schwieriger. Eva Eigner meint dazu: "Wir beobachten die sozialpolitische Lage schon länger. Wir wissen seit zehn Jahren, dass es in diese Richtung geht; unsere Bewohner kennen diese Situation."

Die Zahlen geben der erfahrenen Sozialarbeiterin recht: Die Armen Österreichs verlieren nicht erst seit heute ihren Kampf um mehr Unterstützung. Seit dem Jahr 2000 erlitt das untere Einkommensviertel in Österreich einen Realeinkommensverlust von acht Prozent, während die oberen zehn Prozent ihre Bezüge um mehr als zehn Prozent steigern konnten. Nun fordern Gewerkschaft und NGOs eine Umverteilungsdebatte. Zumindest in diesem Punkt wissen sie sich mit Sozialminister Hundstorfer einig, der seine diesbezüglichen "Pfeile schon nach allen Richtungen hin" aussendet - also vor allem Richtung Vizekanzler Pröll und Bundeskanzler Faymann. Angesprochen scheint sich derzeit aber keiner von beiden zu fühlen.

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