Weiblich, mit Kind, ohne Job

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20 Prozent der Weltbevölkerung teilen sich rund 80 Prozent des globalen Einkommens. Zu diesem privilegierten Teil der Menschheit gehören auch die Österreicher. Trotzdem sind hierzulande 880.000 Menschen armutsgefährdet. Ein Dossier über Formen und Folgen von Armut. Redaktionelle Gestaltung: Claudia Feiertag

Offensichtlich ist es nur bei wenigen. Bei Obdachlosen, die sich nachts unter Brücken mit Pappkartons zudecken. Oder bei Bettlern, die von Passanten ein paar Cent wollen. Der viel größere Teil der Armut zeigt sich jedoch weniger deutlich, ist oft für das Umfeld gar nicht wahrnehmbar.

Als armutsgefährdet gilt, wessen Einkommen niedriger ist als 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Einkommens. Die Schwelle zur Armutsgefährdung liegt also bei 780 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt. In Österreich trifft das auf rund 880.000 Menschen zu.

Kürzere Lebenserwartung

Als akut arm weist die Statistik dagegen jene aus, bei denen zu den beschränkten finanziellen Verhältnissen auch noch Schwierigkeiten bei der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse hinzukommt. Indizien dafür sind etwa das Leben in einer Substandardwohnung, Schulden oder zu wenig Geld, um abgetragene Kleidung durch neue zu ersetzen. Für rund 310.000 Menschen ist diese theoretische Formel der Armutsforschung alltägliche Realität. Die Folgen: Sie sind doppelt so oft krank wie nicht Arme, haben eine um fünf Jahre geringere Lebenserwartung, leiden häufiger unter Stress und haben weniger freundschaftliche und nachbarschaftliche Kontakte. 32 Prozent von ihnen leben in Wohnungen mit undichtem Dach oder feuchten Wänden. Ein Fünftel hat keine angemessene Heizmöglichkeit.

Betroffen sind deutlich mehr Frauen als Männer, mehr Alleinerziehende als Paare, mehr Ausländer als Inländer und mehr Minderjährige und Senioren als Personen im Erwerbsalter. Ein größeres Risiko, zur armutsgefährdeten Bevölkerung zu zählen, haben Bewohne ländlicher Gegenden. In Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern ist das Risiko dagegen vergleichsweise gering, wie der Sozialbericht für die Jahre 2001 und 2002 belegt.

Auch dass Arbeit nicht unbedingt vor Mittellosigkeit schützt, zeigt der Bericht des Sozialministeriums: 180.000 Erwerbstätige im Alter von 20 bis 59 Jahre sind armutsgefährdet, 50.000 sind akut arm.

Häufig zu beobachten sei in den Beratungsstellen das Phänomen des "prekären Wohlstandes", bei dem die Betroffenen nur vorübergehend in einer finanziellen Notlage sind, berichtet Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie Österreich und Mitbegründer der Armutskonferenz: "Gerade bei denjenigen, die knapp über der Armutsgrenze leben, weiß oft das Umfeld nichts von den Geldproblemen. Und sie wurschteln sich auch irgendwie durch. Aber es darf nichts Außergewöhnliches passieren." Ereignisse wie Jobverlust, Krankheit oder Scheidung geben den Ausschlag, dass die Betroffenen unter die Armutsgrenze rutschen. "Die meisten kommen aus dieser Misere wieder heraus, aber 60.000 bis 80.000 schaffen es nicht."

Vor allem Arbeitslosenunterstützung und Notstandshilfe seien in diesen Situationen hilfreich. "Je weniger solche klassischen Versicherungsleistungen die Armutsschwelle absichern, desto weniger Chancen haben Betroffene, wieder Fuß zu fassen", erläutert Schenk. Besonders schwer hätten es Sozialhilfeempfänger, wieder in ein finanziell gesichertes Leben zurückzufinden. Denn der Bezug von Sozialhilfe ist, im Gegensatz zu den erwähnten Versicherungsleistungen, an die Bedingung geknüpft, dass der Empfänger so gut wie nichts Verwertbares besitzt, das nicht zum Leben notwendig ist. Schenk: "Eine alleinerziehende Mutter vom Land, der man auch noch das Auto wegnimmt, hat dann endgültig keine Chance mehr auf einen Job." Dementsprechend stößt auch das Vorhaben der Regierung, die Notstandshilfe in die Sozialhilfe der Länder einzugliedern, bei Schenk auf Ablehnung. "Der Bund erhofft sich Einsparungen, wenn er die Kompetenz für die Sozialhilfe abgibt, die Länder erwarten sich mehr Geld aus dem Finanzausgleich", spekuliert der Sozialexperte über die Motive.

Noch weniger Hilfe

Aber es würden dadurch nur noch mehr Menschen durch die Maschen des sozialen Netzes fallen als bisher, denn: "Auf Sozialhilfe haben Nicht-EU-Bürger keinen Anspruch. Sie sind ohnehin schon vom Armutsrisiko stark betroffen, ihre Situation würde sich dadurch noch deutlich verschlechtern", warnt er.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Internet unter der Adresse www.armutskonferenz.at oder auf der Homepage des Sozialministeriums unter www.bmsg.gv.at

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