Gegen die Armut, für die Gerechtigkeit

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Die EU und ihre Mitglieder starten in das Jahr gegen Armut und Ausgrenzung. Österreich führt die Mindestsicherung ein und debattiert das Transferkonto.

Die Entscheidung liegt schon länger zurück, doch die Krise verlieh dem Thema neue Brisanz: 2010 ist das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Initiativen und Termine sind geplant – und kommen angesichts prekärer werdender Verhältnisse für stets mehr Menschen zwar zeit-, aber nach Ansicht von Kritikern nicht immer sachgerecht.

Die Federführung und politische Koordination aller Aktivitäten liegt beim Sozialministerium. Dessen Chef, Rudolf Hundstorfer, wird am 22. Februar gemeinsam mit Bundespräsident Heinz Fischer und Landeshauptfrau Gabi Burgstaller die Aktionen in Salzburg präsentieren. Das Wichtigste dabei ist die Einführung der Mindestsicherung, nach internen Debatten der Koalitionsregierung nun für den 1. September geplant. Sie wird sich am Richtsatz für die Ausgleichszulage orientieren (für Einzelpersonen derzeit 763 Euro monatlich). Die Mindestsicherung ist bundesweit einheitlich, wird zwölf Mal pro Jahr ausbezahlt, die Länder unterliegen einem Verschlechterungsverbot. Gelder für Heizung und Kleidung werde extra ausbezahlt, daher gibt es keine 13. und 14. Tranche der Mindestsicherung.

Verbesserungen in der Sozialhilfe

Die Abwicklung erfolgt, auch das verbucht man im Sozialministerium als Erfolg, über das AMS und nicht über die Sozialämter. Das ist nicht die einzige Verbesserung im Alltagslos der Sozialhilfeempfänger. Die bisherige Möglichkeit der Regressforderung von Sozialhilfe entfällt, die Empfänger von Sozialhilfe erhalten künftig eine E-Card wie alle Versicherten. Die rund 170.000 Sozialhilfeempfänger mussten für Arztbesuch und Apotheke eigens Scheine besorgen, die Leistungen gesondert abrechnen. Das entfällt und gilt, wie aus dem Hundstorfer-Kabinett verlautet, als „große Erleichterung“.

Einen gründlichen Arbeitsauftrag wählte die Caritas für das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Sie startet die Kampagne „Zero Poverty“, quasi Null-Armut. Gegenwärtig sei man, so Caritas-Präsident Franz Küberl vor wenigen Tagen in Wien, davon weit entfernt: „Wenn man genauer schaut, gibt es in Europa eine ganze Menge Menschen, die ums Überleben zu kämpfen haben.“ In der EU lebten rund 84 Millionen Menschen in Armut, das sind rund 17 Prozent. Jedes fünfte Kind ist laut Eurostat von Armut bedroht. In 20 der 27 Mitgliedsstaaten liegen diese Quoten für Kinder höher als für die Gesamtbevölkerung. Der Armutsanteil in Österreich ist mit zwölf Prozent etwas niedriger als in der EU, verteilt sich je zur Hälfte auf manifest Arme und armutsgefährdete Personen. Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter: 492.000 Menschen befänden sich in Österreich in manifester Armut, das seien um rund 100.000 mehr als noch in Zeiten der Hochkonjunktur. Die erforderlichen Maßnahmen – Mindestsicherung, eine Anlaufstelle für Sozialleistungen, Investitionen zur Armutsprävention etwa im Bildungsbereich – hätten daher rasch zu erfolgen.

Einige dieser Aspekte kamen diese Woche bei der parlamentarischen Enquete „Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit in Österreich“ zur Sprache, bei der über das von Finanzminister Josef Pröll vorgeschlagenen Transferkonto teils leidenschaftlich debattiert wurde.

Für die ÖVP argumentierte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner im Parlament zugunsten des zwei Tage zuvor vorgestellten Modells des Transferkontos. Auf diesem sollten alle Gehaltsbestandteile sowie Steuern und Beiträge mitsamt bezogenen Leistungen dargestellt werden. Dieses Service ermögliche eine bessere Übersicht und schaffe Transparenz, habe zudem eine „Controlling-Funktion“: Damit könnten Schlussfolgerungen über Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit gezogen, die Systemsteuerung gegebenenfalls verbessert werde.

Für die Armutskonferenz – die im Februar in Salzburg ihre nächste große Tagung abhält – meldete Martin Schenk einige Bedenken und Forderungen an. Das Transferkonto sei nicht effizient genug, besser sei es wohl, den „Dschungel“ der Sozialleistungen in den Bundesländern zu lichten. Es sollten all die unterschiedlichen Leistungen aufgelistet und vereinheitlich werden. Eine Forderung, die auch andere Fachleute erheben.

Neue Ordnung im Sozialstaat

So verlangte etwa der Gemeindebund neuerlich, die sozialen Aufgaben der Gebietskörperschaften klar zu ordnen und die vielfältigen Misch- und Ko-Finanzierungen abzubauen. Das deckt sich mit einer sehr zutreffenden Analyse des Journalisten und Publizisten Lutz Holzinger in seinem neuen, im Februar erscheinenden Buch „Das Gespenst der Armut“.

In seiner „Kritik der sozialen Unvernunft“ bemängelt er, Österreich hinke hinter westeuropäischen Standards her, weil der Verfassung ein klares Ziel in der Sozial- und Verteilungspolitik fehle. Für Menschen in Notlagen sei es „überfällig“, nach dem Modell der One-Stop-Shops in anderen Verwaltungsbereichen einfachere Strukturen zu schaffen. Derzeit würden zu viele Klienten, die Unterstützung suchen und die Voraussetzungen dafür erfüllten, von den Institutionen der Armutsbekämpfung „im Kreis geschickt“.

Das Gespenst der Armut

von Lutz Holzinger, Hansjörg Schlechter

Edition Steinbauer 2010

176 S., kart., e 22,50

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