"Wir müssen endlich handeln"

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Der Direktor der Wiener Caritas, Michael Landau kritisiert die Sparpläne der Regierung heftig. Er fordert eine sofortige Umsetzung der Mindestsicherung und ein höheres Arbeitslosengeld.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Michael Landau ist seit 1995 Leiter der Caritas der Erzdiözese Wien. Die Caritas unterhält ein breites Netzwerk von Sozialeinrichtungen, die notleidende Familien und Kinder, Obdachlose, Asylwerber und Flüchtlinge sowie Menschen mit Handicap betreuen.

Die Furche: Die Mindestsicherung sollte schon seit Beginn des Jahres in Kraft sein. Nun wird das Projekt immer wieder verschoben. Was halten Sie von der Rechtfertigung des Sozialministers?

Michael Landau: Es geht nicht an, dass es hier zu immer weiteren Verzögerungen kommt. Hier geht es um nicht weniger als eine nachhaltige Verbesserung für sozial schwache Menschen. Gerade in der wirtschaftlich angespannten Situation darf dieser Mosaikstein nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Die Furche: Wie viele Betroffene gibt es nach Ihren Schätzungen?

Landau: Offiziell ist die Rede von 270.000 Personen, die Anspruch auf die Mindestsicherung hätten. Wie diese Zahl zustandekommt, ist aber unklar. Laut Armutsstatistik leben derzeit 398.000 Menschen in Österreich in akuter Armut, 591.000 gelten als gefährdet, in die Armut abzurutschen. Wenn man sich Prognosen der Experten ansieht, dann wird der Druck wegen der Krise weiter zunehmen, weil die Arbeitslosigkeit und wohl auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigen wird. Aus meiner Sicht ist es jedenfalls grob fahrlässig, auf diese Entwicklung nicht zu reagieren.

Die Furche: Die gegenteilige Entwicklung scheint der Fall zu sein: Die Mindestsicherung wird verschoben, das Arbeitslosengeld nicht angepasst, die Ermessensausgaben des Sozialministeriums sollen gekürzt werden. Damit könnte vielen karitativen Organisationen das Geld entzogen werden. Auf der anderen Seite rechtfertigen manche Politiker die Kürzungen damit, es gebe mit der Absetzbarkeit der Spenden ohnehin einen neuen Anreiz für private Spender. Mehr Privat weniger Staat, das neue Modell für den Sozialbereich?

Landau: Ich warne die Regierung dringend davor, die Not der Menschen zu privatisieren. Von einem funktionierenden Sozialstaat - und Österreich ist ein solcher - darf man erwarten, dass in Zeiten der Not nicht nur für Banken und Wirtschaftsbetriebe Notfallpakete geschnürt werden, sondern auch für Menschen, die deshalb in Armut abrutschen. Die Politik muss die konkrete Realität der Menschen sehen und rasch und wirksam helfen.

Die Furche: Was wären für Sie die vordringlichsten Projekte für das Land?

Landau: Es sind vor allem drei Dinge, die die Regierung zu leisten hat. Erstens: Arbeit schaffen, von der man leben kann - also der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Da bin ich mit dem Sozialminister sehr einig. Zweitens: die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Drittens: den fairen, leistbaren Zugang zu sozialen Leistungen, die alle relevant sind für Armutslagen und soziale Ausgrenzung: Gesundheit, Pflege, aber auch Kinderbetreuung und Schulbildung. Diese Dinge müssen im Auge behalten werden, damit nicht die Schwächsten auf der Strecke bleiben.

Die Furche: Wenn man sich die Struktur der in Sozialprojekten engagierten Menschen ansieht, handelt es sich vor allem um junge, engagierte Aktive. Die Krise könnte also auch die Helfer zu Notleidenden machen, wenn der Sparkurs tatsächlich umgesetzt werden sollte.

Landau: Es ist richtig, dass es gerade jetzt eine große Bereitschaft vor allem junger Menschen gibt, sich zu engagieren. Der Grundwasserspiegel der Solidarität ist hoch. Das ist eine ganz wichtige Ressource. Die Republik wäre gut beraten, diese Menschen und ihre Haltung zu stärken, und nicht zu schwächen. Die Grenzen des Anständigen müssen gerade in dieser Krise neu definiert werden.

Die Furche: Was meinen Sie mit "neu definieren"?

Landau: Wie wird Absicherung für die Schwachen gemeinsam getragen und finanziert? Konkret: Wenn ich das Pflegethema ansehe und weiß, es wird in Zukunft mehr Mittel brauchen als bisher, allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung - dann dürfen vermögensbezogene Steuern kein Tabuthema mehr sein. Man muss fragen: Wie werden unterschiedliche Einkommen gerecht herangezogen, um das gemeinsame Ganze zu finanzieren. Aus kirchlicher Sicht kann man auf das Zweite Vatikanum hinweisen, wo gesagt wurde: Ich darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist. Man muss die Ursachen des Übels bekämpfen.

Die Furche: Im konkreten Fall hieße das auch ein Aufschnüren des Budgets?

Landau: Ich will mich nicht zu einem Aufschnüren des Budgets äußern. Es geht um die Frage der politischen Schwerpunkte. Die Balance ist entscheidend. Es ist natürlich notwendig, auf die Wirtschaft zu achten. Aber gleichzeitig ist es ebenso notwendig, auf die Menschen zu achten. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist hier einiges aus der Balance gekommen. Ich würde gerne ein Zitat der deutschen Bischöfe aufgreifen, die gesagt haben: Die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der sozialen Sicherheit sind zwei Pfeiler einer Brücke, die Brücke braucht beide Pfeiler. Dieses neue Gleichgewicht zu finden, wäre etwas, mit dem Österreich gestärkt aus der Krise herauskommen könnte.

Die Furche: Im Moment hat es aber nicht den Anschein, als ob man auf Sie hören würde. Gerade hat der Finanzminister eine Anpassung des Arbeitslosengeldes abgelehnt.

Landau: Bei den Leistungen des AMS muss die Bemessungsgrundlage entsprechend der Inflation laufend valorisiert werden, weil es sonst zu Realwertverlusten kommt, die vor allem Langzeitarbeitslose treffen. Jeder dritte erwerbslose Haushalt rangiert laut Statistik unter der Armutsgrenze. Dasselbe gilt für Alleinerzieherinnen und kinderreiche, einkommensschwache Familien. Ich sage das auch als Appell an die Länder, die schon Maßnahmen vorziehen könnten, die in der Vereinbarung mit dem Bund bereits beschlossen sind. Der Trend, dass Familien abrutschen, wird sich fortsetzen. Deshalb wird man etwa bei der Arbeitslosenversicherung höhere Nettoraten einführen und ebenso die Zuschläge für Kinder erhöhen müssen. Österreich hat mit 55 Prozent eine extrem niedrige Netto-Ersatzrate im EU-Vergleich. Offen gestanden, hat es jetzt schon mehr als genug Zeit gegeben. Ich warne vor jeder weiteren Verzögerung. Der Druck am sozialen Rand steigt, hier muss die Regierung jetzt endlich Taten setzen.

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