Wann, wenn nicht jetzt, macht die Regierung etwas gegen Armut?

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Grünen-Chefin Eva Glawischnig stellt der Regierung in Sachen Armutsbekämpfung ein schlechtes Zeugnis aus. Es würden grundlegende Maßnahmen gegen Armut fehlen.

Die Grünen haben Armutsbekämpfung zu einem Kernthema des Wahljahres gemacht. Die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig erklärt, was aus ihrer Sicht gegen Armut getan werden müsste.

Die Furche: Frau Glawischnig, die EU hat das Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausgerufen. Wie sinnvoll sind für Sie solche Themenjahre?

Eva Glawischnig: Das ist im Wesentlichen eine symbolische Festlegung. Aber in diesem Jahr findet ein bemerkenswertes Zusammentreffen mit einer realen Situation statt: nämlich mit den härtesten Auswirkungen der Wirtschaftskrise im sozialen Bereich. Ich finde es unverantwortlich, dass dieses Jahr von der Regierung nicht zum Anlass genommen wurde, grundlegende Reformen in diesem Bereich in Angriff zu nehmen. Wenn die Regierung heuer nichts macht, wann dann? Oder will sie akzeptieren, dass 400.000 Menschen in manifester Armut leben.

Die Furche: Ist das, was die Regierung, konkret Sozialminister Rudolf Hundstorfer macht, einfach zu wenig oder geht es grundsätzlich in die falsche Richtung?

Glawischnig: Ich sehe ein gewisses Bemühen. Aber ein ernsthaftes Kämpfen gegen Armut sehe ich nicht. Mittlerweile hat auch die Bevölkerung kein Verständnis mehr. Es macht sich Wut, Empörung und Ohnmacht breit, wenn die Regierung innerhalb weniger Stunden den Banken finanziell hilft, bestimmte Themen aber, wie etwa die Mindestsicherung, über Jahre verschiebt. Das löst auch bei mir eine Empörung aus. Auch aus meiner privaten Situation als Mutter verstehe ich, welche unmittelbare Auswirkung Armut etwa auf Kinder hat. Es gibt Kinder in Wiener Kindergärten, bei denen ich mir sicher bin, dass sie erst im Kindergarten ihre erste Mahlzeit bekommen.

Die Furche: Die Grünen haben Armut zu einem Kernthema gemacht. Wie wollen Sie sich von der SPÖ abheben?

Glawischnig: Da gibt es ein paar wesentliche Unterschiede. Da ist zunächst die Glaubwürdigkeit. Ich habe nichts von einem SPÖ-Sozialminister und Landeshauptleuten, die zwar über die Grundsicherung reden, dann aber de facto etwas beschließen, das sicher kein Netz gegen Armut ist. Die Mindestsicherung, so wie sie jetzt gestaltet ist, wird nicht ausreichen. Sie müsste höher sein. Zudem gibt es für die SPÖ keine armen Unternehmer. Es gibt in Österreich aber 200.000 Menschen, die als Ein-Personen-Unternehmen sehr viel leisten, die aber ein sehr hohes Armutsrisiko haben. Für diese Gruppen wollen wir eine politische Vertretung sein.

Die Furche: Ist für Sie die Mindestsicherung nur zu niedrig angesetzt oder überhaupt falsch aufgestellt?

Glawischnig: Es gibt vom System her Probleme: Dass zuerst das Vermögen liquidiert werden muss, um die Mindestsicherung in Anspruch zu nehmen, ist ausgemachter Quatsch. Dadurch werden Menschen viel länger in der Armutsfalle gebunden. Zudem müssten einige Begleitmaßnahmen folgen.

Die Furche: Was fehlt über die Mindestsicherung hinausgehend an Maßnahmen?

Glawischnig: Ein akutes Problem, das jetzt neu dazukam, ist die Kindergarten-Problematik. Es tritt nun gehäufter auf, dass Menschen, wenn sie arbeitslos werden, entweder die Nachmittagsbetreuung für ihre Kinder verlieren oder dass arbeitslose Eltern überhaupt keinen Platz bekommen, weil Berufstätige bevorzugt werden. Jetzt soll mir einmal jemand erklären, wie du einen Arbeitsplatz bekommst, wenn du keinen Kindergartenplatz hast und umgekehrt. Ein Teufelskreis. Und dann noch der Satz von Finanzminister Josef Pröll, der immer über Leistungsträger redet. Solche Menschen, wie etwa alleinerziehende Mütter, sind Leistungsträgerinnen. Sie zahlen zwar keine Einkommens- und Lohnsteuer, arbeiten vielleicht nur Teilzeit, haben aber zwei Kinder und leisten Unglaubliches.

Die Furche: Es heißt: Armut sei weiblich. Wie müsste hier angesetzt werden?

Glawischnig: Gerade in den klassischen Industrieregionen gibt es viele Familien, wo die Frauen Teilzeit einem Pflegeberuf nachgeht, der Mann Facharbeiter ist. Wenn dann der Mann seinen Arbeitsplatz verliert, lastet auf einmal das gesamte Familieneinkommen auf der Frau, die aber nie adäquat entlohnt wurde. Sie ist von der klassischen Diskriminierung betroffen, dass Frauen einfach weniger kriegen. Jetzt merkt man, dass sich das doppelt auswirkt. Das heißt, Frauenberufe wie in der Pflege, im Kindergarten, in Schulen müssen massiv finanziell aufgewertet werden.

Die Furche: Eine Idee, die von Ihnen diskutiert wird, sind „Bad Banks“ für Privathaushalte. Wie funktioniert das?

Glawischnig: Es ist ein Problem, dass viele Menschen nicht mehr in Privatkonkurs gehen können, weil die Vorgaben zu strikt sind. Diese Menschen wieder vertragsfähig zu machen, ist zwar knifflig, aber da arbeiten wir an unterschiedlichen Modellen, wie man die Schulden aus dem privaten Bereich herausnehmen könnte. Es ist momentan eine extrem dynamische Zeit. Wir müssen manche Dinge hinterfragen, die wir schon seit Jahren vertreten haben.

Die Furche: Welche zum Beispiel?

Glawischnig: Wir haben zum Beispiel früher stark auf Marktwirtschaft gesetzt, etwa im CO2-Emissionshandel. Das Vertrauen in marktwirtschaftliche Systeme ist nun schwer erschüttert. Aber es gibt jetzt die Möglichkeit für neue Regeln. Wir müssen auf eine gemeinsame Lösung für die unterschiedlichen Krisen abzielen: für die Bildungskrise, die Armutsbekämpfung, die Ökologie.

Die Furche: Wäre hier Gerechtigkeit ein grundlegender Begriff?

Glawischnig: Es ist sicher ein Begriff, um den sich viele Lösungen herumranken. Im Prinzip ist auch die Klimakrise eine Gerechtigkeitsfrage. Wenn Hunderttausende Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren und manche sagen: Umweltflüchtlinge interessieren Europa nicht – was ist das anderes als ein massives Gerechtigkeitsproblem?

* Das Gespräch führten Regine Bogensberger und Claus Reitan

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