Brüche mit grünen Tabus

Werbung
Werbung
Werbung

Eva Glawischnig spricht kurz vor ihrer Kür zur Bundessprecherin der Grünen am Bundeskongress über die Kunst und den Sinn, kantiger zu werden, und über ihre harte Bewährungsprobe in einem Jahr mit sieben Wahlen.

Wenn man sich einen Start für ein neues Amt aussucht, dann sicher kein Jahr mit sieben Wahlen", sagt Eva Glawischnig. Tatsächlich sind die Herausforderungen, die vor der bald auch offiziell gewählten Bundessprecherin liegen, groß: Die Partei sucht eine neue Linie in der EU- und Integrationspolitik, was intern für einige Unruhe sorgt.

Die Furche: Frau Glawischnig, warum setzen die Grünen eigentlich schon wieder auf die Formel, kantiger werden zu müssen. Das ist doch schon ein altes Rezept, schon 2005 war in Interviews davon die Rede.

Eva Glawischnig: Also der Begriff selber ist eigentlich irrelevant. Wir haben mit einer großen internen Analyse begonnen. Zentrales Ergebnis dieses Prozesses ist, dass wir in den letzten Jahren eine Art psychologischen Regierungsrucksack getragen haben. Wir haben uns intensiv überlegt, wie wir handeln würden, wären wir in der Regierung. Wir haben Konzepte bis ins Detail ausformuliert, teilweise sehr technisch, mit wenig Emotion, es ist wenig oppositionelles Gefühl angekommen. Das ist die einhellige Analyse. Wir müssen daher von der Sprache her emotionaler, bildhafter, leichter verständlich werden, ohne unpräzise zu sein. Es muss auch klar sein, dass wir eine linksliberale Opposition sind, in einem Parlament, wo ein bedeutsamer Rechtsruck stattgefunden hat, und mit einer Regierung, die sehr reformschwach ist. Da ist die Rolle eigentlich vorgezeichnet: kantige Opposition.

Die Furche: Die ersten Versuche, kantiger zu sein, haben gleich zu Irritationen geführt. Stichwort: EU durch Sie selbst oder Integration durch Ihren Bundesrat Efgani Dönmez.

Glawischnig: Natürlich, aber wir sind beim Diskussionsstart. Ich glaube, dass es einer Partei ganz gut tut, sich selber einmal insgesamt zu hinterfragen. Dass das nicht friktionsfrei abläuft, ist normal. Es wird schwierige Debatten geben, keine Frage.

Die Furche: Es scheint, dass da noch viel Probieren dabei ist, also fast ein pubertäres Verhalten im Gegensatz zu den sehr erwachsenen Jahren unter Alexander Van der Bellen …

Glawischnig: Naja, es ist schon eine besondere Situation. Van der Bellen war elf Jahre Parteichef - das war schon eine Ära. Da ist noch eine Unsicherheit da, wie es wirklich weitergeht. Das ist verbunden mit Warnungen, dass angesichts der Wirtschaftskrise kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Das macht auch unsicher. Daher können wir nicht einfach Rezepte aus der Vergangenheit hernehmen. Auch was die interne Aufstellung angeht, muss man die Dinge neu angehen, offen und innovativ.

Die Furche: Bei all der Unsicherheit - haben Sie Ihren Führungsstil schon gefunden?

Glawischnig: Ab der offiziellen Wahl in einer Woche wird es für mich leichter werden. Dann ist die ganze Führungsebene wieder klar, ab dann richten wir unsere volle Konzentration wieder auf auswärts. Ich habe jetzt viel intern investiert. Es hat auch die Person Van der Bellen mit seiner Strahlkraft sehr viele Lücken und Tabus überdeckt.

Die Furche: Welche Tabus?

Glawischnig: Wir müssen ein paar inhaltliche Bereiche offener diskutieren, da gehört sicher die Integrationsproblematik dazu.

Die Furche: Was wollen Sie in dieser Frage schärfer formulieren bzw. ansprechen, was Sie zuvor nicht angesprochen haben?

Glawischnig: Es geht zuerst einmal um Verständnis für diejenigen, die glauben, Probleme zu haben, etwa in Kindergärten oder Schulen. Wir müssen signalisieren, ja, wir nehmen das ernst; glaubt an unsere Lösungen, vertraut auf unsere Kompetenz.

Die Furche: Diese Bereiche haben die Grünen doch auch schon zuvor angesprochen. Wie wollen Sie das anders thematisieren?

Glawischnig: Offensiver. Und ich möchte in diesem Bereich auch Lösungen. Es muss sich im Bereich Integration in den nächsten fünf Jahren etwas ändern. Ein besonderer Bereich ist der Kindergarten, da haben wir eine neue Positionierung: verpflichtende Kernzeiten ab dem Alter von vier im Ausmaß von zwölf Wochenstunden, die ein Kind im Kindergarten verbringen muss. Kostenlos soll er ab dem ersten Lebensjahr sein. Das von der Regierung vorgeschlagene verpflichtende letzte Kindergartenjahr, halbtags gratis, ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Erkenntnis, dass die Vorschule der Ort ist, wo Sprachkompetenz und Integration maßgeblich vorbestimmt werden, ist bei den Regierungsparteien noch nicht angekommen.

Die Furche: Peter Pilz hat in einem Gastkommentar für den "Standard" vor Weihnachten auch davon geschrieben, dass die grüne "Ausländerpolitik" bei den Inländern geändert werden müsse, die sich oft über die Grünen beklagten, dass diese nur für "Schwule und Ausländer" da seien.

Glawischnig: Ich teile diese These nicht. Bei vielen unseren Wählern und Wählerinnen steht eine integrierte Gesellschaft, das Gemeinsame im Vordergrund. Wir haben, was Einkommen und Bildung betrifft, sicher eine bestimmte Wählerschicht, denen Armutsbekämpfung aber sehr wichtig ist.

Die Furche: Pilz schrieb auch, die Grünen dürften nicht mehr eine Partei der "sozialen und kulturellen Eliten" sein. Wollen Sie neue Gruppen ansprechen?

Glawischnig: Das ist ein bisschen unpräzise. Das, was grüne Wähler maßgeblich bestimmt, ist nach wie vor der Bildungsgrad. Aber ich denke schon, dass es gelingen kann, das, was wir zu bieten haben, einfacher aber trotzdem präzise zu formulieren.

Die Furche: Und wollen Sie auch weiterhin in Zeiten, wo jeder über die Wirtschaftskrise klagt, Themen ansprechen, wie die Gleichstellung Homosexueller?

Glawischnig: Ich glaube, dass sich Gerechtigkeitsfragen - wer sind nach wie vor diskriminierte Gruppen in Österreich - in krisenhaften Situationen sogar weiter verschärfen: Es wird Migranten, Jugendlichen, Frauen und älteren Arbeitnehmern schlechter gehen. Und solche Gerechtigkeitslücken wie die fehlende Gleichstellung werden in der allgemeinen politischen Wahrnehmung an Stellenwert verlieren. Da ist es genau unsere Aufgabe, diese Fragen stärker zu betonen.

Die Furche: Wir stehen vor einem Wahljahr. Wie werden Sie sich aufstellen?

Glawischnig: Es wird sicher für uns ein sehr schwieriges Jahr. Wenn man sich einen Start für ein neues Amt aussucht, dann sicher kein Jahr mit sieben Wahlen, wo man mitten in den Anfangsarbeiten steckt. Ich werde mich besonders stark bei den Landtagswahlen in Kärnten engagieren. Das ist das härteste Bundesland. Aber auch Oberösterreich mit der Regierungsbeteiligung ist sehr wichtig. Und natürlich die Europawahlen.

Die Furche: Welche wird die wichtigste Wahl werden?

Glawischnig: Ich möchte nicht werten. Ich habe eine besondere Verbindung zu Kärnten, weil der Einzug damals in den Landtag maßgeblich von mir mitgetragen wurde. Die Salzburger sind immer schon gut aufgestellt gewesen, die sind schon erwachsen.

Die Furche: Am Ende des Jahres werden Sie wohl Bilanz ziehen müssen, ob diese Strategie des Kantiger-Werdens, aufgegangen ist.

Glawischnig: Ich und wir werden viele Fehler machen, das gehört dazu, wo gearbeitet wird, da fallen Späne. Ich möchte nicht, dass wir als Teil des SPÖ- und ÖVP-Establishments wahrgenommen werden. Wir sind eine politische Alternative zu diesem System. Ob man das durch mehr Kanten sieht, weiß ich noch nicht, wir werden es versuchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung