"Änderungen überlegen wir uns nach der Wahl"

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Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek über grüne Basisdemokratie, Nachmacher in anderen Parteien und das unvermeidliche Thema Peter Pilz. | Das Gespräch führte Martin Tschiderer | Mitarbeit: Mickey Manakas

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Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek über grüne Basisdemokratie, Nachmacher in anderen Parteien und das unvermeidliche Thema Peter Pilz. | Das Gespräch führte Martin Tschiderer | Mitarbeit: Mickey Manakas

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Nach internen Querelen schienen die Grünen im bisherigen Wahlkampf untergetaucht. Im Interview spricht die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek über enttäuschte Wähler, einen "Masterplan" zur Bekämpfung von Fluchtursachen und die Zurufe des "grünen" Bundespräsidenten Van der Bellen.

Die Furche: Frau Lunacek, als Sie als Grüne Spitzenkandidatin vorgestellt wurden, war Ihnen Aufmerksamkeit gewiss. Inzwischen dominieren parteiinterne Konflike und die Liste Peter Pilz die Schlagzeilen. Wie wollen Sie das bis zur Wahl ändern?

ulrike Lunacek: Ich konzentriere mich auf die Themen, für die wir Grüne stehen. Das ist soziale Gerechtigkeit, das sind globale Themen wie faire Handelsbeziehungen. Flucht und Migration gehört dazu und die Frage: Wie können wir die Lebensumstände der Menschen in Österreich verbessern, wenn die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht? Umweltfragen sind für uns natürlich immer wichtig. Ein großer Erfolg der Grünen ist ja, dass heute alle Parteien davon reden, wie grün und umweltfreundlich sie sind. Nur tun sie nicht, was sie ankündigen. Was Peter Pilz angeht: Er hat die Grünen verlassen. Und er hat sich bereits zuvor von der Partei entfernt. Wir haben Hinweise, dass er schon vor dem Bundeskongress Überlegungen zu einer eigenen Liste angestellt hat. Offensichtlich wollte er mit den Grünen, mit denen er groß wurde, mit denen er vor 31 Jahren ins Parlament einzog, nicht mehr arbeiten. Ich habe das bedauert, aber es ist seine Entscheidung.

Die Furche: Pilz war als parlamentarischer Aufdecker ein grünes Zugpferd. Die Trennung kam ausgerechnet in einem Wahlkampf, in dem die Grünen aufgrund des Dreikampfs um Platz eins ohnehin schon Gefahr laufen, unter die Räder zu kommen.

Lunacek: Ich sehe natürlich, dass viele Wählerinnen und Wähler enttäuscht sind. Das Bild, das wir abgegeben haben, hätte auch ich mir nicht gewünscht. Was ich jetzt als Spitzenkandidatin tun kann, ist, das zu vermitteln, wofür ich stehe: eine Politik, die tatsächlich Lösungen für Probleme anbietet - mit innovativen Modellen und auch Mut zu unkonventionellen Lösungen. Wir Grüne haben immer wieder bewiesen, dass wir damit Menschen gewinnen können. Und bei dieser Wahl geht es nicht darum, wer erster wird, sondern darum, welche Mehrheiten sich ausgehen. Ich werde meine ganze Energie und Erfahrung dafür einsetzen, dass wir Grüne so stark werden, dass Mehrheiten jenseits der FPÖ möglich sind.

Die Furche: Die Wahrnehmung Ihrer Partei war zuletzt aber auch abseits von Peter Pilz nicht gerade optimal. Der Rauswurf der Jungen Grünen, der Streit um das Hochhaus am Wiener Heumarkt, Auflösungstendenzen bei den Kärntner Grünen -ist dieses Gesamtbild vor einer entscheidenden Richtungswahl nicht fatal?

Lunacek: Ich finde es schon manchmal erstaunlich, wie schwierig es ist, positive Inhalte zu transportieren: das, was wir in den vergangenen Monaten erreicht haben und nicht nur Konflikte und Schwierigkeiten. Wir haben zuletzt im Nationalrat drei Dinge durchgesetzt, für die es lange keine Mehrheiten gab: Die Bildungsreform, die Uni-Milliarde und die Ökostrom-Novelle. Es wird wieder in erneuerbare Energie investiert, dadurch entstehen neue Jobs. Auch in den sechs Landesregierungen mit grüner Beteiligung haben wir viel Positives umgesetzt. Ich bin jemand, der in den Vordergrund stellt, wofür wir stehen und was wir umsetzen. Insofern hoffe ich, dass uns das in Zukunft auch wieder besser gelingt.

Die Furche: Das Bild der Zerstrittenheit hat auch mit der grünen Basisdemokratie zu tun -ein Prinzip, das auf die 1980er-Jahre zurückgeht, als man erstmals ins Parlament einzog. Gibt es Bestrebungen, das System an die Gegebenheiten einer Partei anzupassen, die immerhin in sechs von neun Landesregierungen sitzt?

Lunacek: Wir sind Österreichs einzige Partei, die ihre Listen mit diesen demokratischen Strukturen erstellt: Es werden Delegierte aus den Bundesländern gewählt, die dann über die Kandidaten für die grüne Liste abstimmen. Das System ist also sehr repräsentativ. Jetzt stehen wir im Wahlkampf. Ob oder wann wir etwas daran ändern, überlegen wir uns also nach dem 15. Oktober. Aber an eines möchte ich schon erinnern: Dass der Chef der angeblich neuen ÖVP, Sebastian Kurz, ein Durchgriffsrecht auf alle Listen hat, wäre in Deutschland verboten. Dort legt die Verfassung fest, dass Parteien ihre Listen in demokratischen Versammlungen wählen müssen.

Die Furche: Alexander Van der Bellen sagte kürzlich, in seiner Zeit als Parteivorsitzender habe man sich bemüht, die grünen Strukturen zu überarbeiten. Mit seinem Rücktritt sei das "leider eingeschlafen". Was sagen Sie dazu?

Lunacek: Auch ich war in dieser Zeit dabei und habe die Prozesse miterlebt. Tatsache ist: Uns ist es damals mit Alexander Van der Bellen nicht gelungen, Strukturen zu überarbeiten.

Die Furche: Den Grünen wurde zuletzt oft vorgeworfen, ihr Hauptinhalt sei, gegen die FPÖ zu sein. Welche eigenen Themen wollen Sie im Wahlkampf einbringen?

Lunacek: Die klare Haltung gegenüber den Freiheitlichen ist uns wichtig. Wir sind die proeuropäischste Partei Österreichs und der Gegenpol zu rassistischen und hetzenden Tendenzen der FPÖ. Ein zweiter wesentlicher Punkt ist soziale Gerechtigkeit. In den Siebzigerjahren gab man etwa noch 20 bis 25 Prozent seines Einkommens für Wohnen aus, inzwischen ist es oft mehr als die Hälfte. Gerade für Menschen an der Armutsgrenze, für Alleinerzieherinnen oder kinderreiche Familien geht sich das nicht mehr aus. Deshalb wollen wir Mietzins-Obergrenzen und einen Mindestlohn von 1750 Euro. Zur Gegenfinanzierung sollte es eine Erbschafts- und Schenkungssteuer mit einem Freibetrag von 500.000 Euro geben. Bei arbeitslosem Einkommen einen Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu leisten, halte ich für zentral.

Die Furche: Außenminister Kurz fordert immer wieder Grenzkontrollen am Brenner, solange die Mittelmeerroute nicht "geschlossen" sei. Wie sehen Sie die Thematik?

Lunacek: Kurz reitet auf der antieuropäischen Populismuswelle. Er produziert Schlagworte, bietet aber keine Lösungen. Experten sagen: Es ist nicht möglich, das Mittelmeer zuzusperren. Das ist eine Grenze von 5500 Kilometern. Wir brauchen einen Masterplan, müssen Fluchtursachen bekämpfen. Das heißt etwa: Keine Waffenexporte an kriegführende Länder. Auch Österreich hat 2016 noch über 30.000 Kleinwaffen an Saudi-Arabien geliefert, das Krieg im Jemen führt. Dann braucht es legale Möglichkeiten, Asyl über Botschaften zu beantragen und schnellere Asylverfahren. Die offene Brenner-Grenze ist ein Symbol für den Frieden in Europa. Eine Drohung mit Panzern und dem Schließen der Grenze, bevor auch nur ein Flüchtling in der Nähe ist, ist Angstmache.

Die Furche: Eine Verteilung von Flüchtlingen in der EU gerät zunehmend außer Reichweite. Wäre es nicht wichtig, in Libyen anzusetzen, um Italien zu entlasten, das heuer bereits 85 Prozent der Mittelmeer-Flüchtlinge aufnahm?

Lunacek: Viele libysche Lager sind in den Händen von Warlords, die teils sogar als Küstenwache agieren und von der EU mitfinanziert werden. Dort gibt es Massenvergewaltigungen, Menschen werden zusammengepfercht und den ganzen Tag eingesperrt. Das ist menschenunwürdig. Das dürfen wir uns als EU nicht leisten. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen in den Herkunftsländern menschenwürdig leben können.

Die Furche: Spitzenpolitiker werden dieser Tage traditionell nach ihren Urlaubsplänen gefragt. Was halten Sie eigentlich von diesem Usus? Schließlich blickt man ihrem Berufsstand besonders auf die Finger, was zu "geschönten" Antworten drängen könnte.

Lunacek: Uns muss bewusst sein, dass wir öffentliche Personen sind. Will man das nicht, lässt man besser die Finger von Politik. Pausen und Urlaube halte ich aber auch bei Politikern für legitim. Denn wenn man unseren Beruf ernst nimmt, hat man darin viel Arbeit. Menschen brauchen auch Zeiten, in denen sie sich nur mit den engsten Leuten umgeben. Durch all die technischen Geräte ist man heute aber ohnehin nirgends mehr völlig abgekoppelt.

Die Furche: Und wo urlauben Sie, bevor der Wahlkampf in seine intensive Phase startet?

Lunacek: Ich mache gerne Urlaub in Österreich. Heuer bin ich aber in Kanada und den USA, wo seit sechs Jahren meine Nichte lebt. Bis jetzt habe ich sie noch nie besucht.

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