"Ohne uns passiert Radikalität nicht"

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Ulrike Lunacek, die EU-Spitzenkandidatin der Grünen, über eine europäische "grüne Revolution", die Nähe zur Basis und ihr Vorbild Thomas Bernhard. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Ulrike Lunacek über den national geprägten EU-Wahlkampf, ihren Aktionsplan gegen die Wirtschaftskrise und ihr Verhältnis zu Thomas Bernhard.

Die Furche: Auf Ihren Plakaten sind Sie als moderne Verkörperung der revolutionären Freiheit zu sehen. Das Sujet ist einem Bild von Eugéne Delacroix nachempfunden, auf dem die Freiheit das Volk über ein von Leichen übersätes Schlachtfeld führt.

Ulrike Lunacek: Das ist nicht die Symbolik unseres Wahlkampfs.

Die Furche: Sondern?

Lunacek: Wir wollen mit ein wenig historischer Ironie eine Volksbewegung von 1830 auf heute übertragen. Damals ging es darum, die Werte der Revolution zu verteidigen. Heute geht es um eine friedliche Revolution und darum zu symbolisieren, dass wir die Menschen auch mitnehmen wollen, weil es notwendig ist, wieder für Europa zu begeistern.

Die Furche: Begeistern für welche Art von Revolution?

Lunacek: Die EU hat bereits mehrere Bewährungsproben hinter sich, zuletzt die Erweiterung. Die aktuelle Bewährungsprobe besteht darin, die Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu revolutionieren und in Richtung sozialer Gerechtigkeit. Wir müssen aus dieser Krise lernen, sonst haben wir das Gleiche in fünf bis zehn Jahren wieder - vielleicht noch schlimmer. Deshalb haben wir das Modell eines grünen New Deal entwickelt, mit dem fünf Millionen "grüne" Jobs in den kommenden Jahren geschaffen und 500 Milliarden Euro in erneuerbare Energie investiert werden.

Die Furche: Hannes Swoboda, der Spitzenkandidat der SPÖ, kritisiert, Ihr Konzept stelle nicht die Arbeitsplätze in den Mittelpunkt.

Lunacek: Dann hat er es offenbar nicht gelesen. Wir haben alles mit Wirtschaftsexperten durchgerechnet. Das sagen ja nicht nur die Grünen. Auch die UNO spricht vom grünen New Deal, also von Investments in grüne Wirtschaft.

Die Furche: Ist das nicht auch ein Problem? Vom UN-Generalsekretär bis zur Kapitalismus-Postille "Fortune" - alle fordern eine grüne Revolution. Was ist daran noch original oder originell grün?

Lunacek: Also gerade im österreichischen Wahlkampf sind wir die Einzigen, die von einem grünen New Deal sprechen. Auch europaweit sind wir die Einzigen, die ein solches Konzept der Nachhaltigkeit entworfen haben.

Die Furche: Von nachhaltiger Entwicklung ist in so ziemlich allen Schlussfolgerungen von Europäischen Räten seit 1999 die Rede.

Lunacek: Das weiß ich schon. Nur umgesetzt wird es nicht in der Radikalität, die heute notwendig wäre. Ohne uns passiert diese Radikalität nicht. Wir sind die Einzigen, die dieses Konzept konkretisiert haben bis ins kleinste Detail, bis zur Energieeffizienz von Haushaltsgeräten. Die Kommission und der Rat tun da zu wenig.

Die Furche: Sie vertreten innenpolitisch umstrittene Standpunkte. Etwa mit ihrer Zustimmung zur neuen EU-Asylrichtlinie, die die sozialen Ansprüche der Betroffenen erheblich ausweiten würde.

Lunacek: Die Richtlinie setzt Menschenrechte um: Keine Schubhaft für unbegleitete Minderjährige, die Möglichkeit, nach sechs Monaten arbeiten zu können. Das würde Schwarzarbeit und Kriminalität bekämpfen, ein menschenwürdiges Dasein sichern. Der Aufstand von VP und SP ist unwürdig. Auch die Mehrheit der Konservativen im EP hat dafür gestimmt.

Die Furche: Sie sind auch die Einzige der Kandidaten, die offen für die EU-Verhandlungen mit der Türkei wirbt. Ist das taktisch klug?

Lunacek: Ich weiß, sogar Swoboda ist da plötzlich auf Faymann-Linie geschwenkt. Diese Schwenks gibt es bei uns nicht. Es gibt gute Gründe, die Beitrittsoption für die Türkei offenzuhalten: Die Verhandlungen sind der Reformmotor der Türkei. Nur: Diese Frage stellt sich vielleicht in zehn Jahren, sicher nicht jetzt. Es wird also nicht bei dieser Wahl entschieden. Deshalb halte ich diese FPÖ-Plakate mit "Abendland in Christenhand" für hetzerisch und brandgefährlich.

Die Furche: Generell fällt auf, dass der Wahlkampf national geführt wird. Die FP-Slogans erinnern an den Wiener Wahlkampf. Die VP suggeriert, dass Europa zwar wählen darf, Österreich aber entscheiden wird, die SP, dass sie auf nationale Interessen in Brüssel "schaut".

Lunacek: Ihre Beobachtung stimmt leider: Wir sind die Einzigen, die europäische Konzepte haben und auch darauf pochen, dass Europa gemeinsam agieren muss. Das ausschließliche Handeln auf nationaler Ebene ist gerade in Krisenzeiten gefährlich. Es trägt dazu bei, den Frust gegenüber der EU zu verstärken.

Die Furche: Aber standen nicht auch die Grünen vor einem Kurswechsel? Voggenhuber wurde als "abgehoben" bezeichnet.

Lunacek: Das mit dem Kurswechsel stimmt nicht. Ich stehe zum Vertrag von Lissabon. Voggenhuber und ich sind nicht unterschiedlicher Meinung, sondern unterschiedliche Persönlichkeiten. Ich arbeite gerne im Team und kommuniziere auch gerne mit den Menschen. Ich werde auch nach der Wahl sowohl den Grünen als auch der Öffentlichkeit klarmachen, was im EP erreicht wird.

Die Furche: Trotzdem: Voggenhuber wurde eine EU-unkritische Haltung vorgeworfen. Sie sagen, Sie lieben Europa wie Thomas Bernhard Österreich geliebt hat. Demnach müsste die EU-Beschimpfung Ihr Stilmittel werden.

Lunacek: (lacht) Nein, nein. Ich habe dazugesagt: Liebe - inniglich aber gnadenlos. Wenn man etwas liebt, dann muss auch Kritik möglich sein. Blinde Liebe ist ungesund, sowohl privat als auch politisch.

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