Van der Bellen - © Foto: Manfred Werner / Tsui

"Das muss man sehen als Realist"

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Am Mittwoch beschließt das Parlament die EU-Verfassung - sang und klanglos, aber mit den Stimmen der Grünen und von deren Bundessprecher Alexander Van der Bellen.

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Am Mittwoch beschließt das Parlament die EU-Verfassung - sang und klanglos, aber mit den Stimmen der Grünen und von deren Bundessprecher Alexander Van der Bellen.

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Im FURCHE-Gespräch verteidigt Van der Bellen diesen Kompromiss der EU-25, ergänzt seine missverstandenen Aussagen zum Asylthema und begibt sich in Koalitionsfragen nicht in Geiselhaft.

Die Furche: Herr Van der Bellen, der grüne Klub stimmt Mittwoch dieser Woche im Parlament für die EU-Verfassung - während Teile Ihrer Parteibasis die EU-Verfassung strikt ablehnen ...

Alexander Van der Bellen: Seit wann haben die Grünen die Mehrheit im Europa der 25? Die Grünen allein hätten diese Verfassung in vielen Punkten anders formuliert - ja nona! Wenn 25 Staaten eine Verfassung entwerfen, kommt formal und inhaltlich ein Kompromiss raus, das ist doch klar. Klar ist aber auch, dass der Konventsentwurf - trotz der Verwässerung durch die Regierungskonferenz - ein bedeutender Fortschritt gegenüber dem Vertrag von Nizza ist.

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Die Furche: Rückschritte sehen die Gegner der Verfassung betreffend Militarisierung der EU und Euratom.

Van der Bellen: Ich lese keine Militarisierung aus dem Dokument heraus. Da steht drin: "Streben nach einer Verbesserung der militärischen Fähigkeiten" - eine Selbstverständlichkeit, denn Europa wird hier kaum eine Verschlechterung wollen. Das heißt aber nicht automatisch Aufrüstung, sondern durch Effizienzsteigerungen könnten sogar die Militärkosten sinken Und ein Erfolg war es auch, dass der Euratom-Vertrag nicht Teil der Verfassung geworden ist. Nicht gelungen ist es, ihn total abzuschaffen - doch gegen den Willen Frankreichs war das aussichtslos.

Die Furche: Wäre es eine Katastrophe für die EU, wenn jetzt die Franzosen die Verfassung ablehnen?

Van der Bellen: Katastrophe würde ich nicht sagen. Wir landen dann wieder beim Vertrag von Nizza; das gibt einen riesigen Katzenjammer, und es ist ein schwerer Rückschlag, aber die eu wird deswegen nicht untergehen, und in einigen Jahren wird es einen neuen Anlauf für eine Verfassung geben.

Die Furche: Über die dann alle EU-Bürgerinnen und Bürger, auch die Österreicher, abstimmen dürfen?

Van der Bellen: Das Beispiel Frankreich bestätigt mich in meiner Meinung, dass nationale Volksabstimmungen zu europäischen Fragen nicht das Gelbe vom Ei sind. In Frankreich geht es ja nicht um pro und contra Verfassung, sondern um pro und contra Chirac. Nationale Abstimmungen werden immer von nationalen Themen überlagert - das wäre auch bei uns nicht anders. Für ein europaweites Referendum hätten wir uns sofort ausgesprochen - und dann wären alle Befürworter auch viel mehr gefordert als jetzt, dafür zu werben.

Die Furche: Jetzt scheint in Österreich hingegen überhaupt kein Werben für die EU-Verfassung notwendig.

Van der Bellen: Darin sehe ich auch ein Defizit, aber dafür machen Sie bitte nicht die 9,5-Prozent-Partei der Grünen verantwortlich. Das ist in erster Linie eine Regierungsaufgabe.

Die Furche: Mit wem würden Sie denn in Zukunft am liebsten eine solche Regierungsaufgabe wahrnehmen?

Van der Bellen: Wenn wir uns jetzt festlegen, begeben wir uns in Geiselhaft: Sollen wir uns auf Schwarz-Grün versteifen, wo die ÖVP laufend Maßnahmen trifft, mit denen wir nicht einverstanden sind? Oder sollen wir uns an die SPÖ binden, wo wir dann erklären müssen, warum sie sich zum Beispiel beim Türkei-Beitritt am Montag so, am Dienstag so und am Mittwoch wieder anders verhält? Die Grünen wollen dritte Kraft im Land werden und aus dieser Position der Stärke heraus verhandeln.

Die Furche: Fürchten Sie nicht, dass diese Äquidistanz jene Wähler vor den Kopf stößt, die wissen wollen, in welche Richtung Grün eher tendiert?

Van der Bellen: Sicher, bei jeder Strategie laufen wir Gefahr, irgendwen vor den Kopf zu stoßen.

Die Furche: Steckt auch Strategie hinter Ihren Aussagen im "trend", in denen Sie das Thema Asyl in einem Atemzug mit Missbrauch und Bandenwesen abhandeln - zeichnet sich hier ein grüner Positionswechsel ab?

Van der Bellen: Nein, mein Fehler war, nicht den Vorspann dazuzusagen; ich hab' nicht gedacht, dass das noch notwendig ist.

Die Furche: Welchen Vorspann?

Van der Bellen: Dass die Grünen die Bürgerrechts- und Menschenrechtspartei sind und stets die Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention hochhalten. An dieser Position wird und kann es keine Änderung geben, das gehört zu unserer Identität. Persönlich ist mir das schon aufgrund meiner Familiengeschichte ein Anliegen. Diesen Vorspann habe ich weggelassen; jetzt konnte bei manchen Beobachtern der fatale Eindruck entstehen, dass auch die Grünen so wie die Haiders und Straches Ausländer und Kriminalität zu einer bösen Melange vermischen.

Die Furche: Gerade wegen dieser Strategie der Haiders und Straches haben es linke Kreise betont vermieden, diese Problematik anzusprechen - um nicht Applaus von der falschen Seite zu bekommen. Warum haben Sie diese Sprachregelung durchbrochen?

Van der Bellen: Ich wollte auch signalisieren: Wir sehen das Problem - nicht so wie Haider und Strache es sehen -, aber dass es im Asylbereich auch unerfreuliche Entwicklungen gibt, das sehen wir sehr wohl. Das muss man sehen als Realist. Und das soll die Öffentlichkeit ruhig erfahren, dass wir hier nicht blauäugig sagen: Alle Ausländer sind nur gut - das wäre ja absurd, genauso wie unter Inländern gibt es auch unter Ausländern Straftäter.

Die Furche: Haben die Grünen in der Vergangenheit diesen "realistischen Blick" zu wenig kommuniziert?

Van der Bellen: In den letzten Jahren hat es neue Entwicklungen gegeben, auf die wir heute anders reagieren müssen. Das neue Asylgesetz gibt darauf die falschen Antworten, es ist für uns inakzeptabel. Einige Giftzähne wurden zwar gezogen und es gibt auch positive Punkte, beispielsweise die Beschleunigung der Verfahren. Aber das nutzt ja nichts - die Frau Innenministerin ist so wie der Rest der Regierung in einer Koalition mit Haider und Strache, und das merkt man dem neuen Asylgesetz auch an - es wäre völlig unrealistisch, anderes zu denken.

Professor in einlullender Rage

"Jetzt hab' ich mich in Rage geredet", sagt Alexander Van der Bellen während des Furche-Interviews einmal beim Thema EU-Verfassung - doch sogar während dieses verbalen Aufstampfens schlägt die Pegelanzeige beim Aufnahmegerät nicht weiter aus als bis knapp zur Mitte. Ruhig und bedächtig erklärt der grüne Klubobmann seine Sicht der Dinge, wägt das jeweilige Für und Wider ab, Kaffee am Tisch, Zigarette in der Hand; sein Pressesprecher daneben spielt schon ein wenig gedankenverloren mit dem Handy, und der Furche-Chefredakteur muss nach dem Gespräch einräumen, dass es bei Herrn Van der Bellen gar nicht leicht ist, zu vermeiden, dass einen diese Stimmung "einlullt". - Anfang letzten Jahres wurde Van der Bellen zum vierten Mal in Folge als Bundessprecher der Grünen wiedergewählt - ein deutliches Zeichen, dass auch die Grünen ihrem Professor und seinem zum Markenzeichen avancierten untypischen Politikergehabe erlegen sind. Im Interview erwähnt Van der Bellen, dass ihm das Thema Asyl schon aus seiner eigenen Familiengeschichte heraus ein Anliegen ist: Er wurde am 18. Jänner 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters mit holländischen Wurzeln geboren und wuchs im Tiroler Kaunertal auf, wo er bis heute seine Ferien verbringt.

"Jetzt hab' ich mich in Rage geredet", sagt Alexander Van der Bellen während des Furche-Interviews einmal beim Thema EU-Verfassung - doch sogar während dieses verbalen Aufstampfens schlägt die Pegelanzeige beim Aufnahmegerät nicht weiter aus als bis knapp zur Mitte. Ruhig und bedächtig erklärt der grüne Klubobmann seine Sicht der Dinge, wägt das jeweilige Für und Wider ab, Kaffee am Tisch, Zigarette in der Hand; sein Pressesprecher daneben spielt schon ein wenig gedankenverloren mit dem Handy, und der Furche-Chefredakteur muss nach dem Gespräch einräumen, dass es bei Herrn Van der Bellen gar nicht leicht ist, zu vermeiden, dass einen diese Stimmung "einlullt". - Anfang letzten Jahres wurde Van der Bellen zum vierten Mal in Folge als Bundessprecher der Grünen wiedergewählt - ein deutliches Zeichen, dass auch die Grünen ihrem Professor und seinem zum Markenzeichen avancierten untypischen Politikergehabe erlegen sind. Im Interview erwähnt Van der Bellen, dass ihm das Thema Asyl schon aus seiner eigenen Familiengeschichte heraus ein Anliegen ist: Er wurde am 18. Jänner 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters mit holländischen Wurzeln geboren und wuchs im Tiroler Kaunertal auf, wo er bis heute seine Ferien verbringt.

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