Kiwi - © Foto: Pixabay

Schwarz-grüne Tränen

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Was, wenn die Regierungsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen vor zehn Jahren nicht gescheitert wären? Ein Konjunktiv.

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Was, wenn die Regierungsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen vor zehn Jahren nicht gescheitert wären? Ein Konjunktiv.

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Zehn Jahre ist es her, dass in Österreichs bürgerlichen Herzen eine neue Sehnsucht aufflammte. Seit der Nationalratswahl 2002 war eine schwarz-grüne Regierung erstmals eine mathematische, ab Februar 2003 auch eine politische Option. Nach vier Sondierungsrunden nahmen ÖVP und Grüne Sondierungsverhandlungen auf. Eine Woche lang wurde unter strikter Geheimhaltung verhandelt - begleitet von großem internationalem Interesse. "Heiliges Experiment“ nannte die Süddeutsche Zeitung Schwarz-Grün. "Die Sensation nimmt Formen an“, jubelten die Südtiroler Dolomiten. In journalistischen und politischen Zirkeln stieß die "Kernöl-Koalition“ Variante auf großes Interesse. Und vor allem urbane Bevölkerungsschichten waren angetan von der Möglichkeit, dass bürgerliche Eltern und ihre Kinder endlich wieder einen politischen Konsens finden.

Doch die Euphorie währte nicht lange: Am Sonntag, 16. Februar, trat Grünen-Chef Alexander Van der Bellen um sechs Uhr früh vor die Presse, um das Scheitern der Gespräche bekannt zu geben. Was wäre Österreich heute für ein Land, wenn der Verhandlungsmarathon damals anders ausgegangen wäre? Wenn Kanzler Schüssel und Vizekanzler Van der Bellen eine schwarz-grüne Regierung angeführt hätten - und die-se bis heute an der Macht wäre? Dieser Frage gehen politische Proponenten und Beobachter von damals in einem neuen Buch nach. Und obwohl sich ihre Einschätzungen teils stark unterscheiden, gibt es doch einige Parallellen in den Visionen.

1. Abfangjäger

Die geplante Anschaffung der Abfangjäger war ein Hauptgrund für das Scheitern der schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen im Februar 2003. Wären sie erfolgreich gewesen, hätte es wohl oder übel eine andere Lösung geben müssen. Entweder man hätte als Kompromiss einem schlankeren Ankauf zugestimmt und später ganz gestoppt. Oder der Deal wäre erst gar nicht zustande gekommen: "Durch die grüne Regierungsbeteiligung wurden damalige Pläne, Österreich milliardenteure Abfangjäger zu verpassen, in letzter Sekunde vereitelt“, meint der Journalist Hubert Wachter.

2. Pensionsreform

In den Jahren 2003 und 2004 wurde unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine umfassende Pensionsreform durchgeführt. Die hätte es auch in einer schwarz-grünen Regierung gegeben - nur hätte sie wahrscheinlich anders ausgeschaut. Die Verhandlungen dazu hätten großes Konfliktpotenzial zwischen den beiden Regierungsparteien gehabt. Ein mögliches Ergebnis: Die Privatisierung in der Pensionsvorsorge wäre abgeschwächt worden. Als Gegenleistung für ihr Zugeständnis hätten die Grünen eine Mindestpension als Vorstufe zu einer "Ökosozialen Mindestsicherung“ durchgesetzt.

3. Steuerreform

Eine schwarz-grüne Regierung wäre stark vom Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft geprägt, meint Josef Riegler, ehemaliger VP-Obmann, Vizekanzler und Gründer des Ökosozialen Forums. Eine "ökosoziale Steuerreform“ sieht er als Herzstück einer schwarz-grünen Regierungspolitik. Die Grünen bewarben dieses Konzept heute wie damals - und waren in den Februartagen 2003 am besten Weg, die ÖVP-Spitze ins Boot zu holen: "Im Laufe der Verhandlungen gewann ich den Eindruck, dass in der Legislaturperiode bis 2006 zumindest der Einstieg in eine ökologische Steuerreform gelingen könnte“, erinnert sich Alexan-der Van der Bellen. Die Auswirkungen hätten alle betroffen: Lohnsteuer und Lohnnebenkosten wären gesenkt und durch höhere Abgaben auf fossile Energie, Verkehr und Umweltbelastung kompensiert worden.

4. Europapolitik

Österreichs EU-Politik, da sind sich alle Kommentatoren einig, hätte massiv von einer schwarz-grünen Regierung zweier seriöser Euro-pa-Parteien profitiert. "Gegenüber der schwierigen Episode in den Jahren 2000 bis 2002 wäre eine schwarz-grüne Regierung ab 2003 europapolitisch ein echter Qualitätssprung gewesen“, meint Josef Riegler. Auch Alexander Van der Bellen ist sich sicher: "Die Grünen hätten jede Gelegenheit genutzt, der EU-Skepsis hierzulande entgegenzutreten. Der neue Zugang hätte auch Wolfgang Schüssels Werdegang maßgeblich beeinflussen können: Hätte er sich als Kanzler einer schwarz-grünen Regierung profiliert, wäre die Nachricht, dass er als Kommissionspräsident gehandelt wird, kein Gerücht geblieben: Schüssel könnte heute auf José Manuel Barrosos Stuhl sitzen.

5. Politische Kultur

Die Stimmung in Österreich wäre heute eine andere, meinen die politischen Nachrufschreiber. "Österreich hätte eine Debattenkultur, die diesen Namen verdient“, meint Lukas Mandl, der Personalentwickler der ÖVP, der damals Schwarz-Grün präferierte. Michael Schuster, Initiator der Initiative schwarzgruen.org und heute Mitbegründer der Partei NEOS träumt von einem politischen Salon von Peter Pilz und Andreas Khol "Die Demokratie an sich profitiert“, meint er. Und Journalistin Barbara Tóth schreibt sogar einen "ökosozialen Babyboom“ herbei. Bei aller Heiterkeit ortet Harald Mahrer, der Herausgeber der Spekulationsschrift, in dieser Prognose auch eine ernsthafte Problematik: "Die Nachwuchsfrage hat viel mit einem positiven Zukunftsmodell zu tun. Wenn die Aussichten in Summe bessere sind, wie das bei einem ökosozialen Modell der Fall wäre, ist eine Steigerung der Geburtenrate nicht so weit hergeholt.“

In beiden Parteien gab es 2003 auch massive Kritiker an einer schwarz-grünen Koalition. Zum Zehn-Jahres-Jubiläum des Verhandlungsabbruchs lässt die Julius-Raab-Stiftung aber Befürworter zu Wort kommen. Die beweinen eine versäumte Chance - und rechnen gleichzeitig mit falschen Hoffnungen ab. So kommt Lukas Mandl zum Schluss: "Ich finde Schwarz-Grün heute unmöglich und falsch.“ Trotzdem schwingt in der Konjunktiv-Analyse die Hoffnung mit, dass eine schwarz-grüne Koalition irgendwann einmal möglich ist. Heuer wird das wohl nicht der Fall sein: Laut den jüngsten Umfragen erreichen ÖVP und Grüne gemeinsam nur 39 Prozent.

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