Hunde und Würste

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Wer immer nun die Regierung bilden mag - wer gibt uns das Vertrauen in die Politiker wieder?

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Wer immer nun die Regierung bilden mag - wer gibt uns das Vertrauen in die Politiker wieder?

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Vor einer Woche schien es, als würden sie sich noch einmal zu einer Zwangsehe zusammenraufen, doch es kam, wie es eher früher als später kommen mußte: Die Koalition von SPÖ und ÖVP ist Geschichte. Wie grandios das Vertrauen zwischen diesen Parteien zuletzt gewesen ist, enthüllte unter anderem der inzwischen sattsam bekannte Spruch von Finanzminister Rudolf Edlinger, er würde eher einen Hund auf seine Wurst aufpassen lassen als die ÖVP aufs Geld der Steuerzahler.

Und wir, das gemeine Volk, sollen angesichts des wechselseitigen Mißtrauens der Politiker noch Vertrauen zu ihnen haben? Wir sollen die schwarzen Konten des deutschen Ex-Kanzlers Helmut Kohl, die Gratisflüge des österreichischen Ex-Kanzlers Franz Vranitzky, die ständigen Affären um andere Mandatare, die sich wie der Wind drehenden Aussagen und Positionen der Parteien schlucken?

Das sind doch die wahren Gefahren aller Verfehlungen von Politikern: Sie geben ein äußerst schlechtes Vorbild ab, und sie erschüttern nicht nur das Vertrauen in ihre Berufsgruppe, sondern in das politische System an sich. Man wendet sich entweder uninteressiert davon ab - denn das Leben geht weiter, egal ob in Österreich eine provisorische oder eine richtige Regierung amtiert -, oder man sehnt sich heimlich oder offen nach dem starken Mann, der den Saustall wieder in Ordnung bringt, beides für eine Demokratie nicht gerade erwünschte Perspektiven, die Demagogen nach oben spülen können.

Wie weit das Scheitern von SPÖ und ÖVP unvermeidlich und wer aller daran schuld war, wurde in den letzten Tagen in unzähligen Kommentaren erörtert. Von der gegenseitigen Schuldzuweisung - ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel habe den Bogen mit seinen Forderungen überspannt, die SPÖ sei nur halbherzig für das Reformpaket gewesen - bis zu massiven Vorwürfen an Bundespräsident Thomas Klestil oder Rundumschlägen gegen alle in irgendeiner Weise an den Vorgängen Beteiligten waren dabei je nach politischem Standort fast alle Meinungen vertreten.

Als Faktum bleibt festzuhalten, daß letztlich nicht nur die Besetzung des Finanzministeriums, sondern vor allem eine Sachfrage, die Anhebung des Frühpensionsalters um zwei Jahre, den Stolperstein für eine Einigung bildete. Besonders pikant dabei war, daß der eigene Gewerkschaftsflügel dem SPÖ-Finanzminister die Gefolgschaft verweigerte.

Mit dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen dürfte eine Ära endgültig zu Ende sein. Durch die Zusammenarbeit, aber auch die Auseinandersetzungen von SPÖ und ÖVP, durch die von ihnen dominierte Sozialpartnerschaft, wurde Österreich in den letzten 55 Jahren geprägt. Diese Epoche war insofern fruchtbar, als sich das Land zu den reichsten Nationen der Erde entwickelt hat.

Doch mit dem Reichtum wächst offenbar auch Mißtrauen und Neid, nimmt die Sorge um "wohlerworbene" Rechte und Besitzstände zu. Keiner will sich mehr einschränken oder gar etwas wegnehmen lassen. Und gerade in Ländern, wo es vielen sehr gut geht, machen jene, die auf die Verliererseite geraten sind oder zu geraten drohen, ihrem Unmut besonders deutlich Luft. Fühlen sich die Menschen aber noch von den Politikern betrogen, ist es kein Wunder, wenn sie Alternativen, wie zuletzt Jörg Haiders FPÖ, zuneigen.

In den letzten Jahrzehnten unter SPÖ-Führung wurde dem Volk suggeriert, der Staat werde schon für alles sorgen, es werde jedem von Jahr zu Jahr besser gehen. Noch im Sommer wiesen Bundeskanzler Viktor Klima, Finanzminister Rudolf Edlinger und Sozialministerin Lore Hostasch alle Gerüchte über Probleme bei den Pensionen und beim Budget, jeden Gedanken an ein weiteres Sparpaket entrüstet zurück. Wir seien die Musterknaben in der EU, wurde uns vollmundig versichert. Erst Wochen nach den Wahlen sickerte die Kunde von einem Budgetloch von über 60 Milliarden Schilling durch. Vielleicht fällt es der SPÖ gar nicht so schwer, dieses Erbe jemandem anderen zu überlassen ...

Den Schwarzen Peter in der Wählergunst hat ja indessen, von den Konkurrenten, aber auch von den meisten Medien, längst die ÖVP zugespielt bekommen. Solange sie als treibende Kraft zu Sparmaßnahmen, als eine derzeit weit mehr ökonomischen als sozialen Aspekten zuneigende Partei gilt, wird sich ihre Popularität außerhalb ihrer engsten Klientel sowieso in Grenzen halten. Doch in den letzten Monaten hat sie auch noch das wichtigste Kapital einer Partei, ihre Glaubwürdigkeit, beschädigt. Ihr Spiel mit der Opposition mußte man als unseriös empfinden, nun lastet man ihrem Lizitieren die Hauptschuld am Scheitern einer SPÖ-ÖVP-Koalition an, und sollte es statt einer stabilen Regierung in wenigen Wochen Neuwahlen geben, dann wäre sicher auch die ÖVP - obwohl sie daran mit Abstand am wenigsten interessiert sein kann - schuld.

Wie wird, wie soll es jetzt weitergehen? Daß Präsident Klestil sich noch einmal um eine SPÖ-ÖVP-Koalition bemüht hat, ist ihm nicht vorzuwerfen. Wohl aber läuft er jetzt Gefahr, den Geist der Demokratie zu verletzen und seine Autorität zu beschädigen, wenn er durch das Experiment einer SPÖ-Minderheitsregierung den sich nun am ehesten abzeichnenden Pakt von FPÖ und ÖVP - wobei man freilich auch eine rot-blaue Koalition noch nicht ganz ausschließen sollte - zu verhindern sucht.

Auch wenn es vielen nicht paßt und Österreichs Ruf im Ausland nicht fördern wird: Die einzige echte Alternative zu einer Regierungsbeteiligung von Jörg Haiders FPÖ ist gescheitert. Wer die Freiheitlichen jetzt noch vom politischen Spielfeld fernhalten will, nimmt ihn Kauf, daß sie bald als eindeutig dominierende Kraft auf diesem Spielfeld agiert. Die Frage, welchen Politikern man noch trauen kann, bleibt offen. Auf jeden Fall werden ihr Regierungspartner und die Öffentlichkeit sehr genau auf die FPÖ aufpassen müssen, weit besser als Hunde auf Würste.

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