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Burgenländischer Herbst

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Eine temperamentvolle Herbstarbeit kündigt sich in der burgenländischen Landespolitik an. An sich darf man darüber erfreut sein, denn Regsamkeit ist der Politiker erste Pflicht. Zudem ist die schlechteste Politik immer die Untätigkeit, ganz gleich, welche Motive dafür ausschlaggebend sind. Wenn hinter dieser Regsamkeit im Sinne der jüngsten Erklärungen des sozialistischen Landtagspräsidenten Dr. Sinowatz in der Tat „Leidenschaft, Verantwortung und Augenmaß“ stehen, dann dürfte man ohne Sorge die politischen Vorgänge im Eisenstädter Landhaus verfolgen. Aber das politische Herbstklima verrät eher eine explosive und ressentimentgeladene Regsamkeit als eine koalitionsgünstige und verheißungsvolle.

Beginn des nächsten Wahlkampfes?

Der neue „Wein“ in den politischen Kellern des Landhauses ist noch zu wenig ausgegoren, und so steigen wieder die faktischen Absatzchancen des alten, obwohl in den Märztagen dieses Jahres die Nachfrage nach ihm überraschend zurückgegangen war. Die Ergebnisse der Arbeiterkammerwahlen im Bur genland haben der ÖVP nach der Schlappe im Frühjahr neuen Auftrieb gegeben und in der SPÖ manchen Schock ausgelöst. Damit könnte in die schon vor der Kammerwahl spürbar gewordene politische Regsamkeit ein Element der Unruhe kommen, die auf kein gutes Jahr zeigt. Sachfragen sind angesichts der Arbeiterkammerwahlen und der Olah-Affäre zunächst in den Hintergrund getreten. Parteipolitische Taktik und propagandistische Überlegungen haben hüben und drüben in der augenblicklichen Situation die Chance, den Primat zu gewinnen. Aber damit wäre dem Land wenig gedient. Es geht nicht an, daß einige Monate nach der Wahl bereits der nächste Wahlkampf vorbereitet wird.

Die bevorstehenden politischen Entscheidungen dieses Herbstes geben Landeshauptmann Bögl die Chance, aus dem Immobilismus der Koalition unter sozialistischer Flagge herauszukommen. Der SPÖ muß es gelingen, den Machtrausch, der sie nach dem Sieg bei den Landtagswahlen erfaßt hat, zu bändigen und auf ein landespolitisch tragbares Maß herabzudrücken. Die ÖVP wieder muß — so bitter die Pille schmeckt — zur Kenntnis nehmen, daß sie gegenwärtig nicht mehr die erste Rolle im Lande spielt Landeshauptmann Bögl braucht angesichts dieser Verhältnisse eine harte Hand, die beiden Seiten Mahnungen erteilt und aus der Koalitionsregierung ein taugliches Instrument der Landespolitik macht.

Anfang September hat der sozialistische Landeshauptmann selbst von einem Stillstand der politischen Arbeit in Landtag und Landesregierung gesprochen. Die Schuld dafür trügen aber nicht die Sozialisten, sondern die „Konservativen“ mit ihrer Illusionspolitik. Er brachte bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck, daß die sozialistische Mehrheitspartei ihr Recht nicht zu einer einseitigen Machtpolitik mißbrauchen werde. Ebenso unterstrich Bögl die große Verantwortung der SPÖ gegenüber der Bevölkerung auf Grund der letzten Landtagswahl und versprach entsprechende Taten. Eine Woche später wartete das Landesorgan der ÖVP mit einer Serie von Vorwürfen, Vernachlässigungen und Unterlassungen der SPÖ auf. Bögl wurde für den Stillstand der Landespolitik verantwortlich gemacht, weil er nicht imstande war, die radikalen Elemente in seiner Partei in die Schranken zu weisen. Sie hätten ihn oft zu einem Alleingang veranlaßt oder überhaupt die Mitarbeit bei verschiedenen Fragen verweigert. Der Landeshauptmann hätte zum Beispiel entgegen den bisherigen Gepflogenheiten die ÖVP-Regierungs- mitglieder zu der Pressekonferenz nicht eingeladen, dort Erklärungen über die Ölkonzession abgegeben, die den Tatsachen nicht entsprechen und die Öffentlichkeit sehr beunruhigen.

Obwohl festgelegt wurde, bis 30. September ein gemeinsames Wohnbaukonzept zu erstellen, haben bisher keine Arbeitssitzungen stattgefunden. Auch über das Schulprogramm konnte mit den Sozialisten nicht verhandelt werden. Die Mittel vom Gemeindebauausgleichsfonds konnten nicht aufgeteilt werden, weil die ÖVP keine Zeit hatte. Ferner sollen die Sozialisten nicht mehr zu dem stehen, was gemeinsam mit der ÖVP in der Parteivereinbarung beschlossen wurde. Andere brennende Probleme konnten wegen dieser Haltung der SPÖ nicht in Angriff genommen werden. Niemand wird bezweifeln, daß es sich hier um einen massiven, gewiß auch überlegten Angriff gegen Landeshauptmann Bögl handelt. Man könnte einen ganzen Katalog von Vorwür- fen anführen, um die politische Situation zu beleuchten. Jedenfalls zeigt sich, daß das Koalitionsklima keineswegs zu guten Hoffnungen für die politische Herbstarbeit berechtigt.

Ein jüngerer Landeshauptmann?

Die ganze Sache dürfte Landeshauptmann Bögl einiges Kopfzerbrechen verursachen. Er selbst macht sich keine Illusionen über seine schwierige Aufgabe. Es gibt Stimmen, die meinen, daß der alte große Mann der SPÖ auf Grund seines Gesundheitszustandes und der zunehmenden Oppositionshaltung der ÖVP wie auch auf Grund der innerparteilichen Schwierigkeiten der Situation nicht voll gewachsen ist. Es läge daher im landespolitischen Interesse, wenn Bögl alsbald durch einen jüngeren und energischeren Politiker abgelöst werden möchte. Wenn man von der momentanen landespolitischen Situation ausgeht, mag diese Alternative etwas Bestechendes an sich haben. Aber bei nüchterner Betrachtung der Vorgänge kommt man zur Erkenntnis, daß Bögl auf Grund seiner Persönlichkeit am ehesten in der Lage ist, eine „Integration“ des Regierungsteams zu bewerkstelligen. Ein neuer Mann auf dem Stuhl des Landeshauptmannes, der auf jeden Fall aus der jüngeren Generation kommen würde, hätte bestimmt erhebliche Schwierigkeiten. Außerdem erfordert ein Wechsel immer eine Umstel- lungs- und Anlaufperiode, so daß eine natürliche Verzögerung bei der Lösung verschiedener Fragen eintritt. Über alle Verärgerung hinweg gebietet das Wohl des Landes eine rasche und sachliche Fühlungnahme und eine pflichtbewußte Gesprächehaltung beider Parteien, weil es sonst zu keiner konstruktiven Arbeit in der Koalition kommt. Die Initiative zum Gespräch muß vom Landeshauptmann ausgehen und zum Ziele haben, die Koalitionsverdros- senheit auf beiden Seiten zu liquidieren. Es wäre allerdings naiv, die Spannungen, die vorhanden sind, zu bagatellisieren, aber die landespolitische Vernunft verlange ein besonnenes, aber energisches Zugreifen mit guten Nerven und kühlem Kopf. Bögl bleibt immer noch der Garant einer guten Zusammenarbeit und einer konstruktiven liberalen und toleranten Gesinnung in der SPÖ. Es ist bekannt, daß er sich trotz verschiedener Temperaturschwankungen in beiden Lagern nicht aus dem Konzept bringen läßt.

Abschied von der Routinepolitik

Die Volkspartei ist als zweite Regierungspartei nunmehr gezwungen, Abschied von einer selbstsicheren Routinepolitik zu nehmen und dafür eine Politik nüchterner Argumentation zu betreiben, die auch die Schwäche des neuen Regimes im Landhaus aufzeigt. Gleichzeitig muß sie sich hüten vor einer polemischen Opposition im Landhaus. Das Aufzeigen der Schwächen der Sozialisten ist ihr gutes Recht. Die SPÖ hat als zweite Regierungspartei die gleiche Taktik angewendet. Freilich muß sie geschickt operieren, damit sie nicht den Anschein vor den Wählern erweckt, als wollte sie bloß obstruieren und aus Verärgerung Schauermärchen über die SPÖ verbreiten. Die sachliche Argumentation in Regierung, Landtag, Versammlung und Presse, die nachprüfbares und tatsächliches Versagen der SPÖ aufdeckt und das Urteil dem Wähler überläßt, wird der ÖVP Ehre machen und ihr neue Sympathien eintragen. Propagandistisch gut zusammengestellte Sündenregister über die SPÖ mögen momentan den Wähler beeindrucken, werden ihn aber nicht dazu bewegen, seine Meinung gegenüber der SPÖ grundlegend zu revidieren, wenn sie der Sachlichkeit entbehren.

Soronics im Kommen

Darüber braucht die ÖVP eine klare Führungsautorität, der es gelingt, aus dem Nebeneinander der politischen Herzogtümer und Rivalitäten einen geschlossenen politischen Organismus und eine Phalanx gemeinsam marschierender Persönlichkeiten und Gruppen zu machen. Es scheint, daß der geschäftsführende Landesparteiobmann, Staatssekretär Soronics, immer mehr die Zügel der Partei in die Hand bekommt und zu einer koordinierenden Instanz wird, die den gefährlichen Polyzentrismus der Partei beseitigt. Er gibt vor der Öffentlichkeit Erklärungen ab, die vermuten lassen, das er gewillt ist, über die geschäftsführende Rolle hinauszuwachsen und sich als vorläufige Parteiautorität, nachdem Landesparteiobmann Lentsch noch immer krank ist, zu bewähren und einzuarbeiten. Vor der Kammerwahl betonte Staatssekretär Soronics vor Bezirks- und Ortsfunktionären des ÖAAB, daß in den nächsten Wochen und Monaten eine Reorganisation der Partei vorgenommen werde. Die Partei müsse schlagkräftig werden, damit sie im entscheidenden Augenblick in der Lage ist, dem politischen Gegner geschlossen gegenüberzutreten. In einem Kommentar zu den Arbeiterkammerwahlen schrieb das burgenländische ÖVP- Organ, daß die Arbeiterkammerwahlen auch parteiintern von besonderer Bedeutung waren, weil dadurch auch die Position des ÖAAB in der Gesamtpartei gestärkt wurde. In diesem Zusammenhang wird der ÖVP empfohlen, sich mehr als bisher im Burgenland um die Arbeitnehmer zu kümmern.

Daß es zu einer Neuordnung der Volkspartei im Burgenland kommen muß, ist keine neue Erkenntnis. Wenn die burgenländische ÖVP auf Grund der Arbeiterkammerwahlen und der landespolitischen Praxis der SPÖ in den letzten Wochen den Mut gefunden hat, kurz nach der Niederlage wieder den Führungsanspruch vor den Wählern zu erheben, dann muß sie sich auch darüber im klaren sein, daß in der Tat zuerst eine Reorganisation der Partei zu erfolgen hat. Wenn sie sich dazu entschließt — und die Erklärungen ihres geschäftsführenden Landesparteiobmannes geben zu neuer Hoffnung Anlaß —, wird ihr neuer Enthusiasmus nicht der realistischen Voraussetzungen entbehren.

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