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Politischer „Altweibersommer“

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In den ersten Tagen des Monats September war dem Burgerilsnd ein selten schönes und warmes HeFbstwet- ter geschenkt,’ das man hier als Altweibersommer bezeichnet. Es ist in der Tat ein angenehmes Wetter für alte Leute, das auf die physische und seelische Konstitution regenerierend wirkt und nach dem hitzereichen Hochsommer gleichsam neue Schaffensfreude den Dorfleuten einflößt. Deswegen nennt man den Altweibersommer im September auch einen „zweiten Mai“ des Jahres. Man spricht davon, daß der warme Altweibersommer manchmal auch alte Bauern, die im Ausgedinge oder, wie man es heute besser sagt, „in der Rente“ sind, ermutigt, neue Aktivitäten in der Wirtschaft zu entfalten. Freilich müssen sie über kurz oder lang doch resignieren, weil sie die Jahrzehnte nicht ungeschehen machen können, die ihr Kräfte aufgezehrt haben, so daß die Reserven für einen Neuanfang im Spätherbst des Lebens nicht ausreichen. Auch ein noch so schöner Altweibersommer kann über diese Tatsache nicht hinwegtäuschen.

Der politische Herbst in der burgenländischen Landespolitik — im Frühjahr 1964 wird ein neuer Landtag gewählt — scheint ebenfalls einen Altweibersommer zu begünstigen. Es ist für die Koalitionsparteien nicht leicht, das Generationsproblem so zu lösen, daß man in der nächsten Zeit würdige profilierte Nachfolger für die alten großen Männer der Landespolitik hätte. Die erste Phase zur Lösung des Generationsproblems kann nur in einem Übergang bestehen. Politischer Realismus legt solches Denken und Planen den obersten Parteigremien nahe. Aber gerade dieses Denken ist eine zu wenig beachtete Versuchung für die großen Männer der Parteien, sich in einem politischen Altweibersommer zu sonnen. Die psychologische und generationsbedingte Übergangsperiode stachelt gleichsam die alten Männer des politischen Lebens zu neuem Schaffensdrang auf und läßt sie mitunter sogar der Illusion huldigen, sie würden nochmals ihre Partei oder einen ihrer Verbände zu neuen Ufern und neuen Siegen angesichts herannahender Entscheidungsstunden führen.

Keine Schmälerung alter Verdienste

Gewiß, es handelt sich um Männer, denen man unrecht täte, wollte man ihre Verdienste in der Ersten Republik und im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik schmälern oder gar in Frage stellen. Völlig anders liegt jedoch die Problematik, wenn man die politische Bedeutung und das persönliche Gewicht der alten großen Männer der burgenländischen Landespolitik von der Gegenwart und der Zukunft her betrachtet und beurteilt.

Politik im Übergang — das ist die Signatur der butgenländischen Landespolitik dieses Herbstes. In dieser Situation ist das Für und Wider um einige Politiker entbrannt, die nach erfolgter oder unmittelbar bevorstehender Resignation auf höchste Ämter im Bund oder im Land nach neuen politischen Ämtern greifen und damit irgendwie eine Reaktivierung ihres politischen Engagements verfolgen. Der frühere Landeshauptmann, Kom.-Rat Johann Wagner, wird im Zusammenhang mit der Nachfolge Raabs im Wirtschaftsbund als Kandidat für den Bundesobmann genannt. Er ist erst vor einigen Jahren aus Gesundheitsrücksichten als Landesvater ausgeschieden und hat erst kürzlich den Landesobmann des Wirtschaftsbundes zurückgelegt. Es wird sehr schwer sein, von der politischen Rktio her eine Reaktivierung Wagners auf Bundesebene zu rechtfertigen und einsichtig zu machen.

Vom Stubenring nach Eisenstadt?

Weiters beschäftigen erneut verschiedene Versionen über die politischen Pläne von Minister P r o k s c h die öffentliche Meinung. Selbst in sozialistischen Kreisen spricht man davon, daß Proksch, wie bei den letzten Landtagswahlen, die Absicht hat, sich um den Stuhl des Landeshauptmannes zu bewerben. Sollte es sich möglicherweise hierbei um eine Zweckpropaganda bestimmter Gruppen der SPÖ oder auch der ÖVP handeln, so darf man aber doch nicht vergessen, daß aus dieser Möglichkeit heute oder morgen eine politische Realität werden könnte. Proksch ist Stellvertreter des Landesparteivorsitzenden der SPÖ des Burgenlandes und genießt zweifelsohne auf Grund seiner Ministerposition und seines demonstrativen sozial- und wirtschaftspolitischen Interesses für das Burgenland Einfluß und Ansehen in der sozialistischen Wählerschaft. Und doch muß man auch hier Bedenken gegen eine Kandidatur Prokschs für das Landhaus äußern. Ein langjähriger Minister macht einen natürlichen Abnützungsprozeß durch, der mit der Erreichung des 65sten Lebensjahres keinesfalls bagatellisiert werden darf.

Dies gilt freilich nicht nur bei Ministern, sondern auch bei anderen politischen Mandataren dieses Alters. Das Amt eines Landeshauptmannes darf nicht als Ausgedingeposten für Männer angesehen werden, die unmittelbar vor ihrem Abschied von der politischen Bühne stehen. Landeshauptmannstellvertreter Hans B ö g 1 ist ebenfalls schon 64 Jahre alt. Er gehört zu den Männern der alten Garde, die mit dem Sozialismus im Burgenland groß geworden sind, die zu den lauteren und selbstlosen Vertretern des sozialistischen Humanismus gehören und in den letzten Jahren die Revision des Parteiprogrammes und die Verjüngung des Parteiapparates ohne Ressentiments vor dem Neuen unterstützt und befürwortet haben. Und doch muß auch hier vermerkt werden: Bögl kann kein Mann der Zukunft für die SPÖ sein. Seine Aufgabe war es, den Status und die Periode des Überganges in der Generationsfrage einzuleiten, zu repräsentieren und vernünftig zu aktualisieren.

Einsicht — Weisheit — Opfer

Der Senior der Landespolitik ist wohl Dr. K a r a 11, der im 70. Lebensjahr steht und seit 1945 ununterbrochen das Amt eines Landesparteiobmannes der Volkspartei bekleidet. Erst vor einigen Wochen wurde er noch zum Landesobmann des Wirtschaftsbundes an Stelle von Kom.-Rat Wagner gewählt. Außerdem fungiert er als Präsident der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für das Burgenland. Unter seiner Führung gelang es der ÖVP durch den Wahlsieg im Jahr 1945, den provisorischen sozialistischen Landeshauptmann Dr. Leser auf den zweiten Platz in der Regierung zurückzuverweisen. Bei der Landtagswahl im Jahr 1949 konnte die ÖVP sogar die absolute Mehrheit erreichen. Karall bewährte sich ein Jahrzehnt hindurch als ein Mann des Ausgleiches und der Mitte. Freilich mußte er noch als Landeshauptmann erleben, wie die ÖVP von Wahlperiode zu Wahlperiode Stimmenverluste hinzunehmen hatte.

Gerade von einem Mann seiner politischen und persönlichen Erfahrung möchte man annehmen, daß er wohl weiß, daß er durch die Übergabe des Landesvorsitzes der Partei nützt.

Ein Übergang ist kein Provisorium. Er kann daher, wenn er kein Interregnum werden soll, nicht die sprichwörtliche Dauer eines Provisoriums haben. Man darf im politischen Leben Zeiten des Überganges weder revolutionär verkürzen noch festhalten oder verewigen wollen. Die burgenländische Landespolitik steht vom Generationsproblem her im Zeichen eines Überganges. Einige entscheidende Repräsentanten der Landespolitik befinden sich auf Grund ihres Lebensalters an der Schwelle jener Jahre, die den Rückzug aus der Politik in erster Linie zu erwarten haben. Die gegenwärtige Stunde ist die Stunde so mancher Landespolitiker des Burgenlandes. Sie verlangt von ihnen Weisheit, Einsicht — und Opfer. Gewiß: Es gehört sehr viel Selbstbescheidung dazu, seine Ideen und Methoden von anderen überholt zu sehen, ausgenommen die letzten weltanschaulichen und staatspolitischen Fragestellungen, um die man gerungen hat. Die Praxis dieser Altersweisheit wäre nicht wenigen Politikern zu empfehlen, dann würde das Generationsproblem in den politischen Parteien zufriedenstellender gelöst werden, als dies derzeit der Fall ist.

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