Alexander Van der Bellen: Die Macht des Wortes

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Mit ironischer Gelassenheit hat Alexander Van der Bellen dem Bundespräsidentenamt in der Krise neues Gewicht verliehen. Doch die größten Turbulenzen stehen erst bevor.

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Mit ironischer Gelassenheit hat Alexander Van der Bellen dem Bundespräsidentenamt in der Krise neues Gewicht verliehen. Doch die größten Turbulenzen stehen erst bevor.

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Ein pathetischer Volkstribun war er nie – und ist es auch nicht mit 78 Jahren: Mit gewohntem Understatement gab Alexander Van der Bellen vergangenen Sonntag in den sozialen Medien – und einen Tag später auch in einer traditionellen Pressekonferenz – seine Wiederkandidatur für das höchste Amt im Staat bekannt. „Ich möchte – wenn Sie einverstanden sind – das Meinige dazu beitragen, dass die nächsten Jahre gut werden für uns alle“, meinte er. So weit, so wenig überraschend.

Dennoch ging ein leises Aufatmen durchs Land. Nichts bräuchte die krisengebeutelte Republik, nichts bräuchten die finanziell klammen Parteien weniger als einen ausufernden Wahlkampf um ein vergleichsweise machtloses Amt – zumal ohne Wahlkampfkostenrückerstattung. Vor allem aber hat sich der Amtsinhaber keine katastrophale Blöße gegeben, die seine Entfernung nach nur einer Amtszeit nahelegen würde: vier Kanzler und eine Kanzlerin in fünf Jahren, zwei vorgezogene Neuwahlen, 156 Angelobungen, eine Pandemie und nun auch noch ein neuer Krieg in Europa – das alles ohne fatalen Ausrutscher zu meistern, das muss man erst einmal schaffen.

Entsprechend groß ist die Unterstützung für Alexander Van der Bellen, dessen gepflegt langweiliger Stil angesichts der multiplen Krisen zum beruhigenden Anker mutierte: Vier der fünf Parlamentsparteien sprechen sich für ihn aus – wenn auch die ÖVP überraschend ohne dezidierte Wahlempfehlung. Dass sich die Freiheitlichen die Chance auf den Zwischenwahlkampf offenhalten würden, war abzusehen. Wie schmutzig er werden könnte, haben die ersten Wortspenden der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch verdeutlicht: VdB sei der „Systemkandidat“, der „für den Spalt in der Gesellschaft“ stehe, die „Neutralität auf­lockern“ wolle und sowohl zur Teuerung wie auch zu den „verfassungswidrigen Corona-Maßnahmen“ schweige.

Was tun gegen die Drift?

So gewohnt brachial diese Auslassungen sind – so klar benannt werden darin wesentliche Turbulenzen, die Alexander Van der Bellen sowohl während des Wahlkampfs als auch nach einem (wahrscheinlichen) Sieg zu gewärtigen hat.

Da wäre etwa die durch die sozialen Medien befeuerte Drift innerhalb der Bevölkerung, die sich während der Pandemie in ihrer ganzen demokratiezersetzenden Hässlichkeit zeigte – und uns mit der Pandemie auch weiter begleiten wird. Dass die Regierung nun eine dreimonatige „Atempause“ bei der Maskenpflicht verkündet hat und die umstrittene Impfpflicht weiter ausgesetzt bleibt, wird radikale Maßnahmengegner zwar milde stimmen. Spätestens mit der neuen Welle im Herbst – also zur Zeit des Intensivwahlkampfs – werden sich die Frontlinien aber wieder verhärten. Und der Krieg, die Teuerung sowie die weitgehend ungebremst weiter auf uns zurollende Klimakatastrophe mit globalen Folgen wie Flucht und Hunger werden die gesellschaftlichen Fliehkräfte noch potenzieren.

Ob Aufrufe zum Zusammenhalt aus dem Mund des Bundespräsidenten bis in fernste Telegram-Welten durchdringen, darf zwar mehr und mehr bezweifelt werden. Dennoch ist das kraftvolle Wort – auf der Basis von Österreichs „eleganter“ Verfassung – das wesentliche Machtwerkzeug, das der Mann (oder vielleicht auch einmal die Frau?) in der Hofburg zur Verfügung hat.

In seiner zweiten Amtszeit könnte Alexander Van der Bellen es noch mutiger als bisher nutzen. Eine baldige Reaktion auf jenen – auch an ihn gerichteten und bislang unbeantworteten – offenen Brief, in dem 50 Persönlichkeiten rund um Irmgard Griss endlich eine ehrliche Debatte über Österreichs neue Sicherheitsdoktrin nach der Zeitenwende fordern, könnte ein Anfang sein. Gern auch ohne Understatement.

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