Herbert Kickl  - © Foto:  picturedesk.com / Alex Halada

Impfskepsis: Das böse Spiel mit der Freiheit

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Laut einer aktuellen Erhebung ist in Österreich und Deutschland die „gefühlte Unfreiheit“ durch die Coronamaßnahmen besonders stark ausgeprägt. Woher dies rührt – und wie rabiate Rhetorik angesichts nötiger Restriktionen die Lage weiter zuspitzt. Ein Gastkommentar.

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Laut einer aktuellen Erhebung ist in Österreich und Deutschland die „gefühlte Unfreiheit“ durch die Coronamaßnahmen besonders stark ausgeprägt. Woher dies rührt – und wie rabiate Rhetorik angesichts nötiger Restriktionen die Lage weiter zuspitzt. Ein Gastkommentar.

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Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, welche die Diktatur in Rumänien unter Ceausescu erlebt hatte, äußerte in einem ZDF-Gespräch zu den Einschränkungen, die Corona auch dem deutschen Volk aufbürdete: „Wir sind nicht unfrei im politischen Sinne.“ Dies wäre der Fall, wenn die Einschränkungen einem politischen Machtkalkül dienten – was aber, so Müller sinngemäß, nicht zutreffe. Es handle sich um „ein Unglück“, das über die Menschen hereingebrochen sei.

Wie nun aber neuere Befragungen demonstrieren, empfindet ein beachtenswerter Anteil der Bevölkerung die Corona-bedingten Restriktionen als überschießenden Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte des Einzelnen. Die vom European Council on Foreign Relations (ECFR) durchgeführten Erhebungen in 16 europäischen Ländern wurden erst jüngst unter einem alarmierenden Titel publiziert: „Europas unsichtbare Gräben: Wie Covid-19 die europäische Politik polarisiert.“

Gräben in Polen und hierzulande

Allgemein zeigten sich der europäische Süden und Osten stärker betroffen als der Norden und Westen – das sind ähnliche „Gräben“, wie sie bereits während der Euro- und der Flüchtlingskrise zu beobachten waren. Wenig überraschend scheint, dass die Bevölkerung Polens den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche mit besonderem Misstrauen begegnet, denn Polens Machthaber sind zurzeit keine Freunde der liberalen Demokratie.

Erstaunlich ist indessen, dass die Befragten in Deutschland und Österreich ein überdurchschnittlich hohes Maß an „gefühlter Unfreiheit“ erkennen lassen. Mit anderen Worten: In diesen beiden Ländern besteht die Neigung, politische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als übertrieben, weil unnötig einengend abzulehnen. Auch in Österreich wird die ohnehin maßvolle, weil gerade um die Aufrechterhaltung der Freiheitsrechte bemühte Corona-Politik wesentlich negativer beurteilt als in anderen europäischen Ländern. Warum sich heute ein Teil der Bevölkerung hierzulande – wohlgemerkt: bis jetzt eine Minderheit, kaum ein Drittel – nicht nur „weniger frei fühlt“ als vor zwei Jahren, sondern dieses „Gefühl“ dem Regierungshandeln entschieden negativ anlastet: Dieser Missmut lässt sich nicht ohne Weiteres erklären.

Bisweilen liegt eine Erklärung für die „gefühlte Unfreiheit“ immerhin nahe. In Italien gibt es eine Provinz, die, im Gegensatz zum Rest des Landes, hochempfindlich und dabei allergisch auf die freiheitsbeschränkenden Corona-Maßnahmen reagiert: Südtirol. Es mag wohl sein, dass hier ein tiefsitzendes Misstrauen nachwirkt. 1918, als Folge der Friedensabkommen nach dem ersten Weltkrieg, wurde Südtirol – bis dahin ein Teil Österreich-Ungarns – vom damaligen Königreich Italien annektiert. Heute ist Südtirol längst eine „autonome Provinz“ mit umfassenden Selbstverwaltungsrechten. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen, die von der Zentralregierung in Rom gesteuert werden, erzeugen im Krisenfall trotzdem leicht böses Blut.

Internet und andere Medien kolportieren, ohne ernstzunehmende Belege, immer wieder folgende „Befürchtung“: der Staat benütze die in der Pandemie rational erscheinenden Anordnungen als Basis, um späterhin, bei Bedarf, weitere Einschränkungen grundrechtlich gesicherter, fundamentaler Freiheiten leichter durchsetzen zu können.

Obwohl das Argument in Deutschland und Österreich jeder realen Grundlage entbehrt, erfüllt es seinen Zweck. Zusammen mit anderen Unwahrheiten (die Covid-Erkrankung ist eine Art Grippe, die Impfstoffe sind ohnehin wirkungslos, usw.) wird bei jenem Teil der Bevölkerung, der auf paranoische Szenarien anspricht, die Kluft zur „herrschenden Politikerklasse“ vertieft. Damit ist ein Zündstoff gelegt, der angesichts der bedrohlich wachsenden vierten Welle der Pandemie seine Sprengkraft voraussichtlich erst voll entfaltet. Denn die „gefühlte Unfreiheit“ wird sich mit einiger Gewissheit durch Maßnahmen aggressiv weiter aufladen, die zum Schutz des Einzelnen demnächst verschärft werden müssen.

Verheerende Folgen

Bei den derzeit – unter dem Regime der Delta- und Südafrika-Variante des Corona-Virus – äußerst beunruhigenden Zahlen an Neuinfektionen und Notbettbelegungen ist ein neuerlicher Lockdown des gesellschaftlichen Betriebs nicht völlig auszuschließen, mit dann verheerenden sozialen, ökonomischen und psychologischen Folgen. Um dieser Eventualität entgegenzuwirken, werden sich die Regierungsparteien – bei uns die ÖVP des Sebastian Kurz samt den koalitionsgebremsten Grünen – zu weitergehenden Restriktionen entschließen müssen. Der Druck auf impfunwillige, aber impffähige Personengruppen wird stärker werden, und es ist gut möglich, dass schon in naher Zukunft ein Impfzwang für große Bereiche des Sozial- und Arbeitslebens für alle Altersgruppen unausweichlich wird.

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