Impfen: Freiheit und Verantwortung
Die nun verfügbaren Vakzine gegen Covid-19 werfen viele ethische Fragen auf: von der Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bis zur Priorisierung – national und global. Ein Gastkommentar.
Die nun verfügbaren Vakzine gegen Covid-19 werfen viele ethische Fragen auf: von der Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bis zur Priorisierung – national und global. Ein Gastkommentar.
Das Christentum ist die Religion der Freiheit. „Zur Freiheit hat uns Christus gefreit!“, schreibt der Apostel Paulus (Galater 5,1). Freiheit im biblischen Sinne ist aber rückgebunden an die Nächstenliebe und die Fürsorge für den anderen. Das meint Martin Luther, wenn er schreibt, ein Christenmensch sei ein freier und niemandem untertan, zugleich aber ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan. Untertan sein: Das klingt nach autoritärer Gesinnung. Luther geht es freilich nicht um Untertanengeist, sondern um Verantwortungsbewusstsein.
So gesehen ist seine Doppelthese hochaktuell: Nicht Untertanengeist, sondern Verantwortungsbewusstsein zeigt, wer Hygienevorschriften und sonstige Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie befolgt. Wer Verschwörungstheorien verbreitet oder gegen den vermeintlichen „Corona-Wahnsinn“ der Regierung polemisiert, handelt verantwortungslos. Christlicher Glaube weiß sich dem Gemeinwohl verpflichtet.
Ein konkretes Beispiel ist das Impfen. Die Bereitschaft dazu ist in Österreich nicht allzu hoch ausgeprägt. Aber ist schon jetzt klar, dass wir die Corona-Pandemie ohne flächen-
deckende Impfungen nicht besiegen werden, sondern weiter von einem Lockdown in den nächsten geraten. Solange nicht sicher ist, dass Geimpfte auch keine anderen Menschen mehr anstecken können, lässt sich zwar keine allgemeine Impfpflicht rechtfertigen. Ich sehe aber eine moralische Verpflichtung, sich impfen zu lassen, weil jeder Patient weniger auf den Covid-Stationen und den Intensivstationen das Gesundheitswesen entlastet. Dass dieses auch weiterhin funktionsfähig bleibt, dafür tragen wir alle gemeinsam Verantwortung.
Es kommt auf jede und jeden an
Auch für Gesundheitsberufe ist eine Impfpflicht rechtlich derzeit problematisch. Weil es aber gerade jetzt in der äußerst angespannten Lage in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen auf jede und jeden von ihnen ankommt, sehe ich diese Personen ganz besonders gefordert, für ihre Gesundheit Sorge zu tragen – und das nicht nur im eigenen Interesse, sondern weil Patienten und Heimbewohner auf ihre Hilfe dringend angewiesen sind.
Eingriffe in die persönliche Freiheit und Grundrechte müssen gut begründet sein. Grundsätzlich ist aber festzuhalten: Wir leben weiterhin in einem Rechtsstaat, nicht in einem Polizeistaat. Eine freiheitliche Gesellschaft kann sich aber nicht allein auf gesetzliche Vorschriften, auf staatliche Kontrollen und Sanktionen stützen. Sie ist in starkem Maße auf das Verantwortungsbewusstsein ihrer Mitglieder angewiesen.
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