Freiheitsverwirrungen beim Impfen

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Wo (beim Impfen) die eigene Freiheit endet - und die der anderen beginnt.

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Wo (beim Impfen) die eigene Freiheit endet - und die der anderen beginnt.

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Freiheit ist nur im Dschungel ein individuelles Phänomen. Ansonsten ist sie immer eine Beziehung zwischen Menschen. Über die Freiheit des Impfens gibt es genügend verwirrte Äußerungen. Meistens reduziert man auf den anarchistischen Gestus: Es geht um „meine“ Freiheit. Aber es handelt sich immer um die Freiheiten mehrerer Personen.

In der Realität geht es um die Allokation von Rechten. Das betrifft zunächst die Mikroebene: Person A bekommt die Freiheit, sich nicht impfen zu lassen. Damit wird der Person B die Freiheit genommen, bestmöglich geschützt zu sein. Oder man gewährt der Person B die verfassungsgemäße Freiheit des körperlichen Schutzes, dann wird der Person A die Freiheit genommen, die Impfung zu verweigern. „Meine“ Freiheit, mich nicht impfen zu lassen, bedeutet gleichzeitig die Inanspruchnahme des Rechtes, andere mit höherer Wahrscheinlichkeit infizieren zu dürfen. Das mag kaltschnäuzig klingen, besonders bei Berufsgruppen, bei denen andere Schutzmaßnahmen nicht durchführbar sind, wie bei Lehrern oder Kindergärtnerinnen. Man kann das – gegenüber den Kindern – als aggressiv oder zumindest als ignorant einstufen.

Auf der Makroebene ist Epidemiebekämpfung ein Kollektivgut und damit eine Gemeinwohlangelegenheit. Jeder einzelne sollte zu einem derartigen Gut beitragen, wenn er über Anstand verfügt. Man nennt das „Sozialität“. Wenn er nicht beiträgt, ist er Freerider: Die anderen sollen Leistungen erbringen, selbst profitiert man als Schwarzfahrer von der Solidarität (und Impfbereitschaft) der anderen. Das ist dann nicht Sozialität, sondern Asozialität.

Der Abwägung zwischen kollidierenden Freiheiten entkommt man nicht. Wahrscheinlich darf man in dieser Gesellschaft mehrheitlich, aber nicht flächendeckend Solidarität und Kooperation erwarten.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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