Flüchtling wird unterstützt - © Foto: Getty Images / Anadolu Agency / Kontributor

Solidarität: Im Interesse (fast) aller Menschen

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Solidarisch handeln. Wie das auszusehen hat, gibt uns derzeit die Politik vor. Gleichzeitig fußt es immer auf gemeinsamen Werten. Doch was passiert, wenn diese nicht mehr geteilt werden? Ein Gedankenspiel.

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Solidarisch handeln. Wie das auszusehen hat, gibt uns derzeit die Politik vor. Gleichzeitig fußt es immer auf gemeinsamen Werten. Doch was passiert, wenn diese nicht mehr geteilt werden? Ein Gedankenspiel.

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Überall ist in Zeiten der Covid-19-Pandemie von Solidarität die Rede. Das wirft die Frage auf, was damit eigentlich gemeint sein könnte und wo die Grenzen dieser Solidarität liegen. Vier Aspekte des solidarischen Handelns, welches sich in der physischen Distanzierung und im Mittragen der weitreichenden Maßnahmen zeigt, sollten unterschieden werden.

Erstens ist solidarisches Handeln nicht primär auf den eigenen Vorteil gerichtet, sondern auf den Vorteil eines anderen Menschen oder einer anderen Gruppe von Menschen. Wir zeigen uns solidarisch, indem wir für andere auf etwas verzichten oder für andere etwas tun. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir von unserem Handeln selbst profitieren, aber Handeln aus bloßem Eigennutz ist nicht solidarisch. Wenn sich nun jüngere Menschen isolieren, helfen sie anderen, die verletzlicher sind. Das nutzt ihnen auch selbst, weil dann der Shutdown früher beendet ist oder die Wahrscheinlichkeit sinkt, sich anzustecken. Der Blick auf das eigene Wohl kann auch in die Zukunft gerichtet sein: Wer jetzt für andere den Shutdown mitgetragen hat und
weiter auf viele Dinge verzichtet, kann legitim erwarten, dass für ihn auch solidarische Maßnahmen gesetzt werden, wenn er sie braucht.

Asymmetrie: Nur Privilegierte agieren

Zweitens schwingt im Begriff der Solidarität mit, dass hier eine gewisse Asymmetrie zwischen den Menschen, die sich solidarisieren, und jenen, mit denen man sich solidarisiert, vorliegt. Wer für Amnesty ­International einen Solidaritätsbrief für einen politisc­hen Gefangenen schreibt, der handelt aus einer Position der Macht und Sicherheit heraus. In Zeiten von Covid-19 ist diese Asymmetrie auch konnotiert. Die jungen und gesunden Menschen isolieren sich nicht primär, um sich selbst zu schützen, sondern um die schwächeren und verletzlicheren Mitglieder der Gesellschaft nicht zu gefährden.

Drittens ist solidarisches Handeln ein Handeln innerhalb einer Gemeinschaft, die bestimmte Werte oder Interessen teilt. Dies gibt den Boden für die Solidarität ab. In Zeiten von Covid-19 sind die geteilten ­Interessen klar, obwohl sich dahinter durchaus partikulare und widerstrebende Interessen verbergen können. Die Pandemie zu überwinden liegt im Interesse fast aller Menschen, die sich um ihre Gesundheit sorgen, sie liegt aber auch im Interesse der Politik, der Wirtschaft oder des kulturellen Lebens einer Gesellschaft. Deshalb war lange Zeit auch eine große Konvergenz und Zustimmung zu den radikalen Maßnahmen festzustellen, die nun zu bröckeln beginnt, da die Interessen auseinanderzugehen drohen. Der Unmut über die weitere drastische Einschränkung von Kulturveranstaltungen ist ein Beispiel dafür.

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