Warum wir die WHO trotzdem brauchen
Während der Pandemie hat die Weltgesundheitsorganisation keine gute Figur gemacht. Doch Multilateralismus und ein globaler Pandemievertrag wären wichtiger denn je. Ein Gastkommentar.
Während der Pandemie hat die Weltgesundheitsorganisation keine gute Figur gemacht. Doch Multilateralismus und ein globaler Pandemievertrag wären wichtiger denn je. Ein Gastkommentar.
Es ist eines der Paradoxa der jüngeren Geschichte: Wäre Donald Trump wieder Präsident der USA geworden, hätte sein Land am 30. Juni 2021 die World Health Organisation (WHO) endgültig verlassen. Das hätte die praktische Bedeutungslosigkeit dieser UN-Organisation bedeutet. Und damit eine wesentliche Schwächung des humanitären Multilateralismus.
Das Paradoxe besteht darin, dass der Austritt der USA aus der WHO zwar der falsche Schritt gewesen wäre, die Kritik des Ex-US-Präsidenten aber nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist: Während dieser Covid-Pandemie hat die WHO in wesentlichen Punkten keine gute Figur gemacht. Ich selbst war monatelang an vorderster Front der nationalen Pandemiekoordination und habe die WHO nicht sonderlich bemerkt. Oder: Als Mitglied des Exekutivrates der WHO hatte ich alle Hände voll zu tun, dass dieses zentrale Lenkungsgremium der Weltgesundheit im Oktober 2020 überhaupt zu einer – weitgehend ergebnislosen – Sondersitzung in dieser heiklen Zeit zusammengekommen ist.
Also könnte à la Trump die Frage gestellt werden: Brauchen wir diese Organisationen überhaupt? Man könnte ja auch zum Schluss kommen: Lockdown-Maßnahmen muss eine nationale Regierung durchziehen; für Contact-Tracing sind lokale Gesundheitsbehörden zuständig; erfolgreiche Impf- und Testzentren organisieren die Bürgermeister; und für ausreichende Behandlungskapazitäten sind die lokalen oder nationalen Regierungen zuständig.
Phoenix aus der Asche des Versagens
Das ist alles richtig. Trotzdem übersteigen wesentliche Elemente der Krisenbewältigung einer Pandemie die lokalen oder nationalen Gestaltungsspielräume. Deswegen muss der gesundheitspolitische Multilateralismus aus den Aschen des temporären Versagens wie ein Phoenix wieder in die Lüfte steigen.
Das geschieht auch: Die ersten Berichte zum Erfolg und Misserfolg der globalen Zusammenarbeit liegen auf den Tisch, erste Rückschlüsse werden gezogen. Ich selbst bemühe mich um einen sehr kleinen Baustein, im Exekutivrat Mechanismen zu etablieren, damit innerhalb von 24 Stunden, nachdem eine Pandemie oder andere globale Katastrophe erklärt wird, Konsultationen mit den Mitgliedsländern über nötige Maßnahmen begonnen werden. Nicht lachen, diese Mechanismen kennt die WHO derzeit nicht.
Wesentlich wichtiger sind aber Überlegungen zu einem neuen globalen „Pandemievertrag“ der Nationen, also über rechtlich verbindliche Regelungen, wie Regierungen miteinander umgehen. Etliches an Regelungen kennt bereits die International Health Regulation, wenn es um die Offenlegung von Informationen, wie etwa die genetischen Informationen über einen neuen Virus, oder um transparente Daten des Ausbreitungsgeschehens geht.
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