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Das Ende der Ortlichkeit

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Für Martin-Schumann ist die Globalisierung eine mit der Entfesselung der Kräfte des Weltmarktes verbundene Entmachtung des Staates. Gemeint ist damit der Nationalstaat, an den, wie Narr-Schubert bekräftigen, die moderne Demokratie gebunden ist. Guehenno spricht aus, was vor kurzer Zeit noch als undenkbar galt: das Ende der Nation und der damit verbundene Tod der Politik wird allmählich zum Thema. Chomsky-Dieterich zitieren den argentinischen Ministerpräsidenten Alfonsin: Es gehe um die Ersetzung und Zerstörung des Staates, um der ökonomischen Macht größere Handlungsfähigkeit zu gewähren.

Über welche Mechanismen funktioniert nun der Prozeß des Niedergangs der Politik und der nationalen Souveränität? Zu Recht ist dabei die Steuerhoheit eines der zentralen Themen. Martin-Schumann stellen dazu fest, daß die grenzüberschreitend operierenden Unternehmen fast alle Staaten der Welt in einen Wettbewerb der Steuersysteme verstricken könnten. Nach Geldpolitik, Steuerung von Zinshöhe und Wechselkursen werde damit ein weiterer Kernbereich der nationalen Souveränität untergraben. Nicht die demokratisch gewählten Regierungen entscheiden über die flöhe der Resteuerung, sondern die Dirigenten der Kapital- und Warenströme legen fest, welchen Beitrag sie zur Erfüllung staatlicher Aufgaben - noch - leisten wollen.

Die neue Transnationale lenke überdies einen wachsenden Anteil der staatlichen Ausgaben in ihre Kassen und konsumiere die Früchte eines ruinösen und unsinnigen Subventionswettlaufs. Die Global Player nutzen die Vorteile des Standortes (zum Beispiel die Forschungs- und Ausbildungsinfrastruktur), minimieren aber ihren eigenen Beitrag zum nationalen Steuersystem. Bezeichnend dafür die Aussage von Jürgen Schrempp (Daimler-Benz) zu einem Abgeordneten: Von uns kriegt ihr nichts mehr!

Hinzu kommt, daß globale Spieler die Löhne drücken und damit die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates weiter verringern. Das neoliberale Kieler Institut für Weltwirtschaft sieht die neue Rolle des Staates lapidar in der Funktion eines „Wirtes” für die transnationale Ökonomie. Ähnlich ernüchternd ist die Einschätzung des deutschen Nachrichtenmagazins Spiegel, wenn er die (deutsche) Rundesregierung mit dem Etikett „Kellner des Kapitals” versieht.

Uber einige Ursachen dieser Gestaltungsverluste des Nationalstaats besteht weitgehend Übereinstimmung: Die globalen Anforderungen zwingen dazu, das eigene Land für die transnationalen Konzerne attraktiv zu machen (Narr-Schubert). Staaten, die keine Kapital- oder Talentflucht ins Ausland provözieren wollen, dürften die Steuern nicht über das Niveau vergleichba rer Länder anhe ben (Guehenno).

Der Global Competitiveness Report 1996 faßt diese ökonomischen Zwänge in einem praxisbezogenen Index zusammen, der den Staaten signalisiert, was sie zu tun haben: Danach besteht Wettbewerbsfähigkeit vor allem aus Marktoffenheit für Außeninvestitionen und Welthandel, der (möglichst niedrigen) Ausgabenhöhe für Steuer-und Regulationspolitik, der Qualität der Finanzmärkte und der Infrastruktur, der Flexibilität des Arbeitsmarktes und der Qualität der juristischen und politischen Institutionen im Sinne eines effizienten Rechtssystems, der Respektierung von Verträgen und der Sicherung der Eigentumsrechte.

Guehennos Beitrag bereichert diese Debatte um ein theoretisches Konzept, das über die bekannten Wettbe-werbszwänge hinausreicht. Das von ihm diagnostizierte Ende der Örtlichkeit, welche das konstituierende Element des Nationalstaates istzerstört das staatliche Gefüge. In allen modernen Demokratien habe etwa die Steuer eine territoriale Grundlage, egal, ob Waren, Geschäfte oder Personen besteuert werden. Heute seien die Personen und Unternehmen mobiler und könnten sich der Steuer leicht entziehen. Weil in den multinationalen Unternehmen die verschiedenen Herstellungsphasen desselben Produkts auf mehrere Länder verteilt werden können, werde auch die Lokalisierung des Mehrwerts immer fragwürdiger. Besteuerung sei unter solchen Verhältnissen keine souveräne Entscheidung mehr.

Die bisherige politische Ordnung, so Guehenno, beruhe auf der Grundlage einer durch die Geographie vorgegebenen Pyramide der Verantwortung auf mehreren Ebenen, die sich auf die territoriale Zugehörigkeit gründet. Wenn sich die Tätigkeit des Menschen aus der räumlichen Bindung löse und die Mobilität von Mensch und Wirtschaft das geographische Netz zerreiße, schwinde die räumliche Solidarität der Territorialgemeinschaften. Sie wird durch befristete Interessengemeinschaften ersetzt. Der Nationalstaat wird Gefangener seiner räumlichen Konzeption von Macht. Es stelle sich daher die Frage, ob die Politik eine solche Revolution überleben wird, ob es dann, wenn sich Solidarität nicht mehr geographisch eingrenzen läßt, überhaupt noch Politik geben kann.

Rei Guehenno lassen sich die wahren Dimensionen des Kontroll- und-Hoheitsverlustes des Staates in Zeiten der Globalisierung erahnen. Der Machtverlust durch das Ende der Örtlichkeit erstreckt sich nicht nur auf die großen Unternehmen, sondern auch auf Talente, aber auch dabei bleibt es nicht. Knoke schildert die Entstehung eines neuen Typus des Unternehmens, das über eine ortlose Organisation verfügt, modular organisiert ist und dessen Teile durch die ebenfalls ortlosen Informationstechnologien verbunden sind.

Diese Gebilde, Knoke nennt sie treffend „Amöben”, haben mit dem alten Unternehmen nicht viel gemeinsam. Es handelt sich um fluktuierende, oszillierende, fraktale Muster von Vertragsbeziehungen, Kooperationen und Produktionen, die sich in perfekter Weise dem staatlichen Zugriff entziehen können.

Auch Knoke zweifelt daher nicht daran, daß das 21. Jahrhundert im Drama der großen Nationalstaaten als letzter Akt in die Geschichte eingehen wird. Die Landkarten des 21. Jahr hunderts seien nicht mehr zweidimensional, sondern gleichen Hologrammen, sie stellen einen vierdi-mensionalen, von Interessenwirbeln überlagerten Raum dar, wobei jeder Wirbel komplexe, über riesige Gebiete verstreute Stammeszugehörigkeiten mit gemeinsamen Gewohnheiten, Handelsaktivitäten und Sprachen repräsentieren werde.

Das ganze Drama zeigt sich an Hand des geradezu magisch verklärten Regriffes des Standortes. Nichts charakterisiert besser die Abhängigkeit und Schutzlosigkeit territorial angelegter Strategien als dieser Zentralbegriff der heutigen nationalen Wirtschaftspolitik. Die Logik des Stand-ortarguments ist die einer im wahrsten Sinne des.Wortes statischen Auslieferung an ein turbulentes Umfeld. Wer sich aber in einem hochmobilen und dynamischen Umfeld nicht bewegt, hat schon verloren.

Wie aber soll sich ein TerritoriaT staat bewegen (siehe dazu Seite 15)?

K.F. politiker als „marionetten” der konzerne?

Lorenz Fritz, Generaldirektor von Alcatei. Alstria:

Es stimmt, daß heute mehr als 50 Prozent der weltweiten Wertschöpfung von internationalen Unterneh men auf Basis

Foto Alcatol globaler Entscheidungen erbracht werden. Das heißt, wir leben bereits mit der Globalisierung. Andererseits wird es immer einen Teil der Wirtschaftsaktivitäten auf regionaler beziehungsweise nationaler Ebene geben. Ich kann nicht sehen, daß österreichische Politiker Marionetten multinationaler Unternehmen sind beziehungsweise werden. Es regieren nicht multinationale Konzerne, sondern Wirkmechanismen einer globalen Weltwirtschaft. Nationale Politik wird dabei genausowenig überflüssig wie lokales Management. Allerdings werden wir uns alle auf eine ganz andere Welt einstellen müssen. Nicht umsonst leben wir in einer Zeit des Paradigmen-wechsels.

Werner Clement, Institut fCr Volkswirtschaftstheorie und -politik der wlrtschaftsumver-sitat Wien:

Richtig ist, daß je nach Betrachtungsweise bis zu zwei Drittel des Welthandels direkt oder indirekt von multinationalen Un- Fotonentruni ternehmen beherrscht werden. Im Zeitalter der Globalisierung ist es aber nur natürlich, daß die jeweilige Standortqualität ausgenützt wird. Auf diese Weise kommt es zu einer internationalen Arbeitsteilung.

Es ist nicht so, daß Politiker Marionetten multinationaler Unternehmen sind, vielmehr werden die starren Strukturen der Politiker durch eine globale Unternehmenspolitik aufgebrochen. Es liegt an der nationalen Souveränität, die Standortqualitäl bestmöglich zu fördern und auf diese Art und Weise dauerhaft Arbeitsplätze zu sichern. Protektionismus hat noch nie Arbeitsplätze gesichert.

Helmlt Kramer, Leiter des Instituts FÜR WlRTSCHAFI'SFORSCHUNG: Die Liberalisierung und Öffnung nationaler Märkte ist eine wichtige Triebfeder wirtschaftlicher Entwicklung. Nicht nur weltumspannende Konzerne, sondern auch bisher national orientierte Klein- und Mittelunternehmen können die neuen Möglichkeiten wahrnehmen. Gleichzeitig setzt das aber eine Abtrennung traditioneller Einflußmöglichkeilen durch nationale Regierungen voraus. Deshalb sind internationale Spielregeln für den Wettbewerb, für die Besteuerung, für Umwelt- und Sozialstandards notwendig. Im Weltmaßstab hat die World Trade Organisation diese Aufgabe, in Europa die Europäische Union.

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