Die Mechanik der Gefährdung

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Wie der Neokapitalismus in Gemeinschaft mit den Rechten und einigen Reichen die Fundamente der Demokratie gefährdet, und was man als Bürger dagegen tun kann.

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Wie der Neokapitalismus in Gemeinschaft mit den Rechten und einigen Reichen die Fundamente der Demokratie gefährdet, und was man als Bürger dagegen tun kann.

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Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte bestimmten zunächst der Neoliberalismus und dann Bewegungen, die gewöhnlich xenophob-populistisch genannt werden, das Zeitgeschehen. Gemäßigte Parteien wurden in die Ecke gedrängt oder versuchten, diese neuen Bewegungen zu imitieren. Weder der Neoliberalismus noch der Populismus sind in sich anti-demokratisch. Sie sind beide legitimer Ausdruck von politischen Werten und Interessen. Trotzdem beinhalten sie auch Gefahren für die Demokratie, wenn ihre Vorreiter sich in einer gewissen Weise verhalten und ihre Gegner diese Gefahren nicht ernst nehmen. Interessanterweise sind diese Gefahren gegensätzlicher Natur. Eine starke Demokratie hat zwei charakteristische Merkmale: Die Möglichkeit für Bürger, die etablierten Eliten mit verstörenden Forderungen zu konfrontieren. Und Institutionen außerhalb der Demokratie selbst, die ihre Operationen schützen, im Speziellen vor dem Verhalten von Gesetzgebern. Neoliberale Eliten versuchen, sich gegen diese Institutionen zu isolieren, sind aber gleichzeitig starke Verteidiger von stabilisierenden Institutionen, welche die Macht der Gesetzgeber einschränken. In der Tat unterstützen sie die Post-Demokratie: Formal gleichgestellte Institutionen, die eine Basisfunktion ausüben, aber von ihrer demokratischen Kraft verloren haben. Xenophobe Populisten, oder die Alt-Right-Bewegung sind Anhänger des ungebremsten Ausdrucks des Volkszorns. Sie sind deshalb ungeduldig mit Institutionen, die den Ausdruck des Zorns einschränken, oder besser gesagt ihre Führer.

Die Neoliberalen werden zu einer Gefahr für die Demokratie, wenn sie versuchen, den demokratischen Inhalt der schützenden Institutionen zu minimalisieren. Die Alt-Right-Bewegung ist eine Gefahr, wenn sie die Freiheit der Regierenden von diesen Institutionen anstrebt.

Als der Neoliberalismus begann, die totale Macht in der politischen Ökonomie der hoch industrialisierten Länder zu übernehmen, wurde sein Hang zu einer stark beschnittenen Demokratie klar, geprägt von neoliberalen Theoretikern, von Friedrich von Hayek aufwärts. Der Geist von Hayek und sein intensives Misstrauen gegen die Demokratie wurden von zahlreichen Beobachtern im Umgang mit Griechenland und Italien in der Eurokrise gesehen. Die nationalen Regierungen wurden nicht nur überstimmt und in zwei Fällen sogar gewechselt. Es gab auch bloß eine spezifisch ideologische Interpretation davon, wie nationale Budgets stabilisiert werden können, wo dies nicht die einzige Alternative gewesen wäre.

Ein noch größerer Angriff auf die Demokratie war schon die vorangegangene Liberalisierung der Finanzmärkte, die selbst eine der Hauptursachen für die Instabilität des Euro war. Indem man diese Märkte praktisch ohne jede Aufsicht agieren ließ, verwirklichte die Deregulierung den Traum der Neoliberalen von einen Kernbereich, der der demokratischen Kontrolle entzogen ist. Diese Kontrolle blieb auf den Nationalstaat beschränkt. Das wiederum hatte Folgen für die Befugnisse von Regierungen über fiskale, soziale und andere politische Kernkompetenzen.

Die Ausschaltung der Werte

Der Neoliberalismus hat auch die Demokratie geschwächt, indem er den Stellenwert von Werten in der politischen Debatte unterminiert hat. Es lehrte Generationen von Politikern, dass Menschen von materialistischem Eigeninteresse motiviert seien und nicht anders adressiert werden müssten denn als Kunden, die Produkte erwerben. Außerdem prahlten neoliberaler Denker, dass sie die meisten Entscheidungen auf dem Markt auf eine Kostenkalkulation zurückführen könnten. Weil niemand ernsthaft eine Verschwendung von Ressourcen will, so das Argument, würden wir alle, vor die Wahl gestellt, die effizienteste Sache -und die Kosten-schonendste -auswählen. Damit wurde Auswahlprozesse generell technisiert. Das begrenzt die politische Wahlmöglichkeit, die sich eigentlich um Werte und Ziele dreht. Es ist aber nicht möglich, Diskussionen über Werte aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten in der Weise, wie sich das der Neoliberalismus wünscht. Das Streben nach Effizienz kann sich nur auf die Mittel beziehen. Es kann nicht für uns auswählen, welches die Ziele sind, die wir effizient erreichen wollen.

Der fortdauernde Siegeszug des Neoliberalismus über die Wirtschaftspolitik hatte aber auch gewisse Elemente eines Pyrrhussieges. Zunächst unterminierte das intime Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft das eigene Dogma, dass Politik und Wirtschaft voneinander getrennt sein sollten. Dieses Gesetz wurde zu einer semidurchlässigen Membran. Die Regierungen enthielten sich der Einflussnahme auf die Marktwirtschaft, während Lobbys Regierungen für alle Arten von Gefallen gewinnen konnten, von Gesetzesänderungen bis hin zur echten Korruption. Viele der bevorzugten neoliberalen Politiken, etwa Privatisierungen, halb-private Finanzinitiativen, intensiv gehebelte Aktienmärkte, die Maximierung des Sharehoder Values als einziges Ziel eines Unternehmens oder der Rückbau der Sozialstaaten wurden zum Desaster.

Die sich verstärkenden Ungleichheiten, die durch die Finanzialisierung und durch die sinkende Macht der Gewerkschaften ausgelöst wurden, führten zu einer weitgehenden Schuldenerhöhung in den Haushalten von Mittel-und Kleinverdienern, die versuchten, ihr Konsumlevel aufrecht zu erhalten. All das war aber auch notwendig, damit der Kapitalismus seine Profite weiter generieren konnte. Die Finanzkrise selbst war eine Konsequenz dieses Prozesses. Weiters erkannten internationale Wirtschaftsinstitutionen, wie der IWF oder die OECD, dass die sich vergrößernde Ungleichheit die Funktionsweise des ökonomischen Systems gefährdete, vor allem im Kernland des Neoliberalismus: den USA, aber auch darüber hinaus.

Die engen Beziehungen zwischen Regierungsbeamten und Business-Eliten fernab der demokratischen Überwachung verursachte Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Beeinflussung von politischen Entscheidungen. Zweitens fütterte die Gegenreaktion gegen den Neoliberalismus eine pessimistische Nostalgie, die hinter dem xenophoben Populismus steckt. Diese Gegenreaktion hatte das neoliberale Projekt der Globalisierung als einen seiner Gegner.

Auf der einen Seite würde eine Rückkehr zum Protektionismus in der entwickelten Welt einen großen Rückschlag für das neoliberale Projekt bedeuten. Auf der anderen Seite ist die Beziehung zwischen diesen beiden Mächten zwiespältig. Das zeigt sich sehr deutlich bei der Wirtschaftspolitik der Trump-Administration. Ihre geplante Rückkehr zum Protektionismus gefährdet den Freihandel. Andererseits hat die gleiche Regierung Versuche zunichte gemacht, die globalen Finanzmärkte wieder in die gesetzliche Sphäre zurückzuführen, wie Präsident Obama sie initiiert hatte. Der Trump'sche Protektionismus lässt das mächtigste und antidemokratischste Mittel des Neoliberalismus, die unregulierte Finanzindustrie, unkontrolliert. Die Finanzmärkte sind deshalb weiterhin in der Lage, auch durch die Aufrechterhaltung des Shareholder-Maximierungs-Modells, nationale Politiken zunichte zu machen. Der Minen-und Güterproduktionssektor, den Trump zu schützen vorgibt, bleibt diesen Kräften ausgeliefert.

In Wahrheit offeriert Alt-Right dem Neoliberalismus einen Deal: Akzeptiere nationale Restriktionen bei einigen deiner Tätigkeiten, und der Rest bleibt frei. Der öffentliche Zorn wird von dir weg Richtung Immigranten und Ausländern geleitet. Ein solches Angebot lässt die neoliberale Geschäftswelt geteilt zurück, weil die Alt-Right-Bewegung nicht nur damit droht, nationale Politiken zu schaffen, sondern auch eine unkontrollierte, anti-institutionelle politische Führung zu schaffen, die für Wirtschaftsinteressen zutiefst problematisch ist.

Für ihren Teil hat die pessimistische Nostalgie erfolgreich den Wert der Freiheit in der neoliberalen Politik herausgefordert. Eine herausragende Eigenheit der Europadebatte in UK war die Antwort der Brexit-Befürworter auf das Argument, dass die Wirtschaft durch einen so drastischen Schritt gefährdet würde. Es stehen aber nicht nur materielle Interessen auf dem Spiel, so das Argument, es könnte sogar besser sein, Einschnitte im Lebensstandard hinzunehmen, um die kulturelle Identität und die Werte der Nation zu bewahren -vor der Zerstörung durch Einwanderer und dem Zwang, mit anderen Staaten kooperieren zu müssen. Die pessimistische Nostalgie ermutigt die Vertreter verschiedener Werthaltungen, die sich für Jahre vernachlässigt fühlten, sich nun auszudrücken. Eine starke Demokratie muss dieses Sich-ausdrücken aber ermöglichen.

Die Gefahr der Alt-Right-Bewegung stammt nicht aus dem Inhalt ihrer Werte und Ideen, sondern von ihrem Angriff auf die Institutionen, welche die Demokratie schützen. Diese Gefahr erscheint in drei Formen. Erstens, indem die politischen Führer dieser Bewegungen glauben, dass sie Recht haben. Deshalb sind sie im besten Fall rücksichtslos und im schlechtesten Fall verdammend Institutionen gegenüber, die sicherstellen, dass die Politiker ihre Macht nicht missbrauchen. Zweitens machen sie Gebrauch von Ressentiments und schüren Hass gegenüber Gruppen, die nicht besonders mächtig sind, aber Vorteile genießen. Schlimmstenfalls führt das zu echter physischer Gewalt. (Das Gleiche gilt für linksgerichtete politische Gruppen, die Hass auf Reiche nutzen, anstatt eine Kritik am System zu artikulieren, das Ungleichheit schafft.)

Der dritte Faktor ist, wie die Alt-Right-Bewegungen die sozialen Medien nutzen. Auf der einen Seite stellen die neuen Medien außerordentliche Möglichkeiten zur Verfügung, um neue Anliegen zu verbreiten oder Transparenz in Themen zu bringen, welche die Mächtigen in Politik und Business lieber verborgen gehalten hätten. Auf der anderen Seite wissen wir, was großer privater Reichtum und, zumindest im Falle Russlands, die Staatsmacht tun können, um einzunehmen, zu manipulieren und abzulenken.

Moderne Gesellschaften verfügen über wesentlich breitere Ressourcen des Wissens als vorangegangene Gesellschaften. Aber es wird immer leichter für reiche Interessengruppen, den Besitz und die Kontrolle des Wissens zu privatisieren, indem sie etwa Monopole errichten, oder Wissen illegal korrumpieren. Auf diese Art wird unsere Abhängigkeit von Wissen zu einer Abhängigkeit von Interessen Reicher, deren Ethik gerade einmal so hoch steht, wie die höchst imperfekten Märkte ihnen das vorschreiben.

Neue Formen der Kommunikation

Die Kontrolle über neue Formen der Kommunikation wird ergänzt durch die Attacken der Alt-Right auf Formen des Wissens, die bisher außerhalb ihrer Kontrolle lagen, etwa professioneller Journalismus und Wissenschaft. Zusammengenommen ergeben diese Entwicklungen ein beunruhigendes Umfeld, in dem es schwer ist, zu wissen, was kommuniziert wird, wie wir es verifizieren können und wer es kontrolliert.

Demokratie braucht zu ihrem eigenen Bestehen und ihrer Vitalität die Existenz von Institutionen, die selbst nicht demokratisch sind. Unabhängige Gerichtshöfe und die Unterordnung der Regierung unter die Kontrolle des Gesetzes sind die grundlegendsten und am besten etablierten dieser Einrichtungen. Deshalb ist es beunruhigend, dass so viele Alt-Right-Bewegungen die unabhängigen Gerichte als Feinde des Volkswillens angreifen, nur weil diese zu Entscheidungen kommen, die den Populisten unangenehm erscheinen. Beispiele dafür gibt es in Ungarn und Polen, in drohenden Reden von Trump und Salvini und den Protagonisten des Brexit, sowie auf der linken Seite in Venezuela und anderswo in Lateinamerika oder von der Syriza in Griechenland.

Die EU ist weniger empfänglich für Missbrauch als jede einzelne Nation, aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Staaten mit einem breiten politischen Spektrum, das sich beständig durch Wahlen ändert. Sie ist eine wertvolle Ergänzung in der Waffenkammer des Demokratie-Schutzes. Sie ist es, die mit einigem Erfolg die Einmischung in den Rechtsstaat in Ungarn und Polen verhindert.

In der Postdemokratie bleiben Institutionen, die Bürger vor den Regierungen beschützen, aufrecht. Dennoch -wenn die Bürger nicht wachsam bleiben (und mangelnde Wachsamkeit ist ein wichtiges Symptom der Postdemokratie), dann können diese Institutionen wie fälschlich sichere Panzerungen aussehen, hinter denen anti-demokratische Manipulation blüht. Deshalb ist eine meiner Hauptbotschaften in "Postdemokratie", dass die Gesundheit von Demokratien von aktiven Bürgern abhängt, also von uns selbst. Parteien, Regierungen und andere politische Institutionen können das nicht garantieren.

Der Autor ist Politologe und Soziologe in London, sowie Autor des Buches "Postdemokratie"

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