Was gefährdet unsere DEMOKRATIE?

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"Der Stellenwert des Kompromisses und die dazu nötige Differenzierung gerät im öffentlichen Diskurs zunehmend unter Beschuss."

"Auch Journalismus bedarf in der Demokratie einer Aufklärung -darüber wie seine Arbeit funktioniert und wie Geschichten entstehen. Ähnlich wie erklärt wird, wer in Brüssel was entscheiden darf."

Es geht um Demokratie. Es geht darum, frei wählen zu können, um Meinungs- und Pressefreiheit. Es geht um Gewaltenteilung, um Grund-und Menschenrechte; um Gleichberechtigung und den Schutz von Minderheiten. Und es geht um die Erhaltung einer Staatsform, die zwar kein zuverlässiger, aber doch der bisher beste erprobte Schutz gegen Krieg und Zerstörung war. Um jene Staatsform also, die Winston Churchill einst "die schlechteste aller Staatsformen" nannte. "Abgesehen von all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden." Aber ebendiese Demokratie scheint heute bedroht, wie vielfältige öffentliche Debatten suggerieren; bedrohter, als die meisten das noch vor einigen Jahren für möglich hielten. "Es sieht so aus, als wäre die Verfassungsform der Demokratie in den letzten Jahren an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangt", sagt der Verfassungsjurist Heinz Mayer im Gespräch mit der FURCHE. Die politische Entwicklung in Ländern wie Italien, Polen, Ungarn und den USA unter Donald Trump würden ebenso darauf hinweisen, wie der eingeleitete "Brexit". Demokratie sieht Mayer als Prozess, als Verfahren, das Interessenausgleich in der Gesellschaft ermöglichen soll. Schließlich liege es in ihrem Wesen, dass Menschen mit verschiedenen Interessen und Weltanschauungen über die Zukunft des Landes entscheiden.

Fähigkeit zum Kompromiss?

Ebendas sieht Mayer als den entscheidenden Vorteil der Demokratie - sie zwingt zum Kompromiss: "Kompromissfähigkeit und der Kompromiss als solcher sind das Um und Auf in einer Demokratie." Doch der Stellenwert von Kompromissbereitschaft und der dazu nötigen Differenzierung geriet im öffentlichen Diskurs zuletzt zunehmend unter Beschuss. Das zeigte sich gerade an stark emotionalisierten Themen wie der sogenannten "Flüchtlingskrise".

Zuletzt ist das Thema auch aus den heimischen Medien weitgehend verschwunden. Im Fokus stand die neue Regierung; die Antrittsbesuche von Kanzler Sebastian Kurz in Frankreich und Deutschland etwa bündelten in den vergangenen Wochen viel Aufmerksamkeit. Aber ist die "Flüchtlingskrise" schon vorbei?

Im Gegensatz zur Zeit der großen Flüchtlingsbewegungen im Sommer 2015 kommen heute ungleich weniger Menschen zu uns. Und viele, die gekommen sind, kehren wieder in ihre Heimat zurück, wenn es dort wieder so etwas wie Frieden gibt. Dennoch sind nach aktuellen UNHCR-Zahlen so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor. Von 65,6 Millionen ist die Rede -Tendenz steigend. Jeder zweite Flüchtling ist ein Kind. Menschen flüchten vor Krieg, vor dem Klimawandel, vor prekären Arbeits- und Lebensbedingungen ("Wirtschaftsflüchtlinge" nennt man das dann). Es sind große Aufgaben, die sich unseren Demokratien dadurch stellen.

Aufregung statt Reflexion

So sagte der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer -nach Eigendefinition "demokratischer Optimist und optimistischer Demokrat" - erst kürzlich in einem Vortrag zum Thema Demokratie im Audimax der Uni Wien: "Demokratie ist kein Patentrezept mit unbegrenzter Erfolgsgarantie und wird es wahrscheinlich auch nie sein." Die Erfahrung schaffe aber "Zukunftshoffnung, dass Demokratie eine Regierungsform ist, mit der moderne Gesellschaften sich am besten entwickeln können, am besten in der Lage sind, die Menschenwürde zu schützen und doch auch Stabilität zu entwickeln."

Auch in einer Demokratie ist die Ausführung von Rechtsstaatlichkeit immer wieder Bewährungsproben ausgesetzt. Organisierte Kriminalität und Parallelgesellschaften; Politikverdrossenheit und Populisten; extremistische Positionen und sich aufschaukelnde Konflikte zwischen Gruppierungen an den politischen Rändern; sie alle bedrohen unsere Demokratien. Manche in der Politik reagieren darauf mit einer Forderung nach mehr direkter Demokratie. Der mündige Bürger ist gefragt.

Auch der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck appellierte bei der Podiumsdiskussion im Audimax an das Publikum: "Lasst uns eine bewusstere Debatte in der Mitte der Gesellschaft führen!" Angela Merkel habe seine "evangelischen, positiv menschlichen Vorstellungen von Einwanderungspolitik und Flüchtlingspolitik umgesetzt. Ich sage dazu: Unser Herz ist weit, unsere Möglichkeiten sind aber endlich. Wir Demokraten in der Mitte der Gesellschaft stoßen in der Flüchtlingspolitik auf eine Problemfülle, über die wir sprechen müssen!"

Das gilt umso mehr, als gangbare Alternativen zur Demokratie nicht in Sichtweite sind. "Ich bin überzeugter Demokrat. Meiner Meinung nach gibt es keine ernsthafte Alternative zur Demokratie", sagt Verfassungsrechtler Mayer. "Und es gibt keine Demokratie ohne demokratisch gesinnte, das heißt auch um das Gemeinwohl besorgte, Bürger. Wenn sich Menschen nicht um das Gemeinwohl annehmen und sich jeder nur um eigene Interessen kümmert, dann werden demokratische Systeme nicht sehr leistungsfähig sein. Diese Gefahr sehe ich in großer Deutlichkeit."

Auch im Wesen moderner Kommunikationstechnologien schlummern durchaus Gefahren für demokratische Systeme. Der Kommunikationshistoriker Fritz Hausjell verortet soziale Medien als wesentliche Plattformen für heutige gesellschaftliche Auseinandersetzung. Dort bekomme man aber einerseits "more of the same auf der gleichen timeline" zugespielt, wodurch bei Rezipienten häufig ein Bild von der Welt entstehe, das der gesellschaftlichen Realität anderer Milieus kaum entspreche. Andererseits werden Themen häufig stark zugespitzt und als "Aufreger" diskutiert. Ruhige Reflexion aus der Distanz bleibt aus.

EU-Vorsitz als Nagelprobe

Einige Medien betreiben aber auch Aufklärung; etwa darüber, wie Falschmeldungen, die vielzitierten "Fake News", entstehen. Und sie zeigen, wie verantwortungsvoller Journalismus in einer Demokratie funktionieren kann. Hausjell plädiert dafür, dass Medien erklären, wie ihre Arbeit funktioniert und wie Geschichten entstehen. Die meisten Leser, Zuhörer und "Klicker" hätten diesbezüglich schließlich wenig Einblick. Laut Hausjell bedarf Journalismus in einer Demokratie einer Aufklärung; ähnlich wie auch erklärt werde, wie Demokratie in Brüssel funktioniere und wer dort was entscheide.

Im Mittelpunkt der Antrittsreise von Kurz bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel stand aber die Flüchtlingspolitik -nicht zuletzt, weil Österreich im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Präsidentschaft übernimmt. Merkel und Kurz demonstrierten Einigkeit darüber, dass illegale Migration reduziert und die Außengrenzen gestärkt werden sollen. Kurz artikuliert seit den großen Flüchtlings-und Migrationsbewegungen 2015 regelmäßig seinen Standpunkt, die Antwort auf globale Migration liege in einem starken Schutz der Außengrenzen und "stärkerer Hilfe vor Ort". Das, so Kurz, wäre die Basis für ein Europa ohne Grenzen nach innen.

Es bleibt der Ausblick auf den österreichischen EU-Vorsitz in der zweiten Jahreshälfte. Wie wird sich die Bundesregierung im Hinblick auf die Herausforderungen für europäische Demokratien präsentieren? In der Frage, welche Akzente gesetzt werden, wie man sich angesichts steigender innerer Spannungen in der EU positioniert, darf der Ratsvorsitz als erste echte Bewährungsprobe für das türkis-blaue Kabinett gelten.

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