7134703-1997_42_02.jpg
Digital In Arbeit

(K)Eine Lobby für die Verlierer

19451960198020002020

Eine „Social-Peace-Bewegung” gegen die Auswüchse des globalen Kapitalismus (siehe FURCHE 41) wurde kürzlich im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg gefordert.

19451960198020002020

Eine „Social-Peace-Bewegung” gegen die Auswüchse des globalen Kapitalismus (siehe FURCHE 41) wurde kürzlich im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg gefordert.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Globalisierungsdebatte verweist zu einem geringen Teil auf harte Tatsachen, ist überwiegend ideologischer Nebel, und Waffe im Verteilungskampf, sagte Friedhelm Hengsbach SJ, der bekannte Professor für christliche Sozialethik am Oswald-von-Nell-Breu-ning Institut in Frankfurt kürzlich im Rahmen seines Beitrages „Global denken - Sozial handeln” im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg. Auf dem Programm der bayerisch-österreichischen Tagung stand das Thema „Die Globalisierung als Herausforderung für die christlichen Kirchen”. Ganz deutlich wurden dort Kritik und Widerspruch gegen das Phänomen des grenzenlosen, weltweiten Wettbewerbs laut.

Derzeit versuchen die einzelnen Nationalstaaten, sich gegenseitig Konkurrenz durch Sozialdumping, Okodumping und Steuerdumping zu machen, analysierte Friedhelm Hengsbach. Diese Spirale geht aber nach unten, und am Ende stehen alle schlechter da. Gleichzeitig wird auf einzelne Unternehmungen und Gruppen von Arbeitnehmern immer mehr Druck ausgeübt. Er warnt davor, die derzeitige Globalisierungsdebatte überzubewerten. Schließlich zieht sich die Globalisierung seit einem Jahrhundert dahin. Die Außenhandelsstatistiken der meisten Industrieländer zeigen nichts von einem Globalisierungsdruck. Mit den Schlagworten Standortschwäche, Senkung des Lohnniveaus, und Globalisierungsdruck wird das Volk auf den Arm genommen. Hengsbach forderte, mit den Glaubenssätzen der derzeitigen Wirtschaftspolitik Schluß zu machen. Im Gegenteil, es kommt darauf an, den Kapitalismus demokratiefähig zu machen.

Für den einzelnen wird eine Veränderung des Arbeitsverständnisses entscheidend sein. Die heute allein vorherrschende Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit muß ergänzt werden durch Kapital- und Sozialeinkommen. Hengsbach kann sich vorstellen, zukünftig teilweise einer Erwerbsarbeit nachzugehen, ferner Pflege- und Erziehungsarbeit zu leisten, sowie sich politisch zu engagieren. Alle diese Arbeitsformen zusammen ergeben ein Einkommen, von dem der einzelne leben kann.

Primat der Mächtigen und Erfolgreichen

„Die Globalisierung der Märkte sichert nicht aus sich heraus die Errichtung einer Weltgesellschaft”, so die Mitarbeiterin des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden (Ju-stitia et pax), Cecilia Nicoletti, Rom. Weil das Kapital auch weiterhin mehr gilt als die Arbeit, ist das herrschende Wirtschaftsmodell nicht in der Lage, die Armen zu integrieren. So hat sich seit 1980 das Gefälle zwischen den reichen und den ärmsten Ländern verdoppelt. Es darf nicht übersehen werden, daß trotz weltweit boomender Aktienmärkte etwa 100 Länder von Rezession oder Stagnation betroffen sind. Dabei ist die Geschwindigkeit im internationalen

Konkurrenzkampf so hoch, daß diejenigen, die in der zweiten Startreihe stehen, immer stärker institutionell benachteiligt werden. Dies gilt besonders für viele afrikanische Länder, die immer weniger ausländische Privatinvestitionen erhalten, und dies bei zurückgehenden Entwicklungshilfeleistungen der öffentlichen Institutionen.

Angesichts dieser Situation ist der Privatsektor mit seinen transnational agierenden Konzernen, die am meisten von der Globalisierung profitieren, herausgefordert, Verantwortung zu übernehmen, um gerechtere Lösungen herbeizuführen.

Dringend wird eine neue Kultur der internationalen Zusammenarbeit benötigt:

■ Hierzu gehört das Einbeziehen sozialer Klauseln in Handelsabkommen und der Schutz der Arbeiterrechte im internationalen Wettbewerb. Diese Instrumente dürfen nicht zu protek-tionistischen Zielen mißbraucht werden, sondern müssen als wirksamer Beitrag gegen Deregulierung und „social dumping” eingesetzt werden.

■ Die Welthandelsorganisation (WTO) ist aufgefordert, sich nicht mehr an kurzfristigen Interessen zu orientieren, sondern zu erkennen, daß die Integration der ärmsten Entwicklungsländer in das Welthandelssystem für dieses System selbst wesentlich ist. Statt einer Olympiade des Wettbewerbs brauchen wir solidarische Regeln des Welthandels.

Die Kirchen sind von diesen Entwicklungen der Globalisierung besonders herausgefordert, weil sie von ihrer Aufgabe her die Menschen zu einer größeren Einheit zusammenbringen wollen, sowie Spaltungen und Barrieren sowohl zwischen einzelnen als auch Völkern überwinden helfen.

Dazu ist die Umsetzung von Solidarität auf persönlicher, gemeinschaftlicher und institutioneller Ebene notwendig. Hierbei müssen alle Kirchen gegen neuheidnische Denkmuster ankämpfen, die immer ungenierter den ethischen Primat des Mächtigen und Erfolgreichen vor dem Schwachen und des Großen vor dem Kleinen verkünden, während das Soziale und Gemeinschaftsprojekte abgewertet werden. Der Protagonist der postmodernen Kultur, Woody Allen, formulierte: „Warum soll ich mich um die Nachkommen sorgen, was haben die Nachkommen für mich getan?” Diese Äußerung Woody Allens wurde von Frau Nicoletti als typisch für den Zeitgeist abgelehnt. Vielmehr muß sich unsere Gesellschaft der Grundfrage „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?” neu stellen. Gegen alle Tendenzen von feindseliger Abgrenzung fordert sie Zeugnis evangelischer Solidarität, einer wunderbaren Botschaft der Geschwisterlichkeit, die die Sorge um die Armen an die erste Stelle setzt.

Dabei stellt NicolefiT'Handlungs-bedarf bei den Kirchen selbst fest, die in der Vergangenheit beim Kampf um soziale und ökonomische Rechte nicht immer an der vordersten Front gekämpft haben.

Bei der Abschlußdiskussion waren neben Frau Nicoletti, Friedhelm Hengsbach auch der Wirtschaftswissenschaftler Mathias Binswanger aus . St. Gallen und der evangelische Theologe Geiko Müller-Fahrenholz aus Bremen beteiligt (siehe nebenstehenden Beitrag):

Angesichts der Verpflichtung der großen Aktiengesellschaften, den Anteilseignern einen optimalen Share-holder-value zu gewährleisten, stehen diese Unternehmen unter einem dynamischen Wachstumszwang. Der sich daraus ergebende Widerspruch zur christlichen Ethik ist derzeit nicht auflösbar, so der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Mathias Binswanger. Damit sind die Interessen der Natur und der arbeitenden Menschen immer zweitrangig, sodaß neue Allianzen gefordert sind, um die Wertvorstellungen christlicher Ethik durchzusetzen.

Friedhelm Hengsbach forderte die Kirchen zur Entscheidung auf, sich selbst weniger als Moralanstalt des Staates zu verstehen. Die Kirchen müssen sich vielmehr mit allen gesellschaftlichen Organisationen, wie zum Beispiel den Gewerkschaften, den Umweltverbänden und den Entwicklungshilfeorganisationen verbünden. Nur so kann verhindert werden, daß die Spaltung zwischen den Ländern des Nordens und des Südens auch auf die Staaten Europas und ihre Gesellschaften übertragen wird. Cecilia Nicoletti sieht eine große Schwächung der Vertragskraft der Gewerkschaften. Dieses Problem können die Gewerkschaften nur lösen, wenn es zu Vernetzungen auf internationaler Ebene kommt. Auf diesem Gebiet muß der Vorsprung der Kapitalseite eingeholt werden, um wieder Waffengleichheit herzustellen. Außerdem sind die Gewerkschaften gefordert, die Interessen der Arbeitslosen und Randgruppen in ihre Arbeit zu integrieren.

Geiko Müller-Fahrenholz betonte, daß die gegenwärtige Entwicklung viele Menschen verängstigt und unter Druck setzt. Dies führt bei vielen zu Apathie, Lustlosig-keit, Festhaltementalität und Abschottung. Dadurch werden viele für fundamentalistische Strömungen an-fällig. '

Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig darin, daß eine Social-Peace-Bewegung in Europa gebildet werden muß als neue Allianz von Kirchen, Gewerkschaften, Kleinunternehmen, Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und Entwick-lungshilfeorganisationen. Bei 10.000 Lobbyisten von Unternehmen in Brüssel sollten mehr als die bisher über 100 Gewerkschafts- und Kirchenvertreter Einfluß auf die EU-Politik nehmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung