Gerechtigkeit - ewige Sehnsucht?

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Das diesjährige Europäische Forum Alpbach (18. 8. - 3. 9.) steht unter dem Generalthema "Gerechtigkeit - Verantwortung für die Zukunft“. Im Bereich der internationalen Politik und Wirtschaft aber auch innerhalb der westlichen Industrieländer stellt sich unabweislich die Frage nach einer gerechten Verteilung von Lebens- und Zukunftschancen.

Traditionell hat das Europäische Forum Alpbach Generalthemen philosophischer Art mit Zeitbezug gewählt. Seit einiger Zeit entscheidet sich das Kuratorium, bestehend aus Wissenschaftern, stärker für Themen mit emotionalem Aspekt. Vor zwei Jahren war es "Vertrauen“ - offensichtlich eine Vermisstenanzeige - heuer ist es "Gerechtigkeit - Verantwortung für die Zukunft“. Die Fragestellung ist zweifellos zeitlos, der Zeitpunkt aber infolge der wirtschaftlichen und sozialen Veränderung, des "global village“, der Unruhen an vielen Punkten der Welt und des Mangels an Wertorientierung nicht verwunderlich. Rudolf Taschner hat in seinem mit Fleiß erstellten Buch über Gerechtigkeit ("Gerechtigkeit siegt - aber nur im Film“) die Aussichtslosigkeit vermittelt, eine objektive Formel zur Lösung zu finden.

Gesundheit: Pflege & Prophylaxe

Er hat recht! Trotzdem hat das Wort Aufforderungscharakter und entspricht den Sehnsüchten der Menschen. Überprüfen wir uns selbst! Wie oft fühlen wir uns ungerecht behandelt? Erst recht, wenn wir an unsere Stellung, unser Einkommen denken. Die Ordnungen der Politik, der Wirtschaft und unseres sozialen Zusammenlebens sind begleitet von dem Gefühl, dass uns nicht hinreichend Gerechtigkeit widerfährt. Sagen wir aber nicht auch: "Geschieht ihm/ihr recht!“ Also finden wir oft so manches gerecht, was es für den Betroffenen eher nicht ist. Unsere Systeme sind ständig von diesen Fragestellungen begleitet, wobei Generationen und Regionen unterschiedliche Urteile darüber haben. Es entsteht sofort die Frage: Wonach urteilen wir? Das auszuloten versucht das Forum 2011 in allen Rückfragen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Sehnsucht nach Wertvorstellungen begleitet unsere Zeit offensichtlich aufgrund des Mangels allgemein verpflichtender Regeln.

In den letzten Jahren haben insbesondere die jungen Teilnehmer auf die Seminarwoche einen großen Wert gelegt. Es sind Orte der Mitwirkung, die in den verschiedensten Dimensionen von der Philosophie bis zur Medizin, von der Naturwissenschaft bis zu den Rechtssystemen die Möglichkeit geben, sich zu artikulieren. Das wird insbesondere unter dem Thema Gerechtigkeit sehr interessant sein, weil sich daraus auch weitergehende Diskussionen entwickeln. Eine weitaus präzisere Aufgabenstellung haben die Sommerschulen, die wir im Bereich der europäischen Integration und von "Health Care and Social Systems in Transition“ durchführen. Auch da kommt das Defizit an gerechter Verteilung zur Sprache, wie auch bei der Gesundheit. Der Zugang zur Gesundheit, die Möglichkeiten, eine gerechte Behandlung zu erhalten, wird ebenso beschäftigen, wie die Notwendigkeiten, die in den Perspektivengesprächen zur Reform auftreten werden. Die Frage der Gerechtigkeit bei der Gesundheit ergibt sich nicht nur im Hinblick auf die zunehmende Zahl älterer Menschen mit Pflegebedarf, sondern auch auf die Zugänge der Kinder und Jugendlichen hinsichtlich der Prophylaxe. Die Problematik, wer mehr Ressourcen beansprucht und wie sie aufgebraucht werden, ist eine entscheidende Herausforderung.

Städte als Problemzonen

Eine Voraussetzung ist dabei natürlich die wirtschaftliche Entwicklung, weil wir uns einseitig auf die nachhaltige Gestaltung der Sozialsysteme konzentrieren, nicht aber Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass wir sie uns leisten können; also müssen Effizienz und Effektivität gesteigert werden. "Technologie als Chance“ ist das Thema der Technologiegespräche, die traditionell auch einen Begegnungspunkt für Forscher und Wirtschaft darstellen. Neben der normalen Diskussion, wie gerecht Forschungsmittel verteilt werden, geht es auch um die lebensmäßigen Voraussetzungen, die durch Forschung und Technologie erstellt werden. Die europäische Dimension ist hier sehr wichtig, weil gerade da Möglichkeiten bestehen, Ungleichgewichtigkeiten zu beseitigen. Der "Brain Drain“ erzeugt Situationen, die nicht von Gerechtigkeit begleitet sind. In den "Baukulturgesprächen“ ist es die Frage einer gerechten Stadt. Eine Stadt ist an sich sozial und ökologisch bereits bedenklich. Wir Europäer sind aber noch gut dran, wenn man an andere Regionen in Asien und Afrika denkt.

Die Frage der globalen Gerechtigkeit und des internationalen Rechts stehen im Mittelpunkt der "Politischen Gespräche“. Dort geht es darum, die Wirklichkeit des "global village“ zu übersetzen. Wir dürfen uns nicht abmelden, weil Provinzialität als Geisteshaltung keine Lösung der zunehmenden Probleme darstellt, die im Wege der Interdependenz auch für Österreich gelten. Gerade die Frage des bleibenden Friedens auf dieser Welt hängt von diesen Problemen ab. Wir sind ganz bescheiden auf dem Weg, globale Rechtsordnungen wenigstens in Teilen zu erzeugen. Etwa im Bereich der WTO oder der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Eine große Bedeutung haben natürlich die "Finanzmarktgespräche“ sowie die "Wirtschaftsgespräche“, die sich mit den Krisenerscheinungen auseinandersetzen. Der Dialog über die Lösungsvorschläge wird zum zweiten Mal durchgeführt und gewinnt damit jene Öffentlichkeit, die auch zum besseren Verständnis beitragen soll. Gerade die Finanzordnung ist eine Voraussetzung für mehr Gerechtigkeit. Wir erleben das in den Belastungsdiskussionen rund um Griechenland. In Wahrheit sind die Probleme viel weiter angesetzt, weil wir Finanzierungssysteme und Sicherheiten erfinden müssen, die nicht zu wirtschaftlichen und damit sozialen Abstürzen führen.

Die eigentliche Chance des Europäischen Forum Alpbach ist allerdings das Gespräch aller Beteiligten. In den letzten Jahren hat sich ein exzellentes Netzwerk vor allem der jungen Teilnehmer gebildet, die nicht nur von sich aus Geld auftreiben, um im Wege der Stipendien der jeweils nächsten Generation eine Teilnahme zu ermöglichen, sondern die dialogisch über die Zeit der Alpbacher Wochen hinaus miteinander im Gespräch bleiben.

Innere Verbindung von Menschen

Das hat bereits zu äußerst intensiven Begegnungen etwa der EFA-Initiativgruppen für Südosteuropa in Zagreb geführt oder aber auch zu einer Begegnung aller Repräsentanten in Südtirol. Gerade bei den jungen Menschen ist die Sehnsucht nach Gerechtigkeit sehr groß. Sie leben in einer Welt, die es ohnehin schon schwierig macht, sie zur Gänze zu begreifen, und müssen dann erst jenen Zugang finden, der auch die rechten Möglichkeiten einräumt. Seitens der Jungen wurden eine Reihe von Themen formuliert, weil es ja schließlich auch um ihre Zukunft geht. Auf diese Weise ist garantiert, dass Alpbach weiterlebt, wobei es nicht nur um intensive Wochen der Präsenz in der Öffentlichkeit geht, sondern vor allem um die innere Verbindung von Menschen. Das aber ist das eigentliche Ziel des Europäischen Forum.

* Der Autor ist Präsident des Europäischen Forum Alpbach

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