Jerrey Sachs - © Foto: Getty Images / Victor J. Blue / Bloomberg

Es geht um das Ganze

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Wie überlebt die Menschheit das „Anthropozän“, das Zeitalter des Menschen? Bei der GLOBART-Academy kamen Vor- und Querdenker wie Starökonom Jeffrey Sachs zu Wort.

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Wie überlebt die Menschheit das „Anthropozän“, das Zeitalter des Menschen? Bei der GLOBART-Academy kamen Vor- und Querdenker wie Starökonom Jeffrey Sachs zu Wort.

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„Wir kennen alle Fakten – jetzt geht es darum, zu handeln!“ Harvard-Ökonom und Bestseller-Autor Jeffrey Sachs ist sichtlich bewegt von der Kluft zwischen dem Notwendigen und dem Machbaren in Sachen Klimawandel. Er weiß nur allzu gut, dass alten Gewohnheiten entgegenstehende Sachlösungen meist erst dann Akzeptanz finden, wenn sie als Teil einer größeren, von der Mehrheit geglaubten Erzählung wahrgenommen werden. Vor allem deshalb ringt er um eine grundlegende Erneuerung unseres Wirtschaftssystems. Bei der diesjährigen GLOBART-Academy im Essl-Museum Klosterneuburg überraschte er dabei mit einem Rückgriff auf die abendländische Philosophie und präsentierte das inspirierende Konzept einer menschen- und naturgerechten Wirtschaftsordnung, die auf aris-totelischen und christlichen Fundamenten gründet.

Während der heute 65-Jährige in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Karriere noch als Berater von Regierungen ehemaliger Ostblockstaaten mit umstrittenen Privatisierungs-Schocktherapien von sich reden machte, wurde er seit Mitte der Neunzigerjahre zum führenden Global-Ökonomen. Als Sonderberater der Vereinten Nationen war er maßgeblich an der Konzeption der 17 „Sustainable Development Goals“ (SDG’s) beteiligt. Dieser 2015 beschlossene Maßnahmenkatalog zur nachhaltigen globalen Entwicklung gilt mittlerweile als weltweit akzeptierte Leit-Strategie einer überfälligen wirtschaftspolitischen Neuorientierung. Einer seiner Eckpfeiler ist die Bekämpfung des Klimawandels entlang der im Pariser Abkommen festgelegten Grundsätze.

Die Welt im Jahr 2050

Mit Österreich verbindet Jeffrey Sachs seit mehreren Jahren eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg. In einem gemeinsam mit anderen internationalen Forschungseinrichtungen aufgesetzten Projekt denken über 60 Expertinnen und Experten unter dem Arbeitstitel „The World in 2050“ darüber nach, wie die konkrete Umsetzung des UN-Zielkatalogs vorangetrieben werden kann. Im Sommer 2019 einigte man sich in einem gesonderten Bericht auf sechs Bereiche, die nun miteinander weiter vertieft werden sollen.

Wert-Schöpfung im Vollsinn kann nur zum Tragen kommen, wo sie auf einer festen Wertebasis steht.

Zur Einstimmung Sachs‘ Vortrag gab ein hochrangig besetzter Workshop Gelegenheit zur Diskussion über die Machbarkeit der im Pariser Abkommen festgelegten Klimaschutz-Maßnahmen. Keywan Riahi, als Leiter des Energieprogramms in Laxenburg regelmäßiger Gesprächspartner von Jeffrey Sachs, war sich dabei mit dem an der Wiener BOKU tätigen Sozio­alökologen Helmut Haberl darüber einig, dass die zur Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles anzustrebende CO₂-Neutralität innerhalb der kommenden 20 Jahre einerseits unabdingbar und andererseits nur schwer erreichbar sein würde.

Erstmals in der Menschheitsgeschichte geht es in der Klimapolitik um die Bewältigung einer Aufgabe, die das Schicksal der ganzen Erde betrifft. Während frühere, epochemachende Veränderungen durch technologischen und sozialen Wandel entstanden, stehen wir heute vor einer kollektiven Gestaltungsaufgabe mit striktem Zeitlimit. Es geht um nicht weniger als das Ganze. Dabei ist angesichts der extremen Unterschiedlichkeit der politischen Ausgangslagen unklar, bei wem jeweils konkret das Gesetz des Handelns liegt.

Gegenwind kommt von jenen politischen Kräften, die den Multilateralismus und die supranationale Koordination geringschätzen oder sogar zurückfahren wollen. Rückenwind gibt andererseits eine durch die „Fridays for Future“-Initiative wachgerüttelte Öffentlichkeit.
Das Kunststück scheint nun darin zu liegen, das Machbare und das Wünschbare zu politischen Paketen zu schnüren, die wirksam sind und zugleich die Akzeptanz der Bevölkerung finden. Und das alles in verschiedenen Regionen der Welt mit höchst unterschiedlichen wirtschaftlichen und ressourcenbezogenen Voraus-
setzungen.

Jenseits von bloßem Verzicht

Dazu kommt die von Umwelt-forscherin Karin Dobernig (FH Wiener Neustadt) eingebrachte Ebene der persönlichen Verhaltensänderungen, mit denen sich eigene Beiträge zur Umweltschonung leisten lassen, ohne deshalb gleich in einen Modus des „Verzichts“ zu kippen. Konsumgewohnheiten können sich durchaus rasch ändern, wenn die soziale Akzeptanz umwelt­schädlicher Verhaltensweisen zurückgeht und das Wissen über die Folgen eigenen Handelns – ­etwa im Nahrungsmittelbereich – ­zunimmt.

In Wirtschaft und Industrie ist längst eine Um-Wertung im Gang, die – wie schon in früheren Umbruchsphasen – alte, konventionelle Energieinvestitionen obsolet macht und zur Entwertung der darin gebündelten Kapitalvermögen führt. Im Gegenzug übernehmen alternative Erzeugungstechniken und intelligente, digitale Vernetzungstechnologien neue Aufgaben und ziehen „junges“ Investitionskapital an sich.

Die Umstellungsprozesse bei den großen Akteuren der Finanzwirtschaft beschleunigen sich gerade: Sie können es sich einfach nicht mehr leisten, bei den ökologisch verantworteten Investitionsprojekten nicht dabei zu sein. Auch drängen die auf zukunftssichere Anlagen setzenden Entscheider in den Versicherungen und Pensionsfonds darauf, aus den fossilen Investitionen auszusteigen. Dass Geldentscheidungen opportunistisch – der Gelegenheit folgend – getroffen werden, wird hier zum Vorteil. Denn das wahre „Risikokapital“ liegt schon heute bei Investitionen in umweltschädliche Technologien, während innovative Technikprojekte mit Zukunfts-Renditen locken.

In seinem Vortrag hob Jeffrey Sachs all diese Themen auf die übergeordnete Ebene einer wert­orientierten Wirtschaftsordnung. Zur Stärkung einer sozial und ökologisch verantworteten Marktwirtschaft bedürfe es keiner ökonomischen Revolution, sondern vor allem global durchsetzbarer, auf Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich zielender Rahmenbedingungen, so Sachs.

Ausgeglichenheit als Vorteil

Misst man die Qualität von Volkswirtschaften über die konventionelle Wachstumsmessung hinaus auch an Indikatoren für Bildung, Gesundheit, sozialen Ausgleich und Umweltqualität, so sehen Vergleichsstudien schon heute die europäischen Gesellschaften an der Spitze. Erfreulicherweise spielt hier Österreich nach den skandinavischen Ländern ganz vorne mit. Die Evidenz ist klar: „Balanced societies are better places.“ Sachs sieht deshalb das europäische Modell einer sozial ausgeglichenen Marktwirtschaft als Vorbild der globalen Entwicklung. Zugleich fragt er besorgt, wie sich diese Alternative gegen finanzkapitalistische Interessen durchsetzen lässt.

Die von Papst Franziskus beklagte „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ müsse einer schon von Aristoteles geforderten Orientierung am Gemeinwohl weichen, indem die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens so gestaltet werden, dass die Achtung vor den Mitmenschen und der Natur miteingeschlossen wird. Jeffrey Sachs lässt hier durchklingen, dass er an jener Arbeitsgruppe des Vatikan mitwirkt, die das Konzept der für den März 2020 in Assisi geplanten Tagung über die „Ökonomie des heiligen Franziskus“ („The Economy of Francis“) entwickelt. Dort soll klar werden, dass Wert-Schöpfung im Vollsinn nur zum Tragen kommen kann, wo sie auf einer festen Wertebasis steht und im Bewusstsein der Bewahrung der Schöpfung erarbeitet wird.

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