Wie seelsorgen? - Wie seelsorgen? Ein katholischer Priester spendet die Kommunion. Muss es neue Wege der Seelsorge geben für Amazonien und eine Aufweichung des Zölibats? Ein heiß diskutiertes Thema im Vorfeld der Synode. - © APA / AFP / Aizar Raldes

Zündfunken für die Kirche

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Angesichts der brennenden Regenwälder in Brasilien wird die Amazonas-Synode im Vatikan mit Spannung erwartet. Am 6. Oktober soll sie beginnen. Hauptthemen: Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie.

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Angesichts der brennenden Regenwälder in Brasilien wird die Amazonas-Synode im Vatikan mit Spannung erwartet. Am 6. Oktober soll sie beginnen. Hauptthemen: Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie.

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Die Amazonas-Synode im Vatikan rückt näher. Von den einen inständig erwartet, von anderen wie die sprichwörtliche Pest gefürchtet. Die letzten Wochen vor der Zusammenkunft des Bischofstreffens ließen Erwartungen, Spannungen sowie teilweise auch die Emotionen bereits hochkochen. Man hat das Gefühl, dass ein Gutteil der weltkirchlichen Anstrengungen, aber auch viele der weltweit auftretenden Problemlagen auf dieses Ereignis hin fokussiert werden. Es dürfte keine Einbildung sein, wenn sich zahlreiche Gläubige und Kirchenverantwortliche über diese synodale Versammlung mit dem Pathos eines Duells im „Wilden Westen“ äußern. „High Noon“ in der katholischen Kirche, könnte man meinen.

Auf der einen Seite: Konservative Kirchenkreise, die schon im Vorfeld alle bloß denkbaren Entscheidungen und Richtungswechsel fürchten und zu torpedieren versuchen. Ihnen gegenüber befinden sich die Lager jener, die in dieser Synode quasi die letzte Möglichkeit zu einer finalen Kurskorrektur sehen, um die katholischen Glaubenswelten trotz einiger Verspätung in das 21. Jahrhundert kommen zu lassen. Sie würden von der Synode gerne alle so sehnlichst erwarteten Wenden in Sexualmoral, Ämtertheologie und Frauenfrage herbeigeführt wissen. Dazwischen stehen nicht zuletzt mehr als 1,2 Milliarden Gläubige, von denen zahlreiche ihrer eigenen Kirche gegenwärtig wohl nur mehr wenig dauerhafte Überlebenskraft zuschreiben.

Eine komplexe Lage

Die Lage ist komplex und unübersichtlich. Am Sinnbild der Amazonas-Synode treffen sich pastorale Visionen, traditionalistische Zeitgeist-Panik, kirchliche Utopien ebenso wie reale Zukunftsängste. Es scheint, dass diese Synode gleichzeitig alle Hoffnungsbilder und Sorgenfalten der Weltkirche in sich vereint, dabei aber genug Sprengkraft besitzt, um die zumindest nominell noch geschlossenen katholischen Kirchenlager auseinanderdriften zu lassen. Die Versammlung der Amazonas-Vertreter konzentriert in sich neben den ohnehin großen Sorgen dieses politisch, klimatechnisch, kulturell sowie kirchlich schwer geprüften Teiles der Welt zunehmend auch zahlreiche Themen aus anderen Gebieten der Erde. Sie wirken wie ein projizierter Schatten, der die Diskussionen unter den versammelten Verantwortlichen begleiten wird.

Je mehr Augen auf die Synode gerichtet werden, umso stärker wird diese zum Spiegelbild aller kirchlichen Fragestellungen.

Eines dürfte klar sein: Je mehr Augen auf die Amazonas-Synode gerichtet werden, umso stärker wird diese zum Spiegelbild aller kirchlichen und theologischen Fragestellungen und zugleich zum theologischen Ort vieler kirchenpolitischer Fallstricke. Das Gewicht, das die Synodenteilnehmer auf ihren Schultern tragen, steigt dauernd. Als würde Amazonien das Kreuz der Gesamtkirche zu tragen haben. Zahlreiche Beobachter aus allen Teilen der Welt sind sich einig: Hier geht es schon lange nicht mehr nur um das Amazonas-Gebiet, sondern dieses Ereignis wird zu einem Identitätsmarker für die Zukunftsfähigkeit der Kirche selbst werden. Dass dies bei einer regionalen Bischofsversammlung durchaus etwas hoch gegriffen ist bzw. ihrer ureigensten Dimension nur schwerlich gerecht wird, mag zwar gerne übersehen werden. Dennoch dürfte recht schnell klar werden, dass die Amazonas-Synode mit dem Blick auf die Weltkirche viel von ihrer eigenen Problemorientierung verlieren könnte.

Tritt man einen Schritt zurück und versucht, die Lage der Weltkirche am Abend vor der Amazonas-Synode zu kartographieren, wirken diese brisanten Überlagerungen symptomatisch für ein Grundsatzproblem der katholischen Kirche weltweit. Der Zentralismus der Kirche, der seit den politischen Wirren des 19. Jahrhunderts in der Hoffnung nach Beständigkeit und Kontrolle seinen innerkatholischen Siegeszug angetreten hat, prägt auch heute noch weite Teile der Weltkirche. Regionale Vorstöße oder kirchenpolitische Sonderwege und Alleingänge sind unerwünscht.

In der Kirche herrscht die Vorgabe eines globalen Gleichschritts, der die Einigkeit des „Schiffleins Petri“ (eine uralte Metapher für die Glaubensgemeinschaft) sinnbildlich verwirklichen soll. Ausnahmen? Nicht vorgesehen. Insofern sind solche Bischofssynoden, wie nun mit dem Fokus auf Amazonien – nach einem allgemeinen Konzil der Weltkirche – so etwas wie ein unübersehbares Stimmungsbarometer einerseits, eine Möglichkeit zu innerkirchlichen Kursmodifikationen unter regionalkirchlicher Beteiligung andererseits. Eine Synode nämlich kann und darf zwar ohne Zustimmung des Papstes nichts entscheiden. Die Entscheidungen aber, eben weil der Pontifex als Oberhaupt der Gesamtkirche zustimmen muss, werden – sobald sie angenommen sind – zu Wegweisern für die ganze Kirche.

Dies macht deutlich, warum solche Versammlungen mitunter sehnlichst erwartet werden: Die örtlichen Bischöfe und Verantwortlichen können ihre Sichtweise der Dinge in einer verbindlicheren Form einbringen, zugleich können solche Versammlungen auch eine Eigendynamik entwickeln, die völlig neue Wege ermöglicht. Vermutlich auch deshalb, weil diese Synoden rar sind, allgemeine Konzile aber umso seltener vorkommen, werden sie als „Druckventil“ angesehen, in denen der Kurs der Kirche einmal nicht unter dem alleinigen Einfluss und Entscheidungsprimat des Papstes geändert werden kann.
Verständlich also, wenn solche Versammlungen als schier einmalige Möglichkeit angesehen werden, in dem die Bischöfe als „Crew“ des „Schiffleins Petri“ einmal ihre Sicht des Kurses darlegen können. Nicht zufällig nämlich wirkte die Kirche in den letzten Jahren weniger als ein wendiger Kreuzer, sondern als manövrierunfähiger Ozeantanker, der in den stürmischen Tiefen des 21. Jahrhunderts auf offener See ohne funktionstüchtige Steuerung dahintreibt.

Aber genug der Bilder. Diese Synode ist unhinterfragt wichtig – wegen der besonderen innerkirchlichen Stellung ebenso wie auch angesichts der vielfältigen Probleme, denen sich die katholische Kirche in einer globalisierten Welt, im Fahrwasser ihrer eigenen, hausgemachten Skandale und Verbrechen, dann aber auch in einer zunehmend schnelllebigeren Zeit gegen­übersieht.

Raum für Dynamik

Die Strategie eines Rom-zentrierten Zentralismus mag aufgrund der starren Hierarchisierung und Gleichschaltungen innerhalb des Systems für viele anziehend wirken. Aber angesichts der sich schnell wandelnden Lebenswelten in der heutigen Welt wirkt diese Maschinerie unter Umständen auch behäbiger. Raum für Dynamik und Individualität wirkt hier wie ein Luxusgut, eine problemorientierte Richtungskompetenz wird so nur schwerlich an den konkreten Fragen und Problemen der gegenwärtigen Zeit gefunden werden.

Die Amazonas-Synode erscheint daher für viele wie der erhoffte Zunder, der der Kirche wieder Lebenskraft ermöglichen könnte. Dabei erlebt sie aber schon im Vorfeld die Ambivalenz dieser kirchlichen Problemlage: Sie steht schon lange nicht mehr für die Regionalität ihres eigentlichen Auftrages, sondern sie wird von allen Teilen der Welt ganz genau beobachtet. Hier stehen sich am Ort der bischöflichen Versammlung Segen und Fluch nahe gegenüber, die Entscheidungen werden unter dem Vorbehalt dieser normativen Wertung dann auch zum Sinnbild dafür, wie die Amazonas-Synode in der kirchlichen Landschaft eingeordnet werden wird. Diese Last ist erheblich. Ihr drohen nicht zuletzt auch die regionalen Anliegen der dortigen Bischöfe zum Opfer zu fallen. Es ist eine reale Gefahr, wonach die Last des gesamtkirchlichen Schemas das Bemühen um Problemlösungen im Amazonas-Gebiet nachhaltig hemmen könnte.

Die Aufgabe, sowohl der Synodenteilnehmer als auch des Papstes, ist keine leichte: Papst Franziskus, jener Pontifex, der die Entscheidungsgewalt der regionalen Bischöfe immer wieder herausgestrichen hat, wird an den Resultaten dieses Ereignisses selbst gemessen werden. Sein Pontifikat steht an einem Scheideweg zwischen Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit. Mit dem Schifflein Petri steht schließlich auch der verantwortliche Steuermann selbst im Rampenlicht, ob und in welche Richtung das Ruder ausschlagen wird. Auch diese Last ist zu spüren und wird weltweit ausstrahlen.

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