Das vergessene Volk Gottes

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"Gehorsam ist der Christen Schmuck"? - Eine Erinnerung an die Laien in der Kleruskirche.

Die hohe Zahl der Kirchenaustritte hat Analysen provoziert, die alle ein Stück Wahrheit enthalten und doch zu kurz greifen. Gern wird übersehen, dass zwar aktuelle Konflikte die Zahlen hochschnellen lassen, dass aber seit Jahrzehnten die "normalen" Austrittszahlen jährlich mehrere Zehntausend betragen. Da muss einmal die nahe liegende Frage gestellt werden: Wer tritt aus der Kirche aus? Die Laien. Und könnte es sein, dass der Umgang mit ihnen zu wünschen übrig lässt? Vieles spricht dafür.

Entmündigung der Laien

Laien haben seit dem 19. Jahrhundert in der Kirche immer weniger zu reden, so dass das spirituelle Klima in der römischen Kirche in eine beträchtliche Schieflage geraten ist. Wo werden heute in der Kirche die Erfahrungen der Laien eingebracht und ernst genommen? Durch alle Jahrhunderte hatten Laien bedeutende kirchliche Rechte. Die politische Ordnung brachte es mit sich, dass diese Rechte in den Händen katholischer Gutsherren und Fürsten konzentriert waren.

Das Verschwinden der christlichen Fürsten aus der Geschichte hat die Klerikalisierung der römischen Kirche vollständig gemacht und eine alte ideologische Tendenz dominant werden lassen: Die Verwechslung von Glaubensanspruch und Kirchengehorsam. "Mut zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck", dichtete schon Friedrich Schiller in seiner Ballade "Der Kampf mit dem Drachen"; und er formulierte damit eine kirchlich geförderte oder wenigstens gern geduldete opinio communis, die das Selbstwertgefühl und die Widerstandskraft der Christen gegen das Unrecht in der Welt beeinträchtigt hat. Dass der Glaube Ansprüche stellt, steht außer Zweifel; aber nicht immer genügt man solchen Ansprüchen, indem man der kirchlichen Obrigkeit Gehorsam leistet. Diese Identifizierung ist so falsch, wie die Unterstellung, die Kirche sei bereits das Reich Gottes.

Folgsam ihren Lehren

So heißt es in dem Kirchenlied, das oft bei der Tauferneuerung in der Osternacht gesungen wird: Fest soll mein Taufbund immer stehn, / ich will die Kirche hören! / Sie soll mich allzeit gläubig sehn / und folgsam ihren Lehren! / Dank sei dem Herrn, / der mich aus Gnad' / zur wahren Kirch' berufen hat, / nie will ich von ihr weichen. Dieser Text redet mit den Laien wie mit unmündigen Kindern, die gefälligst ordentlich zuhören und schön folgsam sein sollen. Es ist nicht zufällig ein Text aus 1810, aus der Zeit der beginnenden Defensive der römischkatholischen Kirche. Damals und bis ins 20. Jahrhundert hinein musste die römische Kirche um ihren Bestand fürchten und mauerte sich ein. Das schien seit dem Konzil vorbei, aber römische Dekrete seither atmen noch immer denselben Ungeist.

In Österreich waren die Diözesansynoden nach dem Konzil (ab 1967) ein erster Versuch, die Idee vom Volk Gottes, in dem das Recht nicht nur beim Klerus liegt, in die lebendige Praxis der Kirche hinüberzuretten. Schon die gesamtösterreichische Synode (1973/74) durfte nur mehr "Österreichischer synodaler Vorgang" heißen, damit nur ja nicht geglaubt würde, ein solches Gremium hätte etwas zu beschließen. Das Kirchenvolksbegehren war 1995 ein erster autonomer Versuch des "Volkes Gottes", sich zu Wort zu melden. Der "Dialog für Österreich" (1998) weckte Hoffnungen und wurde schnell abgewürgt. Alle wichtigen Reformvorschläge, die bei diesen Versammlungen gemacht wurden, sind in den Schubladen der Amtskirche verschwunden. Die Bischöfe waren nicht imstande, sich gegen kurialen Widerstand durchzusetzen. Vier Jahrzehnte sind in den Wind geredet worden, vier Jahrzehnte war die Loyalität der Bischöfe mit wenigen Ausnahmen nur nach oben gerichtet, während sie nicht imstande waren, das ihnen anvertraute Volk Gottes zu vertreten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Kluft zwischen Kleruskirche und Laien größer wird und jene Priester, die die Lebenswirklichkeit der Laien ernst nehmen, in eine existenzielle Zerreißprobe geraten. Einer Institution anzugehören, in der man nichts zu reden hat, ist für viele Menschen unerträglich geworden, so dass sie meinen, sich nur mehr mit dem Austritt ein letztes Mal bemerkbar machen zu können.

Es gibt eine geschichtliche Erfahrung, die man fast schon als soziologisches Gesetz ansehen könnte: Wo immer sich Menschen zusammengeschlossen haben, um ihre Überzeugungen und Interessen besser zu vertreten - etwa Handwerker oder Bauern in Genossenschaften -, haben nach einiger Zeit die Funktionäre den Beteiligten diktiert, wovon sie überzeugt und woran sie interessiert sein müssen. Auch die christlichen Kirchen konnten sich diesem Gesetz nicht entziehen und sind ihm vielfach in die Falle gegangen.

Dialog mit anderen Mitteln

Dagegen hilft nur ein radikales Umdenken. Die Laien, sofern sie aus der Überzeugung ihres Glaubens als Getaufte und Gefirmte in der Kirche bleiben, müssen sich auf ihre alten Rechte als Mitglieder des Volkes Gottes besinnen, und auf die Pflicht, dem eigenen Gewissen zu folgen. Der amerikanische Franziskaner Richard Rohr sagt das in seinem Buch "Hoffnung und Achtsamkeit" so: "Jede Generation muss sich ihre tiefsten Überzeugungen neu und ganz persönlich aneignen. Dafür gibt es einen schönen Spruch: God has no grandchildren' - Gott kennt nur Söhne und Töchter, keine Enkel. Jede Generation muss sich neu und unmittelbar von Gott herleiten und sein Geheimnis für sich selbst entdecken. Doch wir neigen dazu, uns mit den Hausaufgaben, die andere gemacht haben, zufrieden zu geben. [...] Auf diese Weise wird Religion - eingebunden in eine Institution - irgendwie zu einer Entschuldigung dafür, in einem Zustand der Unbewusstheit und Stagnation zu verharren, zur bloßen Erinnerung an etwas, das einmal ein spannendes Abenteuer gewesen sein muss."

Klerus- vs. Laienkirche?

Die Stagnation ist offensichtlich und die Spaltung der Kirche in eine rom-orientierte Kleruskirche und eine bodenständige Laienkirche schafft eine gefährliche Situation, mit der vorsichtig und kreativ umgegangen werden muss. Schon jetzt geschieht an der Basis mit Unterstützung aufgeschlossener Priester vieles, was von oben ausdrücklich verboten ist. Die römischen Vorschriften in Sachen Sexualmoral werden weithin nicht mehr ernst genommen; die Liturgie wird entgegen jüngsten Vorschriften aus Rom sehr viel freier gefeiert; nicht katholische Christen werden zur gemeinsamen Kommunion eingeladen, die verbotene Interkommunion ist längst verbreitete Praxis. Das alles wissen die Bischöfe und können es kaum verhindern. Das bedeutet aber, dass an der Basis jene Reformen wachsen, die offiziell seit Jahrzehnten verhindert werden. Synoden und Dialoge haben zu nichts geführt; nun geschieht eine Fortsetzung des Dialogs mit anderen Mitteln. Denn - so formulierte der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher, ein Laie und Familienvater, im Juli vorigen Jahres im Standard - die Laien "haben nämlich auch ihre Erfahrungen [...]. Nicht unbedingt schuldlose und einfache: aber, es könnte sein, die tragfähigeren."

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den Peter Pawlowsky imHerbst 2004 bei den Seckauer Gesprächen über die Spiritualität der Laien im 21. Jahrhundert gehalten hat.

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