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Die Tyrannei des Status quo

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Die vielfältigen Probleme des modernen Sozialstaates mit einem einzelnen Instrument lösen zu wollen, muß eine wirklichkeitsfremde Illusion bleiben. Die wirkliche Aufgabe heißt, Lücken im Sozialnetz systemlogisch zu schließen.

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Die vielfältigen Probleme des modernen Sozialstaates mit einem einzelnen Instrument lösen zu wollen, muß eine wirklichkeitsfremde Illusion bleiben. Die wirkliche Aufgabe heißt, Lücken im Sozialnetz systemlogisch zu schließen.

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Jemand, der heute verlangt, „wir sollten wieder in Ruhe über das arbeitslose Grundeinkommen diskutieren”, demonstriert ebenso einmal mehr die hilflose und folgenschwere offene Flanke vieler sozial Engagierter, wie jener, der glaubt, in dieser Idee einen brauchbaren Ansatz für einen generellen Ausweg aus den Problemen des Wohlfahrtsstaates gefunden zu haben: Kr ist nicht ausreichend informiert.

Das hat der. 6. Internationale Grundeinkommenskongreß gezeigt, der am 12./13. September in der Wiener UNO-City und mit einem Osterreich-Tag in der Alten Burse am Ig-naz-Seipel-Platz stattgefunden hat. Die Veranstalter dieser sehr informativen Veranstaltung waren das Basic Income European Network (BIEN), das European Center for Social Weifare Policy and Research in Wien und vor allem die Katholische Sozialakademie Österreichs (KSÖ).

Der Kongreß hat erkennen lassen, daß es weder an Ruhe noch an Diskussionsbereitschaft über das Thema mangelt: seit der ersten Erwähnung dieser Idee durch Thomas Paine (vor 200 Jahren), seit dem Vorschlag durch den „neoliberalen” Milton Friedman (1962), dem Vorschlag einer „Staatsbürgersteuer zu Reform der direkten Steuern und persönlicher Subventionen durch ein integriertes Personalsteuer- und Subventionssystem” durch Wolfram Engels, Joachim Mitschke und Bernd Starkloff (1973), den Arbeiten des Nobelpreisträgers vor allem seit dem ersten Weltkongreß über das Grundeinkommen im Jahre 1982.

Die sehr gut organisierte Diskussj-, on der insgesamt rund 200 Teilnehmer aus etwa 30 Ländern aller Kontinente hat bestätigt, was schon Alexander van der Bellen, Finanzwissenschafter, Sprecher der „Grünen” und Berater der KSÖ (siehe Furche

37/96), zum

Ausdruck gebracht hat: daß ein am Existenzminimum orientiertes und tatsächlich fmanzierbares einheitliches

Grundeinkommen ohne Bedürfnisnachweis für diejenigen zu wenig wäre, die nur darauf angewiesen sind, und für die anderen zu viel; daß für bestimmte Problemgruppen maßgeschneiderte Armutsbekämpfungspro-gramme auf längere Sicht unerwünschte Folgen haben können (wie zum Beispiel die Hilfe für Alleinerzieherinnen in den USA); und daß garantierte Einkommen für Berufseintretende andere Folgen haben als für Pensionisten.

Die Schilderung des Standes der „ba-sic-income”-Philoso-phie in 17 verschiedenen Ländern ließ erkennen, daß darunter so Verschiedenes verstanden wird, daß die einheitliche Bezeichnung über die Verschiedenheit sowohl der sozialen Problematik wie auch der Lösungsversuche einfach hinwegtäuscht. So hat zum Beispiel die „Sozialdividende” in Alaska keine Verminderung der Einkommensunterschiede zum Ziel, sondern soll die Bereitschaft honorieren, die Unbequemlichkeit des Wohnens in diesem unwirtlichen Gebiet für alle zu subventionieren. Bei uns würden manche fragen, wozu der gut Verdienende eine Transferzahlung des Staates braucht. Im überbevölkerten Kuwait wäre es ein Wahnsinn, den dort ebenso gegebenen Ölreichtum dort geschieht dies dadurch, daß es keine Steuern gibt.

Was hinter allen Verschiedenheiten steckt, ist die Tatsache, daß es nicht die soziale Gerechtigkeit gibt, sondern daß Gerechtigkeit mehrdimensional ”ist: Neben dem Spannungsverhältnis aus Arm und Reich (in Österreich realistischerweise zwischen Arm, Weniger- und Besserverdienenden!) gibt es auch das Ronfliktver-hältnis Pensionisten und Erwerbstätige, für Kinder Unterhaltspflichtige und nicht

Unterhaltspflichtige, Arbeitslose und Beschäftigte, Gesunde und Kranke.

In der Entwicklung zum heutigen „sozialen Netz” wurde für manche dieser Problemfelder das Versicherungsprinzip gewählt (Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung), bei anderen die Umverteilung über die Besteuerung (Progression) und - finanziert über die Besteuerung - die Gewährung von direkten Transferleistungen.

Sowohl Zweifel an der Treffsicherheit wie auch die Gewißheit der längerfristigen Nicht-Finanzierbarkeit des Gesamtsystems m machen ein Umdenken in mehrfacher Hinsicht notwendig. Ein anderer Zugang als der des arbeitslosen

Grundeinkommens ist das Bemühen um eine möglichst widerspruchslose Systemlogik bestehender Einrichtungen zwecks Rationalität ihres Zusammenwirkens. Sicherlich kann da nicht die Wahl eines Modells der Ausweg für alle Probleme sein.

Das dürfte auch den Wortführern dieser (wohl eher emotionellen) „ba-sic-income-Bewegung” in Österreich durchaus bewußt sein. So spricht Alois Riedlsperger (der Leiter der KSÖ) zurückhaltend, daß das Grundeinkommen seine „Dynamik” dann entfalten kann, „wenn es nicht isoliert, sondern als Moment eines mehrdimensionalen Konzepts für den ökosozialen Umbau von Wirtschaft und

James Meade (gestorben 1995) und auf diese Weise sozialer zu verteilen; Gesellschaft gesehen wird”. Auch

Herwig Bücheie stellt sich zunächst die richtige Frage: „Sollen alle Übel von einem Punkt aus korrigiert werden?” (S. 160). Sein weites Ausholen in die Weltwirtschaft und seine wortreiche Fehldiagnose ihres vermeintlichen Katastrophenzustands und dessen Ursachen weisen aber dann doch in die gängige sozialutopische Richtung: „Alles von Grund auf ganz anders machen.” Lieselotte Wohlgenannt versucht immerhin an Realitäten des Status quo anzuknüpfen, wenn auch an selbst reformbedürftigen wie zum Beispiel den Absetzbeträgen im Steuerrecht.”

Entscheidend ist wie für alle sozialen Reformen die ,;Tyrannei des Status quo”, die zur Auswahl der Ansätze zur Veränderung ebenso zwingt wie zum Bedenken der weiteren unbeabsichtigten Wirkungen der in der Gesellschaft zusammenwirkenden Systeme und Subsysteme. Folgende Fragestellung trifft daher die heute offene Problematik besser als das Festhalten an der Idee „eines Grundeinkommens ohne

-,-Arbeit”: „Wo gibt es heute Lücken im so-, zialen Netz, die geschlossen werden müssen, wenn keinem Menschen die materielle Existenzmindestsicherung verweigert werden soll?” Dazu ist die realistische Erfassung des Status quo eine Voraussetzung. Wenn Bücheie die Weltgesellschaft (in ihrer national so vielfältigen Gesamtheit!) schlechthin als „steuerloses System” bezeichnet, ist die Bealität wohl ebensowenig getroffen wie mit der Vorstellung, dieses System durch ein allgemeines arbeitsloses Grundeinkommen steuerbarer zu machen (S. 172). Die unrealistische Basis dieser basic-income-Philosophie hat der Sekretär der BIEN, Philippe van Parijs (Professor für Sozialethik an der Katholischen Universität Louvain), in der Zielsetzung zum Ausdruck gebracht, damit jeden Menschen von Zwang

Noch einmal Grundeinkommen

Fragen nach der Zukunft unserer sozialen Sicherheit, den revolutionären Umwälzungen in der Arbeitswelt im Kontext verschärften weltweiten Wettbewerbs, beschäftigen immer mehr Menschen in ganz existentieller Weise. Patentlösungen für die zunehmenden Probleme und Nöte sind wohlfeil. Verschiedenste Ansätze werden - oft sehr leidenschaftlich diskutiert, einer davon läuft unter dem Titel arbeitsloses Grund- beziehungsweise Ba siseinkommen. Ein zweites Mal innerhalb kurzer Zeit widmet die FURCHE ihre „Debatte” diesem Thema. An dem in Fl'RCHF.-Nr. 37 erschienenen Beitrag von Alexander van der Bellen haben sich offensichtlich die Geister geschieden. Sowohl Flu;] iE- Mitherausgeber Wolfgang Schmitz als auch die Sozialexpertin* des liberalen Forums, Alexandra Bolena, beziehen sich in ihren Artikeln auf die Aussagen des grünen Wirtschaftssprechers. Gleichzeitig wird damit die Diskussion, die der Internationale Grundeinkommenskongreß, der Mitte September in Wien stattfand, entfacht hat, fortgeführt. K M, und Abhängigkeit zu befreien, so als ob es einen Menschen geben könnte, der nicht auf ein Minimum materieller Existenzmöglichkeit angewiesen ist, das irgend jemand produzieren muß, solange es keinen „free lunche-on” (Milton Friedman) geben kann.

Die im Folder der BIEN angeführte Definition des Grundeinkommens als ein „Einkommen, das ohne jede Bedingung allen Individuen geleistet wird, das von keiner Arbeitsleistung abhängig gemacht wird und von persönlichen Umständen des Empfängers unabhängig ist”, muß daher angesichts der Knappheit der Bessourcen, die ja erst Wirtschaften (definiert als „Umgang mit knappen Gütern”) in Unternehmungen und Haushalten notwendig macht, doch als Illusion erscheinen.

Im selben Folder werden für die Konzeption des „arbeitslosen Einkommens” folgende Anliegen genannt: die Vereinbarkeit von Freiheit und Gleichheit, Effizienz und Gemeinschaft, Gemeinsamkeit des Eigentums an der Erde und gleiche Teilhabe an den Wohltaten des technischen Fortschritts, der Kampf gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen und gegen die Verwüstung der Landschaft, gegen regionale Einkommensunterschiede und für die Unabhängigkeit von Arbeitgebern, Ehemännern und Bürokraten et cetera. Das ist doch wohl als Anliegen eines gesamten Systems der Sozialethik zu verstehen, der eine weite Palette institutioneller Reformen zugrunde liegen muß.

Als einziger „lebensfähiger Weg” zur „Versöhnung der beiden zentralen Zielsetzungen von Armutsbekämpfung und Vollbeschäftigung” dürfte diese Idee aber doch wohl etwas überschätzt sein!

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