Umverteilung schafft keinen Wohlstand

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Deutliche Kritik an "Stimmen für eine Verbindung zwischen Katholizismus und einer stark wirtschaftsliberalen Gesellschaftsauffassung" und einer "selektiven Lektüre" der Katholischen Soziallehre hatte Daniel Saudek in der FURCHE geübt. Eine Widerrede.

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Deutliche Kritik an "Stimmen für eine Verbindung zwischen Katholizismus und einer stark wirtschaftsliberalen Gesellschaftsauffassung" und einer "selektiven Lektüre" der Katholischen Soziallehre hatte Daniel Saudek in der FURCHE geübt. Eine Widerrede.

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In seinem Artikel "Lichtblick und Zeichen des Widerspruchs" empört sich Daniel Saudek über meine Ansicht, nicht staatliche Gesetze und Umverteilung, sondern allein unternehmerisches Handeln und wirtschaftliche Entwicklung könnten das Problem der Armut lösen. Eine faire Darstellung und Diskussion dieser Auffassung erfolgt nicht, ebenso wenig ein Versuch, sie mit Argumenten zu widerlegen.

Wie so viele scheint auch Saudek zu übersehen, dass der heutige Massenwohlstand der entwickelten Länder nicht durch Umverteilung oder gewerkschaftlichen Druck entstanden ist, sondern durch Innovation und Produktivitätsanstieg infolge unternehmerischer Tätigkeit - und: dass allein auf diese Weise arme Länder auch heute der Massenarmut entrinnen können. In diesem Prozess kommt dem Staat vorrangig die Aufgabe zu, Eigentumsrechte zu schützen und für Rechtssicherheit zu sorgen. Gerade Eigentumsschutz ist in armen Ländern entscheidend dafür, dass auch arme Menschen unternehmerisch tätig sein und so der bloßen Subsistenzwirtschaft entrinnen können -unbehindert von staatlicher Willkür und korrupten Bürokratien.

Investition und Innovation

Der Prozess von Investition, Kapitalakkumulation und technologischer Innovation im Verbund mit freiem Tausch auf freien Märkten und internationalem Handel generiert jenen Wohlstand, der höhere Sozialstandards überhaupt erst ermöglicht. Ein System von Umverteilung und Transferleistungen dagegen behindert -durch massive Besteuerung zwecks Finanzierung konsumtiver Ausgaben - die wohlstandschaffende Dynamik der Marktwirtschaft. Sie machen entwickelte Sozialstaaten zu Systemen allmählicher kollektiver Verarmung -ein Prozess, der gegenwärtig vor unseren Augen abläuft, auch wenn der Bürger dies infolge des historisch präzedenzlosen geldpolitischen Dopings durch EZB und Fed nicht wahrnimmt.

Saudek suggeriert, Anwälten der freien Marktwirtschaft sei das Los der Armen und in Not Geratenen gleichgültig. Er geht sogar so weit zu behaupten, für mich gehe die "Autonomie des freien Marktes so weit, dass auch die Notwendigkeit eines existenzsichernden Lohns abgelehnt wird, und erst recht bestünde kein Recht auf einen Familienlohn". Doch auch hier argumentiert er unsachlich.

Die Forderung eines "Familienlohnes", wie sie -angesichts weitverbreiteten Arbeiterelendes - Leo XIII. in "Rerum novarum" erhoben hat, war christlich gedacht, der ökonomischen Realität aber nicht adäquat. Schon die Moraltheologen des 16. Jahrhunderts wussten, dass der gerechte Lohn sich nach dem Leistungsniveau des Lohnempfängers richtet, nicht nach dessen finanziellem Bedarf. Der Arbeitgeber hat keine Gerechtigkeitspflicht -in der Regel auch nicht die wirtschaftliche Kraft Löhne zu existenzsichernden Almosen für ganze Familien aufzustocken. Im 19. Jahrhundert, einer Zeit extrem niedriger Arbeitsproduktivität, konnten Arbeiterlöhne für eine ganze Familie lange Zeit nicht ausreichend sein; Frauen und Kinder mussten mitverdienen, oft unter elenden Bedingungen. Doch diese waren viel elender noch auf dem Land, dem viele infolge von Bevölkerungsdruck und Hungersnöten entflohen; Fabrikarbeit bot ihnen Überlebenschancen. Sicher, das waren Zwangssituationen, oft ungerecht ausgenützt. Not wurde von kirchlichen und anderen karitativen Institutionen sowie -vorwiegend in England und den USA -durch genossenschaftliche Arbeiter-Selbsthilfe gelindert. Eine eigentliche Überwindung der Not indes bewirkte der Kapitalismus selber: durch den von ihm ermöglichten technischen Fortschritt, die Anhebung von Produktivität, Reallöhnen und damit des allgemeinen Lebensstandards. Arbeiterschutz-Gesetze -sie haben nichts mit Umverteilung zu tun -versuchten den gravierendsten Missständen entgegenzutreten; doch Wohlstand schaffen konnten sie nicht.

Der katholische Sozialethiker Johannes Messner schrieb 1964 über das kapitalistische England: "Von 1800 bis 1913 hat sich dort die Bevölkerung verfünffacht, das Gesamteinkommen verzehnfacht, die Preise sind auf die Hälfte gesunken, das durchschnittliche Realeinkommen des einzelnen hat sich vervierfacht; dabei ist die Dauer der Arbeit für den einzelnen fast auf die Hälfte gesunken, dazu außerdem die Kinderarbeit völlig ausgeschaltet und die Frauenarbeit sehr eingeschränkt worden." Für Deutschland, so Messner, gelte Ähnliches: Im 19. Jahrhundert habe Deutschlands Bevölkerung um 44 Millionen zugenommen, und trotzdem hätten die Reallöhne sich mindestens verdoppelt bei Verkürzung der Arbeitszeit um ein Drittel.

Falsche Anreize

Dies, sowie der enorme Anstieg des allgemeinen Lebensstandards seit dieser Zeit, erfolgte nicht aufgrund von Arbeiterschutz-Gesetzen und Gewerkschaften, sondern war -trotz enormen Bevölkerungswachstums -Ergebnis von Kapitalismus und freien Märkten. Dasselbe gilt für Umverteilungssysteme: Auch sie erzeugen nicht Wohlstand, sondern zehren ihn auf; sie schaffen Anreize zu unproduktivem Verhalten sowie einem Leben auf Kosten des produktiven Teils der Gesellschaft. Natürlich gibt es Menschen, die sich nicht selber helfen können, Notleidende, Pechvögel, auf permanente Unterstützung Angewiesene. Natürlich braucht es für sie soziale Netze -so nah wie möglich bei den Bedürftigen, möglichst unbürokratisch und mitfühlend. Doch der Staat sollte dabei, zivilgesellschaftliche Strukturen unterstützend, nur subsidiär wirksam sein.

Saudeks Formulierung, ich würde die "Notwendigkeit eines existenzsichernden Lohns" verneinen, ist schlichtweg Polemik. Selbstverständlich besteht diese Notwendigkeit! Wie Papst Franziskus schon als Erzbischof von Buenos Aires betonte, entspricht es der Würde des Menschen, nicht von Almosen, sondern von der eigenen Arbeit zu leben. Genau deshalb trete ich gegen staatliche Almosensysteme ein und für Kapitalismus, freie Marktwirtschaft und ein Rechtssystem, das die Grundrechte der menschlichen Person schützt.

Die Menschen müssen Zugang zum Arbeitsmarkt sowie die Chance auf eine adäquate Basis an Bildung haben. Angeblich soziale Errungenschaften wie Mindestlöhne versperren diesen Zugang gerade den schlechtest Qualifizierten (zu denen auch asylsuchende Immigranten gehören). Diese hängen demzufolge am Tropf des Staates und sehen sich damit sozial ausgegrenzt. Finanziert wird das aus Steuern, deren Last anderseits so groß ist, dass sie unternehmerische Wertschöpfung und damit Wachstum behindert. Zudem wird ein Anspruchsdenken gefördert, das die Staatsschulden in exorbitante Höhen treibt -auf Kosten der nachfolgenden Generationen.

Familien in unseren Breitengraden leiden heute nicht unter zu niedrigen Löhnen. Vielmehr werden diese durch Steuern und Abgaben aller Art derart geschröpft, dass die Subventionierung der Familie notwendig geworden ist. Heute ist auch die Katholische Soziallehre so weit: Sie verlangt den Familienlohn nicht mehr als "Lohn", sondern als staatliche Familiensubvention aus Steuergeldern. Dem halte ich entgegen, dass es sozialer und ökonomisch effizienter wäre, die Steuern generell zu senken -beispielsweise mit einer Flat Tax. Damit würde die Familie als eigenverantwortliche Vorsorgegemeinschaft aufgewertet.

"Decretierte Staatshilfe"

Die ältere Tradition der katholischen Soziallehre, wie Leo XIII . sie vertrat, verteidigte kompromisslos das Privateigentum und damit die individuelle Freiheit gegen alle Formen des Sozialismus. So lehnte sie auch die Idee einer staatlich organisierten und demokratisch legitimierten Zwangsumverteilung ab. Dieser Tradition gehörte auch Bischof Freiherr von Ketteler an, der 1864 schrieb, die moderne Gefahr sei "das Project der durch Majoritäten decretierten Staatshilfe" und ein dadurch "immer weiter ausgebildetes Steuerund Zwangssystem, an dem sämtliche Staaten fast zu Grunde gehen und bei denen freie Selbstbestimmung und Gesinnung gänzlich in den Hintergrund treten". Heute wissen wir, dass Staaten, die dieser Versuchung erlegen sind, nicht nur die Mehrung allgemeinen Wohlstands behindern, sondern infolge falscher Anreize zudem neue Armut erzeugen -wahrlich kein christliches Rezept.

Der Autor ist Professor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom und Gründungspräsident des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy in Wien.

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