Tricks helfen nicht mehr

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Generationenvertrag: Die Sozialpolitiker müssen mutig sein. Heute geht es nur mehr darum, was sich unsere Gesellschaft leisten kann und was gerecht ist.

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Generationenvertrag: Die Sozialpolitiker müssen mutig sein. Heute geht es nur mehr darum, was sich unsere Gesellschaft leisten kann und was gerecht ist.

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Das Wort vom Generationenvertrag zu verwenden, war früher erlauchten sozialwissenschaftlichen Zirkeln vorbehalten. Heute ist es als politisches Schlag-Wort in aller Munde. Es blüht gleichsam als neues und hoffnungsvolles Pflänzchen auf dem Trümmerfeld von Ideologien und sozialpolitischen Illusionen. Heute stehen wir an einem Punkt, der zugleich von Pessimismus und Zuversicht gekennzeichnet ist. Grund zu Optimismus haben wir, weil das System der Altersversorgung seit hundert Jahren gewachsen ist und sich noch immer als tragfähige Säule unseres gesamten Sozialrechts erweist. Niemals ging - trotz zweier Weltkriege, wirtschaftlicher und politischer Katastrophen - irgend etwas ganz verloren, was an Beiträgen gezahlt wurde. Das sollte Vertrauen schaffen. Gerade dieses ist aber verlorengegangen. Heute gilt die allgemeine und vor allem bei der jüngeren Generation verbreitete Ansicht, das ganze System sei keinesfalls mehr aufrecht zu erhalten und die heute Aktiven müßten zwar die Alten (um teures Geld) erhalten, hätten aber selbst keine Aussicht mehr auf eine irgendwie vergleichbare Versorgung. Das ist höchst alarmierend und kann Quelle schwerer Auseinandersetzungen werden.

Bedenken wir: Die letzten Verwerfungen des Wohlstandsgefüges (Stichwort: "Globalisierung") haben die Pensionisten geradezu als Privilegierte hervorgebracht. Sind sie nun doch Inhaber eines sicheren und wohl bemessenen Einkommens - weitaus besser gestellt als etwa junge Menschen, die auf Postensuche sind und magere Einstiegslöhne erwarten, oder als noch nicht pensionierte, die um ihren Job bangen müssen. Der letzte Sozialbericht weist unter den akut Armen 152.000 Kinder, aber "nur" 41.000 Pensionisten aus.

Ein neuer, gar nicht so geringer Umverteilungsprozeß ist in Gang gekommen. In Österreich wird sehr viel geerbt, und oft stecken Großeltern ihren (Kindes)kindern namhafte Beträge zu. Viele sind - objektiv gesehen - "überversorgt", gar nicht wenige Menschen verfügen über zwei Leistungen (etwa Witwen- und Eigenpension). Natürlich gibt es auch viel Rentnerelend, und hunderttausend alte Menschen mit der als "Ausgleichszulage" beschriebenen Mindestleistung stellen ein Hauptkontingent der Armutsgefährdeten. Sie sind aber weniger Opfer eines unzureichenden Systems als eigener widriger Lebensumstände. Kleine Gewerbetreibende oder Bauern haben nur minimale Anwartschaften erworben, Frauen, die nur unregelmäßig und gegen schäbige Löhne gearbeitet haben, bekommen nun von der Gesellschaft ein zweites Mal die Rechnung für ihre Unterprivilegierung serviert.

Wer jedoch regelmäßig gearbeitet und ordentlich Beiträge gezahlt hat, ist anständig versorgt. Aber auch das scheint nun in Gefahr geraten zu sein. Eine schmerzliche Pensionsreform folgt der anderen und hinter vorgehaltener Hand wird zugegeben, daß noch lange nicht ein dauernd finanzierbares Leistungsniveau hergestellt wurde. Die OECD sagte uns das neulich ganz offen. Weitere Einschnitte werden also kommen.

Damit tritt der "Generationenvertrag" geradezu zwangsläufig ins Licht und wird zum Prinzip des Handelns. Was können wir demnach den Erwerbstätigen zumuten und was müssen wir den Alten als Lebensstandard einräumen? Immer mehr wird von Eigenvorsorge gesprochen und das entspricht der Logik der heutigen Verhältnisse, aber auch dem Gewinnstreben der einschlägigen Unternehmen, die Erspartes nutzbringend anlegen. Ihnen winkt eine lange und geradezu üppige Konjunktur. Auch hier muß freilich Umdenken eingefordert werden.

Wenn wieder einmal stirnrunzelnd berechnet wird, wie unverhältnismäßig groß doch der Anteil des Kapitalbesitzes am Volkseinkommen ist und wie sich die Shareholder zu den neuen Wölfen der Gesellschaft entwickeln, sollte man in Rechnung stellen, daß hier immer mehr für die alten Tage angesparte Gelder ins Gewicht fallen. In den USA gehört die Wirtschaft zu einem beträchtlichen Teil den Pensionsfonds. Ersetzt also die Eigenvorsorge hinkünftig die Solidarität der Generationen, die ihren reinsten Ausdruck im geltenden Umlageverfahren fand?

Ein derartiger Umbau des Systems erscheint weder realistisch noch vernünftig. In Notfällen - also bei Tod oder früher Erwerbsunfähigkeit - muß auch in Zukunft die Gemeinschaft einspringen. Ein reines "Ansparsystem" würde weiters den jetzt Berufstätigen abverlangen, gleichzeitig für die heute Alten und fürs eigene Alter vorzusorgen! Es wird daher nur - was ohnedies weitgehend außer Streit steht - ein allmählicher Übergang auf das Modell mehrerer "Säulen" erfolgen können. Geplantes Vorgehen der offiziellen Sozialpolitik in diese Richtung ist aber noch immer nicht in Sicht, und man überläßt statt dessen den Vorsorgewilligen seiner eigenen und oft unsicheren Disposition. Das ist unverzeihlich!

Blicken wir noch einmal zurück. Was Alterssicherung bedeutet und wie sie stattfindet, war im zu Ende gehenden Jahrhundert Gegenstand schwerer politischer Kämpfe, aber auch ungehemmter Demagogie. Mit dem "Rentenklau" unseligen Gedenkens wurden Wahlkämpfe geschlagen, und bis in jüngste Zeit gaben unerfüllbare "Pensionsgarantien" Ausschlag für das Bürgervotum. Der Blick darauf, was Gegenstand eines vernünftigen Pensionssystems sein soll, wurde so verstellt. Liegt "Versicherung" - wie auch der Name sagt - vor, also Rechtsanspruch auf Leistung im Versicherungsfall aufgrund geleisteter Prämien? Der Wortlaut des Gesetzes sieht es so. Oder geht es um allgemeine Versorgung oder gar Fürsorge für Bedürftige? Alle diese Grundsätze finden wir heute vor.

Das bestehende System ist zu einem großen Teil organisch gewachsen, aber auch - und das erscheint ganz wesentlich! - Ergebnis von Auseinandersetzungen, die man nur als Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln bezeichnen kann. Jede quantitative Ausweitung des Leistungsvolumens wurde als Fortschritt betrachtet, selbst wenn dabei "lizitiert" und Unsinn produziert wurde. Musterbeispiel dafür ist etwa die Erhöhung der Witwen(Witwer)pension von 50 auf 60 Prozent, die nur dann sinnvoll ist, wenn die Witwe allein auf dieses Einkommen angewiesen ist. Sie wurde aber als Folge eines Wahlversprechens generell eingeführt, was Überversorgung auslöste und spätere Korrekturen erforderte.

Dazu kam ein weiterer sozialpolitischer Prozeß, der weit an den Beginn der Arbeitsgesellschaft zurückreicht und den heutigen Stand der Dinge erklärt. Es ging um die soziale Zukunft und da sah man zwei Pioniergruppen, denen man nacheiferte. Die eine rekrutierte sich aus den Beamten mit pragmatisierter Pension, die andere aus den Privatangestellten, die als damalige Minderheit ordentliche Alterssicherung aufgrund ihrer besonderen Position erreicht hatten. Genau das sollte allen Menschen zugute kommen - ein legitimes Anliegen, das aber gewaltige Anforderungen an die Finanzkraft der Gesellschaft stellte.

Dennoch glaubte man, es eben mit einem "Erkämpfen" zu schaffen, übersah aber, daß es nicht mehr um die Durchsetzung von Gruppenrechten ging, sondern daß man in einen die ganze Bevölkerung erfassenden Umverteilungsvorgang geraten war, der sich schließlich als Kampf aller gegen alle erwies und daher keine Sieger und keine Besiegten kennt.

Heute geht es nur mehr darum, was sich unsere Gesellschaft leisten kann und was gerecht ist. Tricks helfen nicht mehr. Pensionskosten kann man nicht mehr wegschwindeln, wie man das früher sehr konsequent versucht hat. "Arbeitgeberbeiträge" sieht man zwar nicht am Lohnzettel, sie müssen aber dennoch von den Betrieben erwirtschaftet und von den Konsumenten berappt werden. Staatszuschüsse für die Pensionsanstalten kümmerten den Bürger nicht - solange freilich nur, bis er von explodierenden Defiziten und einer enormen Staatsverschuldung erfuhr. Das angesagte ewige Pensionsfest war damit aus, der Aschermittwoch der Sparpakete mußte folgen.

Daher also "Generationenvertrag". Man kann eigentlich heute den Parteien nur raten, alle (überholten) politischen Positionen über Bord zu werfen und gemeinsam - gleichsam auf dem Reißbrett - jenes System zu entwerfen, das man mit den heutigen Erfahrungen und aufgrund des aktuellen Standes der Wirtschaftsentwicklung schaffen würde, wenn es noch kein solches gäbe. Dabei wäre eine vernünftige Mischung von Versicherungs-, also Leistungsprinzip, Versorgung im objektiven Notfall und zumutbarer Eigenvorsorge herzustellen. Hierzu muß auch die Betriebsvorsorge gerechnet werden, die aber unbedingt losgelöst vom einzelnen Unternehmen, also über Pensionskassen erfolgen sollte. Die stark zunehmende Mobilität der Arbeitskräfte und das unsichere Schicksal vieler - auch heute starker - Betriebe zwingen dazu.

Der Übergang hätte behutsam zu erfolgen, denn es gibt sie, die "wohlerworbenen Rechte". Keinesfalls dürfen diese aber - wie das noch immer von manchen Gewerkschaftern gesehen wird - als Bewahrung nicht mehr tragbarer Gruppeninteressen verstanden werden, sondern nur mehr als individueller Vertrauensschutz für jene, die jahrzehntelang vom Staat auf ein bestimmtes gesetzliches System verwiesen wurden. Der Begriff vom Generationenvertrag ist dabei sicher hilfreich. Er sollte uns von der dümmlichen Vorstellung befreien, irgend jemand, der außerhalb der Familie Österreicher steht, könnte unser Alter finanzieren. Daß dem nicht so ist, versteht heute jeder. Die Menschen sind hier viel vernünftiger als manche Funktionäre. Sie wollen nur wissen, wie's weitergeht. Das sagt man ihnen aber (noch) nicht.

Bischof Aichern sprach unlängst vom Dekalog als ältestem Sozialgesetz. Moses meinte mit seinem Gebot zugunsten von Vater und Mutter nicht (nur) Ehrerbietung, sondern wollte seinem Volk sagen, daß die Kinder für uns sorgen werden, wenn wir dasselbe für unsere Eltern jetzt tun. Die heutige Gesellschaft mit ihrer imposanten sozialen Technik kann dieses uralte Prinzip verfeinern und zur allgemeinen, vom Staat getragenen Norm machen. Das Gesetz kann abwägen und festlegen, was wir selbst und was andere für uns zu tun haben. Dabei muß mit absoluter Konsequenz Gleichheit und Gerechtigkeit gewahrt werden. Daher ist Leistung zu honorieren, aber Üppigkeit für Privilegierte auszuschließen (also hier auf Eigenvorsorge zu verweisen).

Ängste sind also, was die weitere Entwicklung betrifft, ebenso wenig angebracht, wie demagogische Versprechungen. Der Sturz vom "alles geht" zum "nichts geht mehr", wie wir ihn jetzt erleben, ist Folge mangelnder sozialer Orientierung, unsinnig und gefährlich. Die weiterhin gewaltig steigende Kraft unserer Wirtschaft und die Leistungsbereitschaft der Menschen werden es auch dann ermöglichen, der älteren Generation ein anständiges Leben zu bieten, wenn es weniger Arbeit, viel unregelmäßigere Erwerbskarrieren und weniger Abschöpfung von Masseneinkommen aus Arbeit geben wird. Nur: Vorsorgen für die künftige Verteilung der Lebenschancen müssen jetzt unsere Sozialpolitiker. Und mutig dabei sein. Jedes Zuwarten und Fortsetzen früherer Verteilungskämpfe gefährdet die Zukunft.

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