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Frühpensionen drücken auf das Sozialbudget

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Die Diskussion um die soziale Sicherheit erinnert fatal an die Geschichte der verstaatlichten Industrie. Jahrzehntelang waren Probleme bekannt, Maßnahmen erfolgten viel zu spät.

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Die Diskussion um die soziale Sicherheit erinnert fatal an die Geschichte der verstaatlichten Industrie. Jahrzehntelang waren Probleme bekannt, Maßnahmen erfolgten viel zu spät.

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Recht unvermutet ist wieder eine Diskussion darüber losgebrochen, ob man Leistungen der sozialen Sicherheit kürzen sollte, um die Sozialausgaben zu beschränken. Eine gewisse Verwirrung entstand dadurch, daß diese Überlegun - ftrerst nicht sehr konkret waren: Sozialminister Hesoun dachte an eine Einkommensgrenze von 70.000 Schilling für die Gewährung des Karenzurlaubsgeldes, andererseits meinten befragte Sozialexperten, man müsse, im Gegenteil, noch mehr für soziale Sicherheit aufwenden. Worin liegt also das Problem?

Entgegen dem in jüngerer Zeit im Umlauf befindlichen Schlagwort vom „Sozialabbau“ wird stetig mehr für diesen Bereich aufgewendet: 1955, im Jahr des Staatsvertrages, wurden für Zwecke der sozialen Sicherheit insgesamt 15,9 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes in Anspruch genommen, 1975, zur Zeit der „Ölkrise“ 24,0 Prozent, und 1992 waren es bereits 28,3 Prozent - mit steigender Tendenz!

Diese tendenziell wachsende Quote leuchtet deshalb nicht ohne weiteres ein, weil sich das Einkommen der Bevölkerung in Österreich seit 1955 real ungefähr vervierfacht hat, und man annehmen könnte, daß

sich der Bedarf nach Sozialleistungen mit wachsendem Wohlstand verringere.

Aber wie immer man diese Situation beurteilt - man kann nicht an der Tatsache vorüber gehen, daß die jeweils arbeitende Generation die Kosten der sozialen Sicherheit, sei es über Steuern, sei es über Beiträge, aufbringen muß.

Daher steigen auch die Sozialversicherungsbeiträge stetig: 1955 betrugen sie rund 20 Prozent des Bruttoeinkommens (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge), heute fast 40 Prozent. Gelegentliche Steuersenkungen vermögen diese Entwicklung nur zum Teil zu kompensieren.

In fernerer Zukunft-wird die expansive Tendenz durch demographische Veränderungen insbesondere in der Pensionsversicherung spürbar verschärft werden, sodaß sich die Frage stellt, ob der Generationenvertrag hält, ob die arbeitende Bevölkerung bereit sein wird, einen derart

hohen Teil ihres Einkornmens den Empfängern der Sozialleistungen zur Verfügung zu stellen. Diese Überlegungen sind keine Chimäre, in der Wiener Ärztekammer ist der Generationenkampf bereits im vollen Gange!

Daher ist dem Bundeskanzler zuzustimmen, wenn er meint, daß wahrscheinlich eine Obergrenze der Sozialausgaben erreicht sei und Gedanken darüber angestellt werden müßten, veraltete Leistungen einzuschränken. Ob freilich die Einführung der Einkommensgrenze für Karenzurlaubsgeld einen zweck-

mäßigen Beginn darstellt, bleibt dahingestellt; denn abgesehen davon, daß bestenfalls wenige Zehntelprozent dieser Personengruppe ein solches Einkommen erreichen, haben Familienleistungen auch die Aufgabe, die finanziellen Belastungen der Familien gegenüber kinderlosen

Personen auszugleichen,

weil die Kinder letztlich einmal auch solche Personen erhalten werden müssen. Daher kann ein solcher Ausgleich eigentlich nicht an Ein- kommensgrenzen gebunden werden. Viel eher sollte man sich auf das Anfallsalter der Pensionen sowohl nach dem ASVG wie auch im öffentlich^ jBifflBiili,. fflflhiu ten, dessen stetiges Absinken ungeheure Kosten verursacht.

Weitere Maßnahmen für diesen Bereich sollten für jene Perioden ins Auge gefaßt werden, da auf dem Arbeitsmarkt eine gewisse Stabilisierung eingetreten ist. Alles das bedeutet nicht, daß das System der sozialen Sicherheit morgen zusammenbrechen wird, aber gerade in diesem Bereich muß man für die Zukunft Vorsorgen!

Man erinnere sich der verstaatlichten Industrie. 30 Jahre kannte man ihre Probleme und urgierte Reformen. Es geschah nichts, oder die Maßnahmen erfolgten viel zu spät. Heute haben wir die verstaatlichte Industrie gehabt.

Ohne Verstaatlichte kann man leben, ohne soziale Sicherheit nicht. Die Politik ist gefordert.

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