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Die Kinderarmut als Rentenklau von morgen

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Die Pensionen der heute 40- bis 45jährigen sind in Gefahr, wenn es nicht bald gelingt, die Geburtenfreudigkeit in Österreich zu heben. Das ist die Quintessenz einer unter der Leitung des Verfassers am Institut für angewandte Sozial-und Wirtschaftsforschung erarbeiteten Studie über „Finanzierungsprobleme der österreichischen Sozialversicherung“.

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Die Pensionen der heute 40- bis 45jährigen sind in Gefahr, wenn es nicht bald gelingt, die Geburtenfreudigkeit in Österreich zu heben. Das ist die Quintessenz einer unter der Leitung des Verfassers am Institut für angewandte Sozial-und Wirtschaftsforschung erarbeiteten Studie über „Finanzierungsprobleme der österreichischen Sozialversicherung“.

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Die Fakten sind an sich bereits seit Jahren bekannt. Das Institut für Versicherungsmathematik an der Technischen Universität Wien hat in den Jahren 1974 und 1975 zwei Studien über die längerfristige Bevölkerungsentwicklung in Österreich veröffentlicht. Erst unsere Studie hat jedoch versucht, die konkreten Auswirkungen der vermuteten Bevölkerungsentwicklung auf die Pensionsversicherung zu ermitteln.

Um den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Pensionsversicherung zu verstehen, genügt es, auf das Finanzierungskonzept der Pensionsversicherung zu blicken. Mit einem Satz gesagt, besteht es darin, daß die Erwerbstätigen jedes Jahr die Kosten der Pensionen eben dieses Jahres aufbringen müssen. Sie tun dies durch die Entrichtung von Beiträgen zur Pensionsversicherung und durch ihre Steuerleistungen, da annähernd 30 Prozent der Aufwendungen der Pensionsversicherung durch Staatszuschüsse gedeckt werden.

Dieses sogenannte Umlageverfahren besteht also darin, daß jeder Schilling, der in der Pensionsversicherung ausgegeben wird, in eben diesem Jahr eingenommen werden muß. Die Vorstellung, die für die Privatversicherung zutrifft, daß der Versicherte mit seinem Beitrag seine eigene Pension finanziert, trifft für die Sozialversicherung nicht zu.'

Ihr hegt ein stillschweigender Generationenvertrag zugrunde: die jeweils Jungen zahlen die Pensionen der jeweils Alten. Damit ist klar, daß sich die Pensionsversicherung um so leichter tut, je mehr Versicherte (das heißt: Erwerbstätige) vorhanden sind bzw. je weniger Pensionen gezahlt werden müssen. Die Schlüsselzahl dafür ist die sogenannte Belastungsquote: sie besagt, wie viele Pensionisten auf 1000 Versicherte entfallen. Die Belastungsquote betrug 1975 504; rund zwei Versicherte mußten einen Pensionisten erhalten.

Die Entwicklung der Belastungsquote hängt ihrerseits von zwei Faktoren ab: von der Zahl der Jungen und Alten sowie von der Rate der Er-werbsfetigkeit. Der erste dieser beiden Faktoren wird durch die demographische Entwicklung bestimmt.

Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, daß die Zahl der über 60jähri-gen zunächst (bis 1998) etwas zurückgehen, dann aber stark ansteigen wird. Damit konform geht ein zumindest vorläufig weiteres Absinken der Geburtenzahlen. Legt man für die weitere wirtschaftliche Entwicklung die Verhältnisse des Jahres 1975 zugrunde (also eine eher optimistische Annahme), so zeigt sich eine nahezu teuflische Entwicklung.

Die Belastungsquote in der Pensionsversicherung wird nämlich bis zur Jahrtausendwende auf etwa 380 zurückgehen, um dann stark anzusteigen und 2032 den Höchstwert von 614 zu erreichen. Die zwischen 1998 und 2032 dadurch eintretende Belastungserhöhung beträgt nicht weniger als 61 Prozent oder beinahe zwei Prozent pro Jahr. Teuflisch ist die Entwicklung deshalb, weil die in den nächsten zwei Jahrzehnten eintretende Entspannung die Finanzierung der Pensionsversicherung erleichtern und damit den Sozialpolitikern Anreize zu Leistungsausweitungen geben wird und erst dann die Belastungen mit voller Wucht auf die Erwerbstätigen treffen werden.

Was ist dagegen zu tun? Die Situation könnte sich entschärfen, wenn es gelänge, nach der Jahrtausendwende das Wirtschaftswachstum kräftig anzukurbeln. Realistischerweise kann man sich darauf aber nicht verlassen. Will man die gewaltigen Belastungen der kommenden Generation verringern - und das dürfte notwendig sein, da keine Gewähr dafür besteht, daß sich die Erwerbsgeneration des Jahres 2000 gewaltig erhöhte Sozialabgaben gefallen lassen wird -s so gibt es nur einen einzigen zielführenden Weg: eine Änderung der demographischen Entwicklung, also eine Erhöhung der Geburtenzahlen in Österreich.

Die Notwendigkeit einer Änderung belegt auch die eben erschienene Bevölkerungsprognose des Statistischen Zentralamtes bis zum Jahre 2010. Sie ist zwar etwas optimistischer als die Vorausberechnungen der Technischen Universität Wien aus 1975, bestätigt aber die Trends unserer Studie. Seit dem Babyboom um 1960 ist die Zahl der Geburten in Österreich ständig zurückgegangen, und das vor allem deshalb, weil immer weniger Ehepaare bereit waren, mehr als zwei Kinder zu haben.

Unsere Studie geht davon aus, daß die Gründe des Geburtenrückganges mannigfacher Art sind, weshalb auch Gegenmaßnahmen komplex sein müssen. Ansatzpunkt kann nur die Familie sein. Ziel aller Bemühungen muß es sein, daß der Wunsch nach Kindern nach dem ersten oder zweiten Kind nicht schwindet. Im Vordergrund müßte eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit „pro Kind“ stehen. Ohne ein gesellschaftliches Bewußtsein über die Notwendigkeit eines gewissen Kinderreichtums geht es nicht.

Da ein Alleinverdiener mit durchschnittlichem Einkommen bei vier Kindern bereits knapp an der Armutsgrenze liegt, sind allerdings auch ökonomische Hilfen erforderlich. Auch hier stünde ein Bündel von Maßnahmen zur Verfügung. Sie reichen von der verbilligten Wohnraumbeschaffung für junge Familien über die Einführung eines Erziehungsgeldes und die Entnivellierung der Familienbeihilfen bis zu Begünstigungen für Mütter in der Pensionsversicherung.

Selbstverständlich kosten auch diese Maßnahmen Geld; sie können aber zum Teil durch Umwidmung vorhandener Mittel finanziert werden und dürften insgesamt weit billiger sein als die auf uns sonst zukommenden Kosten der Uberalterung Österreichs.

Die Studie geht selbstverständlich noch auf viele andere finanzielle Probleme der Sozialversicherung, insbesondere auf die Kostenexplosion in der Krankenversicherung, ein; im Mittelpunkt mußte jedoch die Pensionsversicherung stehen, verschlingt sie doch nicht weniger als 70 Prozent der Ausgaben der gesamten Sozialversicherung.

Das soziale Problem in 20 Jahren wird unweigerlich die Finanzierung der Pensionsversicherung sein. Dieses Problem kann aber nicht erst im 21P Jahrhundert gelöst werden, die Gegenmaßnahmen müssen vielmehr unverzüglich gesetzt werden. Schiebt die jüngere Generation von heute die Lösung dieses Problems vor sich her, wird sie die Konsequenzen dereinst an ihrer eigenen Alterssicherung deutlich zu spüren bekommen.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.

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