Volk der Lebensplaner

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Die Debatte zur Pensionsreform ist dann sinnvoll, wenn sie in einen stabilen neuen Generationenvertrag mündet.

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Die Debatte zur Pensionsreform ist dann sinnvoll, wenn sie in einen stabilen neuen Generationenvertrag mündet.

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Nichts ist dem Österreicher wichtiger als sein gesicherter Lebensabend, nichts erzürnt ihn mehr, als wenn an seinem Pensionsanspruch herumgedoktert wird. Insofern ist die gegenwärtige Diskussion über eine umfassende Pensionsreform - der ja in den letzten Jahren schon einige, aber offenbar nicht ausreichende Änderungen im Pensionssystem vorangegangen sind - ein Stich in ein Wespennest. Die Regierung hat den legitimen Wunsch, dem massiven Drängen in die Frühpension - einerseits durch Arbeitnehmer selbst, andererseits durch Arbeitgeber, die ältere teure Mitarbeiter durch billige junge Kräfte ersetzen wollen - einen Riegel vorzuschieben. Doch sie stößt damit auf heftigen Widerstand, der bis zur Verfassungsklage reicht. Von einer unzulässigen Verletzung des Vertrauensgrundsatzes und einem Eingriff in die Lebensplanung ist die Rede.

Natürlich sollte ein Staat nicht willkürlich ein System ändern, auf das sich viele seiner Bürger eingestellt und auf dessen Bestand sie vertraut haben. Aber wenn es erforderlich ist und das System als solches nur durch massive Eingriffe erhalten werden kann, wie es der Experte Franz Kohmaier unlängst dargelegt hat (furche Nr.17/27. April 2000, S. 14-15), sollte man die Begriffe Vertrauen und Lebensplanung nicht überstrapazieren.

Ohne in Zynismus verfallen zu wollen: Aber wie kommen unheilbar Kranke, Opfer von Naturkatastrophen, von Verbrechen, Terror und Krieg mit ihrer Lebensplanung zurecht? Während wir in diesen Fällen einsehen, dass der Staat unsere Lebensplanung nur beschränkt schützen kann, fordern wir das beim Pensionssystem massiv ein. Nur zum Teil mit Recht. Denn der entscheidende Faktor dabei ist die demographische Entwicklung, und auf die haben staatliche Maßnahmen auch nur beschränkt Einfluss. Um das wachsende Missverhältnis zwischen arbeitender Bevölkerung und Pensionisten zu korrigieren, gibt es im Grunde nur drei Wege: n eine sinkende Lebenserwartung - die wünscht sich mit Recht keiner.

n stärkere Jahrgänge im Arbeitsprozess - woher nehmen, wenn Ausländer unerwünscht sind und in den vergangenen Jahrzehnten die heimischen Geburten stark zurückgegangen sind?

n oder ein späteres Pensionsantrittsalter, was als der am ehesten gangbare Weg erscheint.

Muss es also nicht im Interesse der gesamten Gesellschaft und eines Generationenvertrages, der diesen Namen verdient, sein, dass der Weg in die Frühpension erschwert wird? Macht sich ein Verfassungsgericht nicht lächerlich, wenn es den Österreichern als Teil ihrer Lebensplanung zugesteht, vorzeitig in Pension zu gehen? Wäre es nicht sehr verwunderlich, sollten die Verfassungsrichter diesbezügliche Reformen ab Oktober 2000 als verfassungswidrig, ab Jänner oder April 2001 jedoch als verfassungskonform bewerten?

Lauter Invalide?

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht hier natürlich nicht um jene, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, keinen neuen mehr finden und mit reduzierten Ansprüchen in die Pension getrieben wurden und werden. Es geht nicht um jene, die tatsächlich krank und ausgebrannt in den Ruhestand treten, sondern um jene nicht wenigen, die das bisherige System weidlich auszunützen verstanden.

Wenn in Österreich 40 Prozent der Neupensionisten Personen sind, die sogar vor dem Frühpensionsalter wegen Krankheit aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, spricht das Bände. Der Wunsch, noch "in den besten Jahren" eine möglichst gut dotierte Pension anzutreten, ist menschlich durchaus verständlich, ihn auf Kosten anderer Teile der Gesellschaft durchsetzen zu wollen, zeugt jedoch nicht von der vielbeschworenen Solidarität oder von Verantwortungsgefühl.

Zu Opfern bereit Jeder Pensionist oder knapp vor der Pension Stehende möge sich einmal nüchtern ausrechnen, wieviel er im Lauf seines Arbeitslebens in die Pensionsversicherung eingezahlt hat und wieviel er bei durchschnittlicher Lebenserwartung insgesamt ausbezahlt bekommt. Wer ehrlich rechnet, wird zur Einsicht kommen, dass ein großer Teil der Pensionen auf Kosten der nächsten Generation konsumiert wird.

Diese nächste Generation hat ja auch bereits massive Eingriffe in ihre Lebensplanung hinnehmen müssen, seit zum Beispiel Studienzeiten nicht mehr für die Pension anrechenbar sind und teuer nachgekauft werden müssen.

Im Grunde verstehen die Österreicher die Zeichen der Zeit und sind, wie Umfragen bestätigen, durchaus geneigt, weitere Opfer zu bringen. Die Politik müsste ihnen nur überzeugend klarmachen, dass es nicht nur um das Stopfen von Budgetlöchern, sondern um echte, langfristig sichere Zukunftsmodelle geht. In diesem Zusammenhang ist es auch verfehlt, die Pensionsreform gegen das Karenzgeld für alle auszuspielen, das sicher teuer kommt, aber wenigstens ein Versuch ist, zur dringend nötigen Stabilisierung der Geburtenrate beizutragen. Der Ruf nach sozialer Staffelung solcher Transferleistungen ist zwar populär - aber vermehrt er nicht nur die Bürokratie, würde bei jeder Transferleistung die soziale Lage des Beziehers kontrolliert? Wäre da nicht der einstige Vorschlag des Liberalen Forums seligen Angedenkens, Einkommen und Transferleistungen zu addieren und gemeinsam zu besteuern, sozial gerechter und einfacher durchführbar?

So wie es jetzt ausschaut, werden jedenfalls die Ansprüche auf Karenzgeld in nächster Zeit nicht stark zunehmen, enorm hingegen die staatlichen Zuschüsse zu den Pensionen, wenn nicht möglichst rasch reformiert wird.

Neue Entwicklungen können für die Politik natürlich neuen Handlungsbedarf bedeuten. Wenn wirklich ein unerwarteter, kaum finanzierbarer Geburtenboom einsetzt, so wird die Politik eben darauf wieder reagieren müssen. Zum Glück hat es ja die Natur so eingerichtet, dass man in diesem Bereich nur auf eine Lebensplanung von neun Monaten Rücksicht nehmen muss.

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