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Die heißen Eisen nicht angetastet

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Vor hundert Jahren wurde das erste österreichische Sozialversicherungsgesetz, das Arbeiterunfallversicherungsgesetz, erlassen. Heute fehlt es den notwendigen Reformen - siehe Pensionen - meist an Mut.

Im „Bericht über die soziale Lage 1986“, den der Bundesminister für Arbeit und Soziales vor wenigen Wochen der Öffentlichkeit vorgelegt hat, findet sich unter der Kapitelüberschrift „Sozialpolitische Vorschau“ noch die folgende Passage:

„Im Jahr 1987 werden die im Rahmen einer geplanten Reform der Pensionsversicherung eingesetzten Arbeitskreise ihre Arbeit abgeschlossen haben. Der zusammenfassende Endbericht wird Wirtschafts- und Finanzprognosen und eine Abwägung verschiedener Vorschläge auf der Finan-zierungs- und Leistungsseite enthalten und soll als Grundlage für weiterführende Klärungen auf Politikerebene dienen“ (Sozialbericht, Seite 27).

Die Realität des sanierungsbedürftigen Staatshaushalts hat indes den Sozialminister unter Zugzwang gesetzt. Auf dringenden und drängenden Wunsch der Koalitionspartner SPÖ und ÖVP wurden Alfred Daliinger konkrete Maßnahmen zur Pensionsreform binnen Wochenfrist abverlangt, die nun um ein Jahr früher als noch im Regierungsübereinkommen vereinbart, also bereits ab 1. Jänner 1988, wirksam werden sollen.

Das vorliegende Reformpaket für die Pensionsversicherung (siehe Kasten „Drei Schritte auf dem Weg zur Pensionsreform“) ist aber nach übereinstimmenden Aussagen österreichischer Sozialversicherungsexperten wiederum nicht viel mehr als bloß ein .JReförmchen“.

Die heißen Eisen werden erst recht wieder nicht angegangen. Es fehlt, so der Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, Theodor Tomandl, nach wie vor „eine klare politische Leitlinie, eine Philosophie der Sozialversicherung“, die über den Zeitraum von ein, zwei Legislaturperioden hinausweist.

Diejenigen, die heute mitten im Erwerbsleben stehen, werden auch nach dem Silvesterabend 1987 nicht wissen, mit welchen Leistungen ihrer Pensionsversicherung sie nach vielen Beitragsjahren rechnen dürfen. Das „Recht auf Lebensplanung“ (Tomandl) wird der Masse der Erwerbstätigen von den zaudernden Sozialpolitikern vorenthalten.

Dabei liegen die Schwachpunkte unseres Sozialversicherungssystems klar auf der Hand. Die Bevölkerungsentwicklung, daß nämlich immer weniger Beitragszahler für eine immer größere Zahl von Pensionisten aufkommen müssen—ein in der sozialpolitischen Diskussion immer wieder genanntes Argument —, fällt kaum ins Gewicht. Viel schwerer wiegen da schon die Unterschiede im Leistungs- und Beitragsrecht.

Jede ernsthafte Reformmaßnahme in der Pensionsversicherung muß daher, so der Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Alois Dragaschnig, trachten, die Abstände im Pensionsrecht zwischen den einzelnen Berufsgruppen zu verkleinern.

Die „Pensionsreform 1988“ ist eher ein Schritt in die andere, falsche Richtung, geht man vom Prinzip der Solidargemeinschaft aller Erwerbstätigen aus. In erster Linie werden die Versicherten und Pensionsanwärter nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) zur Kasse gebeten.

Sowohl das Leistungsrecht als auch die Beitragspflicht der Bediensteten in Bund, Ländern und Gemeinden und auch bei den österreichischen Bundesbahnen wurden in die Reformüberlegungen erst gar nicht einbezogen.

Darüber hinaus fehlt jede Perspektive, wie etwa die Eigenvorsorge als zweite mögliche Säule für den Ruhestandsbezug in der für 1989 geplanten Steuerreform Berücksichtigung finden kann.

Nicht diskutiert wird derzeit auch über die Anhebung des Pensionsalters, auch nicht über die Möglichkeit eines flexiblen Ubergangs in den Ruhestand.

So werden sich denn die „Pensionsreformer“ wohl auch in naher Zukunft mit Beitragserhöhungen bei gleichzeitigen Leistungskürzungen zufrieden geben — wahrscheinlich dort, wo sie den geringsten Widerstand erwarten.

An den Ungerechtigkeiten unseres Pensionssystems ändert das nichts.

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