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Fast schon perfekt

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Der Bericht über die soziale Lage Österreichs im Jahre 1966 wurde von Bundesminister Grete Rehor im Wege der Bundesregierung am 19. Jänner 1968 dem Parlament vorgelegt, am 24. April 1968 vom Sozialausschuß des Nationalrates beraten und am 15. Mai 1968 vom Plenum zur Kenntnis genommen. Es ist dies der erstmalige Bericht dieser Art, der künftig jedes Jahr wiederholt werden soll. Damit wird eine Ankündigung des Bundeskanzlers Dr. Klaus eingelöst, die er in seiner Regierungserklärung vom 20. April 1966 getan hat.

Der Bericht enthält gewiß keine sensationellen Neuigkeiten, aber er vermittelt eine Reihe von interessanten Ziffern, die zu nachdenklichen Überlegungen anregen. Zunächst eine grundsätzliche Feststellung;

Österreich gehört zu jenen Staaten, in denen auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung im Zeichen der Industrialisierung steht. Die industrielle Gesellschaft ist wiederum durch die soziologische Grundtatsache der großen Masse der in abhängiger Arbeit stehenden, meist besitzlosen Menschen gekennzeichnet. Die sonst dem Eigentum innewohnende Funktion der Existenzsicherung wird in der Industriegesellschaft von einem breiten Band arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Schutzes, im besonderen Maß von der Sozialversicherung, übernommen. Darum hat die christliche Soziallehre die Sozialpolitik und ihren Niederschlag in der Rechtsordnung als Arbeitsrecht und Sozialrecht stets als besonders notwen dige, ja essentielle Einrichtung in der sich etablierenden Industriegesellschaft bewertet.

Sie gehören zu den Realitäten der modernen Gesellschaft und üben die allgemeine Ordnungsfunktion des Rechtes in dem ihnen besonders zugewiesenen Bereich aus. Zu den Realitäten des gesellschaftlichen. Lebens der Gegenwart gehören genauso die Gewerkschaft und die Arbeitgeberverbände, denen als Wirtschafts- und Sozialpartner eine nicht minder wichtige Hilfsfunktion bei der Verteilung des Sozialproduktes und bei der Förderung des wirtschaftlichen Fortschrittes zukommt. Die Franzosen müssen heute die Vernachlässigung dieser Erkenntnis mit schweren wirtschaftlichen Rückschlägen bezahlen.

Während aber das Arbeitsrecht nach wie vor dem Schutz der ab-

hängigen Arbeit dient, wurde im Sozialrecht das Sozialversicherungsrecht auch auf große Gruppen selbständig Erwerbstätiger ausgedehnt, die, wie wohl sie meist Eigentümer an ihren Produktionsmitteln sind, zum großen Teil diesen Schutz nicht mehr entbehren können. Das hängt zum Teil mit der manchmal sehr bescheidenen Ertragslage, zum Teil mit dem Substanzverlust zusammen, den viele kleinere Gewerbebetriebe durch zwei Kriege, Inflation, Demontage und sonstige Zerstörungen erlitten haben. So ist die österreichische Sozialversicherung dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht nur der großen Masse der Arbeitnehmer dient, sondern auch große Gruppen der selbständig Erwerbstätigen in der gewerblichen Wirtschaft, soweit sie den Kammern der gewerblichen Wirtschaft als Mitglieder angehören, in die Unfallversicherung des ASVG einibezogen hat und für sie durch Sonderversicherungsgesetze eine eigene Kranken- und Pensionsversicherung geschaffen hat. Dasselbe gilt für die österreichischen Bauern, die in die Unfallversicherung nach dem ASVG einbezogen sind und durch spätere Sonderversicherungsgesetze über eine eigene Krankenversicherung und eine landwirtschaftliche Zuschußrentenversicherung verfügen.

Österreich zählte am Ende des Jahres 1966 7,290.400 Einwohner. Davon waren zum gleichen Zeitpunkt rund 4,232.300 Personen unmittelbar krankenversichert. Wenn man die mitversicherten Angehörigen (nicht berufstätige Ehefrau, Kinder usw.) dazurechnet, so ist abgesehen von einigen kleinen Gruppen freiberuflich tätiger Personen (zum Beispiel Rechtsanwälte usw.) nahezu die ganze österreichische Bevölkerung unmittelbar oder mittelbar krankenversichert. Die Ausdehnung der sozialen Krankenversicherung ist nahezu perfekt.

Ende des Jahres 1966 wurden rund 1,258.400 Pensionen oder Renten aus der Sozialversicherung ausbezahlt. Zum gleichen Zeitpunkt wurden rund 304.700 Renten aus der Kriegsopfer- und Heeresversorgung sowie der Kleinrentnerfürsorge bezogen. Diese Ziffern bezeugen schon, daß Österreich die sozialen Verpflichtungen eines modernen Staates sehr ernst nimmt. Freude und Stolz darüber dürfen aber nicht dazu führen, Besorgnisse zu verhehlen, die bei der näheren Durchleuchtung der Kranken-, Unfall- und insbesondere der Pensionsversicherung auftauchen. Das gilt besonders für die Pensionsversicherung, in der die Kenntnis der altersmäßigen Gliederung der österreichischen Bevölkerung eine große Rolle spielt. Nach dem Sozialbericht (S. 8) weist Österreich im europäischen Vergleich den höchsten Prozentsatz an Einwohnern im Alter von 65 und mehr Jahren auf. Auch in den Altersgruppen der Fünfundvierzig- bis Fünfundsechzigjähnigen gehört Österreich zur Spitzengruppe. Dieser alarmierende Hinweis auf den hohen Prozentsatz an betagten Einwohnern in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ergibt sich aus statistischen Unterlagen der Weltgesundheitsorganisation. Diese Unterlagen umfassen regelmäßig einen Zeitraum von vier Jahren. Sie können sich daher nicht auf den Stand des Jahres 1965 beziehen. Insoweit sind also — wie ich glaube — unwesentliche Korrekturen möglich. Zu ähnlichen Resultaten kommt auch Doktor Harald Hansluwka (österreichisches Statistisches Zentralamt) in seiner Broschüre „Österreichs Bevölkerung im Spiegel der Volkszählung 1961“. Für die Problematik der Pensionsversicherung sind diese Zahlen von besonderer. Bedeutung.

Das Gebarungsvolumen der österreichischen Sozialversicherung lag im Jahre 1966 mit Gesamteinnahmen von 30,5 Milliarden Schilling um 2,7 Milliarden Schilling bzw. 9,8 Prozent höher als im Jahre 1965. Die Gesamtausgaben der Sozialversicherung erreichten im Jahre 1966 den Betrag von 29,34 Milliarden Schilling. Von den insgesamt 49 Versicherungsträgern hatten 35 im Jahre 1966 eine aktive Gebarung. Die Gesamteinnahmen betrugen im Jahre 1965 11,5 Prozent des Bruttonationalproduktes. Im Jahre 1967 ist das Gebarungsvolumen insbesondere in der Pensionsversicherung weiter angestiegen.

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