6535938-1946_15_14.jpg
Digital In Arbeit

Vor einer Neuregelung der Sozialversicherung in Österreich

Werbung
Werbung
Werbung

In der letzten Zeit ist das große Problem des Neuaufbaues der gesamten Sozialversicherung wieder in den Vordergrund allgemeinen Interesses im Auslande und Inlande getreten, wenn es auch in seiner Tragweite nicht an das auf der ganzen Welt lastende Ernährungsproblem heranreicht. Es ist charakteristisch und naheliegend, daß nach überstandenen Kriegen der Sozialversicherungsgedanke weite Bevölkerungsschichten befaßt, die von der nachfolgenden Friedenszeit doch wenigstens ein sorgenfreies Alter erhoffen.

Wir sehen, daß man sich zum Beispiel in England mit einem neuen Entwürfe der Regierung zum Aufbaue einer Sozialversicherung, die eigentlich dort bisher noch nicht bestanden hatte, beschäftigt. Der Be-veridge-Plan des Jahres 1942, der zu Vorschlägen über einen Sozialversicherungsaufbau im Jahre 1944 geführt hatte, wird jetzt vom neuen englischen Regierungsentwurfe abgelöst. Der Kostenzuschuß des Staates — etwas mehr als eine halbe Milliarde Pfund im ersten Jahre — bedeutet einen Aufwand, der auch in einem Siegerstaate zu ernsten Erwägungen führen muß. Allerdings handelt es sich dort um eine kostspielige, allgemeine Volksversicherung, die Arbeitslosenbeihilfen, Krankengeld, Wöchnerinnenzuschüsse namentlich aber Alters- und Invaliditätsrenten und Begräbnisgeld gewähren soll Wie teuer eine Arbeitslosenversicherung ist, wissen wir.

In Österreich hat das Bundesministerium für soziale Verwaltung den Entwurf zum Sozial versicherungs-Überleitungsgesetze an die Landeshauptmannschaften, Kammern und Sozialversicherungsträger zur Begutachtung versendet. Dieser Entwurf soll nach den amtlichen Mitteilungen vornehmlich nur die Schaffung eines eigenen österreichischen Sozialversicherungsrechtes vorbereiten, trotzdem wird eine Reihe von neuen zentralen Versicherungsträgern vorgesehen; es wird daher zweifellos eine Neuregelung der Sozialversicherung auch in der Ri ch-tung ihrer Einrichtungen geplant. Ist dem so. dann müssen wir uns im vorhinein darüber im Klaren sein, daß wir im Räume dieser Neuorganisation werden viel bescheidener sein müssen als die Auslandstaaten, zum Beispiel England, und daß die Sozialversicherung auf einwandfreien versicherungstechnischen Grundlagen aufgebaut, fast zu einem sehr bedeutenden Teile aus den Beiträgen der Versicherten zu decken sein wird. Wir werden uns der Überzeugung nicht verschließen dürfen, daß dem Zuschuß des Staates in Anbetracht der großen Aufgaben und der Lasten der Bundesfinanzen nach dem Kriege recht enge Grenzen gezogen sind Die finanzielle Tragbarkeit für die Versicherten und den Staat müssen zum Grundsatze der möglichsten Ökonomie und Vereinfachung der bestehenden und der #ür die Zukunft geplanten Einrichtungen auf diesem Gebiete führen.

Aus dem Komplexe des sozialen Versicherungswerkes in Österreich heben sich deutlich drei Gruppen hervor: d i e \rbeiterversicherung. umfassend die Kranken-. Alters- Invaliditäts- und Unfallversicherung, die Privatange-

stellte n-V ersicherung, umfassend die Kranken- und Pensionsversicherung, schließlich die Krankenversicherung der öffentlichen Seamten und Bediensteten. In den Rahmen dieser drei großen Gruppen müßte alles untergebracht werden. was etwa noch außerhalb steht, wenn nicht anders, so durch autarke Ersatzinstitute der Sozialversicherung, welche zumindest das Minimum der allgemeinen Sozialversicherungsleistungen gewähren können. Eine vierte Gruppr, nämlich die Sozialversicherung der selbständig Erwerbenden ist im Bereiche des gegenwä. tigen Sozialversiche-rungssystemes noch nicht soweit herangereift, um einen Abschluß des Sozialversicherungswerkes zu b'lden. Um ihre Wichtigkeit ist in dem von den Abgeordneten Ing. Raab; Ott, Lakowitsch und anderen im März 1946 im Nationalrat überreichten Antrage betreffend die Altersversorgung für den Gewerbestand überzeugend dargetan worden. Zweifellos würden die Selbständigen des Gewerbes und Handels mit denen der Landwirtschaft den Hauptkader dieser vierten Gruppe bilden; es würden lediglich noch die Angehörigen der freien Berufe als: Notare, Advokaten, Ärzte, Künstler und Schriftsteller usw. hinzutreten und den Abschluß bilden. Die Selbständigenversicherung wäre kein No-vum. Die Tschechoslowakei hat bereits vor Jahren die Lösung dieses Problems in Angriff genommen, der kriegerischen Verhältnissen wegen jedoch bisher nicht durchgeführt. Es wäre aber abwegig, jetzt schon einzelne kleine Standesguppen, zum Beispiel Notare (wie im Regierungsentwurf) herauszuheben und für sie ein eigenes Versicherungsinstitut zu schaffen.

Daher: Weitestgehende Vereinfachung und Zusammenschluß der bestehen de n und für die Zukunft geplanten Sozialversicherungseinrichtungen, und nicht neue Aufspaltungen des zentralen Apparates, wie er vorgeschlagen erscheint, vielmehr Verminderung der Betriebskosten, ständige Berücksichtigung der Tragbarkeit füi die Versicherten und den Staat, Erzielung möglichst annehmbarer, das ist ausreichender Versicherungsleistungen.

Wenn wir nach Inhalt des Staatsvoranschlages nahezu ebensoviel Staatspensionisten als aktive Staatsbedienstete und nahezu doppelt soviel pensionierte als aktive Eisenbahner zählen, müssen wir es uns überlegen, ein weiteres Heer von Beamten zu bezahlen und wertvolle, in die Tausende zählende Kräfte der produktiven Gütererzeugung zu entziehen. R e c t u s

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung