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Mehr Glück für Blank?

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Wir haben im Vorjahr in einem in der „Furche“ veröffentlichten Artikel „Kein Dank für Blank“ das von allem Anfang an aussichtslose Beginnen des deutschen Bundesarbeitsministers Theo-dort Blank geschildert, in Fortführung der von Adenauer bereits 1950 angekündigten umfassenden Sozialreform nun deren 2. Teil, den Entwurf zur Neuregelung der Krankenversicherung, in der Öffentlichkeit und im Bundestag durchzubringen. Vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der gesamten Ärzteschaft heftig bekämpft und von den eigenen Parteigenossen in der CDU/CSU verlassen, mußte er ihn schließlich zurückziehen. Man hajte erwartet, er werde nach Aeser Schlappe dem Kanzler sein fprtefeuille zur Verfügung stellen, aber dieser hat nun einmal eine Vorliebe für ihn und nahm ihn sogar in gleicher Eigenschaft wie bisher auch in sein viertes Kabinett hinein. In diesem aber wurde seine Position noch ungleich schwieriger als früher; mit Mendes Freien Demokraten zusammenzuarbeiten ist nicht leicht, zumal sie gesellschaftspolitisch große Töne anschlagen und stets mit neuen Ideen kommen, die allerdings zumeist nicht realisierbar sind.

In Sachen Krankenversicherung schwebte ihnen ein im Hinblick auf den derzeitigen Massenwohlstand und die seither gewandelten Probleme der modernen Industriegesellschaft ein völliges Abrücken von den immer noch aufrechterhaltenen Bismarckschen Prinzipien vor. Mit Blank gingen sie insofern konform, als auch sie in Hinkunft die Ausbeutung der Krankenkassen durch gewissenlose Versicherte und dann und wann auch durch ebensolche Ärzte verhindern wollten. Der Regierungserklärung vom 29. November 1961, die das Programm des vierten Kabinetts Adenauer erläuterte, war hinsichtlich dieser Probleme noch wenig zu entnehmen, und seither hüllte sich das Arbeitsministerium überhaupt in Stillschweigen, wenn man davon absieht, daß Blank am 16. März d. J. auf einer Tagung des sozialpolitischen Ausschusses der CDU erklärt hatte, daß man mit einer Neuvorlage des Krankenversicherungsentwurfes erst dann rechnen könne, wenn durch einen internen Meinungsaustausch zwischen den Parteien eine entsprechend große Mehrheit für denselben gefunden worden wäre.

Inzwischen wurde die Unruhe um Blank herum immer größer. Die SPD-Fraktion stellte am 30. Jänner d. J. im

Bundestag eine sogenannte Große Anfrage an ihn, wies auf die völlige legislative Stagnation auf sozialpolitischem Gebiet hin und versuchte seine Pläne zu erkunden. Daraufhin unterließ er es am 22. Februar d. }., die Anfrage, wie es sonst üblich ist, persönlich zu beantworten, und ließ lediglich ein Schreiben verlesen, dem zu entnehmen war, daß die Bundesregierung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage sei, die gestellten Einzelfragen zu beantworten. Das war eine erhebliche Brüskierung der Opposition, und die SPD protestierte denn auch und hielt ihre Anfrage aufrecht.

Dann aber folgte eine richtiggehende Sensation: Das „A c h t e r m e m o-r a n d u m“. Acht prominente protestantische Persönlichkeiten, darunter der Nobelpreisträger Prof. Heisenberg, Prof. von Weizsäcker, Prof. Reiser und der Präsident der Gesellschaft für sozialen Fortschritt in Bonn, Klaus von Bismarck, warfen der Bundesregierung ihre vielen Versäumnisse in der Sozialpolitik vor. „Die Behandlung der Krankenversicherung sei ein böses Beispiel kurzsichtigen taktischen Verhaltens.“ Das Memorandum, das nicht nur die Zustimmung des Rates der evangelischen Kirche Deutschlands, sondern auch weiter katholischer Kreise fand, wandte sich aber auch scharf gegen die Zusammenballung großer Vermögen in den Händen einiger weniger und appellierte an die Unternehmer, ihren Mitarbeitern aus dem Arbeiter-Stand zu einer breiten Eigentumsbildung zu verhelfen. Schließlich aber kam noch der für Blank so peinliche Skandal bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin, wo eine Revision ergeben hatte, daß dreiunddreißig vom Hundert sämtlicher Renten falsch berechnet worden waren und zwar 69 v. H. davon zu niedrig, so daß den Rentnern im Einzelfall bis zu 80 DM zu wenig ausgezahlt wurde.

Das alles zeigte dem Arbeitsminister, daß endlich etwas geschehen müsse, wenn er nicht beim Kanzler und in der gesamten Öffentlichkeit jeglichen Kredit verlieren wolle. So legte er denn dem Bundeskabinett am 16. Mai ein Elaborat vor, das die Grundsätze der von ihm geplanten Sozialgesetzgebung enthält. Charakteristisch für diese ist die Koppelung des Entwurfes über die Neuregelung der Krankenversicherung mit dem über die Lohnfortzahlung an Arbeiter im Erkrankungsfall und dem über die Kindergeldabgabe. Darnach entfällt zunächst die Auszahlung des Krankengeldes an Arbeiter durch die Kassen während der ersten sechs Wochen der Krankheitsdauer; an ihre Stelle tritt die volle Lohnauszahlung durch die Arbeitgeber, ein Vorgang, der schon jetzt bei den Angestellten feststellbar ist. Die Unternehmer werden dadurch zwar mit etwa 3 Milliarden DM jährlich neu belastet, doch wird der auf sie entfallende Krankenversicherungsbeitrag um 1,5 v. H gesenkt, und überdies werden sie vcn der Zahlung der Kindergeldabgabe befreit, für die sie bis jetzt eine Milliarde DM aufbringen mußten. Diese letztere Zahlung wird spätestens vom 1. Juli 1963 an vom Bundesfinanzminister Starke in den Bundeshaushalt übernommen. Eine völlige Neuerung bedeutet die Schaffung eines Individualbeitra-ges für den Versicherten. Sein bisheriger Beitrag bleibt zwar im ganzen unverändert, doch werden 1,5 v. H. davon auf ein für ihn bei der Kasse angelegtes Sonderkonto abgezweigt. Hat er es im Laufe eines Jahres nicht in Anspruch genommen, dann wird ihm der volle, auf dem Konto angesammelte Betrag — man rechnet im Höchstfall mit 162 DM, zurückgezahlt. Erkrankt er jedoch, so tritt für ihn eine Kostenbeteiligung ein, die aus dem Sonderkonto bis zur Höhe desselben bestritten wird. Und zwar hat der Versicherte zu zahlen: 10 bis 20 v. H. der Kosten der ärztlichen Behandlung, 2 DM für jeden im Krankenhaus zugebrachten Tag und schließlich für jedes Heilmittel eine Rezeptgebühr. Wird das Sonderkonto durch diese Kostenbeteiligung aber nicht erschöpft, so erhält er den verbleibenden Rest als Prämie zurückgezahlt.

Die Krankenkassen, die ab dem 42. Krankentag das Krankengeld dann wieder wie bisher in der Höhe von 60 v. H. des letzten Lohnes auszuzahlen haben, gehen bei dieser Neuregelung etwa ein Drittel ihrer bisher empfangenen Beitragszahlung verlustig. Werden sie so den Honorarforderungen der Ärzte, die nach der Einzelleistung zu bezahlen sind, nachkommen können?

Die Ärzteschaft sieht der allfälligen Verwirklichung dieses neuen Blank-Planes mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Sie kann damit rechnen, daß etwa die Hälfte ihrer Patienten ausbleiben wird. Das gibt ihr wohl die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit und Arbeitskraft wieder qualitativ anstatt wie bisher quantitativ einzusetzen, aber eine Reduzierung ihrer Einnahmen wird gleichwohl unvermeidlich sein.

Die Versicherten endlich werden sich bemühen, am Jahresende den vollen auf ihrem Sonderkonto erliegenden Betrag in die Hand zu bekommen; damit werden zunächst alle „Bagatellkranken“ ausgeschaltet, aber es wird auch Versichern geben, die aus diesem Grunde den Arzt meiden werden, auch wenn sie seiner wirklich bedürftig wären. Kann es da nicht zu einer schweren Schädigung der Volksgesundheit kommen?

Abi. vielleicht wird sich das besser einspielen, als wir alle glauben, noch ist es ja nicht so weit, und wenn man Neuland betritt, dann muß man eben erst Erfahrungen sammeln; das war bei der Schaffung der Krankenversicherung in der Bismarckzeit auch nicht anders. Vielleicht wird mit diesem neuen System eine neue Sternstunde der Sozialversicherung schlagen. Hoffen wir also, daß Theodor Blank diesmal mehr Glück hat.

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