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Randhemerkungen zur woche

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ASVü — das ist die Abkürzung für das Allgemeine SozialversicUcruHgsgesetz, das mit 1. Juli in Kraft treten soll, lieber dieses neue grundlegende Gesetz und andere Angelegenheiten seines Ressorts berichtete im Wiener Presseklub Sozialminister Maisei. Wenn man annimmt, daß auch die Kranken- und Unfallversicherung im Gesetz Platz finden sollen, muf! man sich auf mehr als 600 Paragraphen gefaßt machen. Drei Gebiete sind vorweg zu erledigen: das Mutter-schutzgesetz, das Arbeitszeitgesetz und das Krankenanstaltgesetz. Der erstgenannte Komplex findet die geringsten Schwierigkeiten. Das kommende Mutterschutzgesetz geht weiter als das neue, in Westdeutschland geübte. Das Arbeitszeitgesetz begegnet aber Schwierigkeiten. Der Vertreter der „Furche“ befragte den Minister hinsichtlich der Ueberstunden, die von den Gewerkschaften scharf bekämpft werden. Er antwortete, daß im neuen Gesetz eine bestimmte Zahl an Ueberstunden jährlich zugelassen ist, ohne an gesetzliche Bewilligung geknüpft zu sein. Darüber hinaus ist eine Bewilligung für jene unabweislichen Fälle allgemeinen, öffentlichen Interesses vorgesehen, wo eine Mehrleistung von Arbeitszeit geboten ist. Die sogenannte „Ueberstundenschinderei“ werde abgestellt — was übrigens für den Arbeitsmarkt von Bedeutung sein könnte. Mit dem Sozialversicherungsgesetz werden auch Kranken- und Unfallversicherung sowie die Schulung des Pflegepersonals geregelt. Eine Frage, welche das Gesetz aber offen läßt, bleibt der von den Ordenskrankenanstalten beanspruchte Zuschuß für den Gebarungsabgang. (In diesen Komplex gehören auch die katholischen Privatspitäler.) Gegenwärtig erhalten die Privatanstalten 10 Prozent gegen 37 Prozent der öffentlichen Unternehmungen. Umstritten sind ferner die Kassenapotheken (das Gesetz sieht ihre Errichtung vor) sowie das von den Aerzten verlangte Einkommenslimit für Kassenpatienten. Das neue Gesetz will auch die ungleiche Behandlung von Arbeitern und Angestellten in der Invaliditätsversicherung beseitigen. Neuversichert sollen künftig auch jene Kinder von Gewerbetreibenden werden, die im elterlichen Betriebe arbeiten. Bei Uebernahme des Unternehmens durch solch ein Familienmitglied ist vorgesehen, einen Teil der geleisteten Beiträge zurückzuerstatten. Unentschieden ist die Frage, ob die Grundlage der Sozialversicherung von 2400 auf 3600 Schilling oder mehr erhöht werden soll. Und ungeklärt (freilich nur für den Gesetzgeber, nicht den Rentenempfänger) ist, wie hoch die Rente sein muß, um einen erträglichen Lebensabend zu gewährleisten.

AUF DAS HOLZ KLOPFEN gilt ah Aberglaube, wenn man etwas „berufen“ will. In Oesterreich wird von Zeit zu Zeit immer aufs Holz geklopft, unberufen, das hat aber mit Unglauben weniger als mit dem Glauben zu tun, das Holz sei faul. Mit faulem Holz kann man nicht bauen und faules Holz brennt auch schlecht, aber es exportiert sich merkwürdigerweise gut. Neuerdings sind in Linz, wie schon einmal, die Forstfachleute zusammengekommen. Ein Mann, der es wissen muß, führte dabei (kein Holz aus, sondern:) aus, daß die Krise der Holzversorgung eine Krise des Bauernwaldes wäre. Der Vorrat ist hier von 250 Festmetern je Hektar durch Ueber-schlägerung auf 100, in manchen Fällen sogar auf 75 Festmeter je Hektar gesunken, was einem Substanzverlust von 70 Prozent gleichkommt. Da nun die Wälder Oesterreichs zu mehr als der Hälfte bäuerlicher Besitz sind, hat sich der Holzvorrat seit den letzten, aber schon bedenklichen Aufstellungen von 1933 (die in den geographischen Handbüchern von 1948 noch flott als allerneueste Ziffern angegeben werden) um zwei Drittel verringert. Man wird in den nächsten Jahren sehen, was das bedeutet. Es wird dann in der Tat nicht möglich sein, aufs Holz zu klopfen, höchstens, man nimmt mit den Stümpfen vorlieb. Es wäre aber an der Zeit, die dauernden Expertisen abzuschließen und Maßnahmen zu ergreifen, die — wie in dem Falle der Bauernwälder — zugleich eine ausgesprochen soziale Bedeutung hätten.

DER GEMEINSAME KAMPF der katholischen und der evangelischen .Kirche in Ostdeutschland gegen die .Jugendweihe“ geht seinem dramatischen Höhepunkt entgegen. Die in der sowjetzoualen „Deutschen Lehrerzeitung“ veröffentlichten Richtlinien bestätigen eindeutig, daß die „Jugendweihe“ mit Firmung oder Konfirmation völlig unvereinbar ist. Diese Richtlinien entnehmen der Aufklärung des IS. Jahrkunderts die Verherrlichung der menschlichen Vernunft, lösen die „Welträtsel“ nach Haeckels Methode und leiten von der Entwicklungstheorie des naturwissenschaftlichen Materialismus zur Geschichtslehre von Marx und Engels über. Zur praktischen Nutzanwendung der so gewonnenen Erkenntnisse wird auf die Gesellschaftsordnung der Sowjetunion verwiesen. In dem Literaturverzeichnis für jede Stunde, das den Richtlinien angefügt ist, sind denn auch zahlreiche Sowjetrussen vertreten. Was nicht In dieses sehr massive populärwissenschaftliche Schema hineinpaßt — und das gilt von jeder Religion —, wird zu den völlig überholten „mythologischen und mythischen Vorstellungen“ gerechnet. — Bei der Ausgestaltung der Vorbereitungsstunden sollen alle verfügbaren pädagogischen Hilfsmittel, wie Filme, Schallplatten, Museumsbesuche usw., angewandt werden. Die Unterweisung soll in geschmückten Räumen vor sich gehen und schon mit einer besonderen Feier beginnen. Jede Stunde soll möglichst ein Lied einleiten und beschließen. Diese Anweisungen entsprechen der neuerdings in der Sowjetzone verstärkt ausgegebenen Parole, „Gemütswerte zu pflege h“. Der Kommunismus wird zwar stets als „das einzig richtige, streng wissenschaftliche Lehrgebäude“ ausgegeben, er soll aber zugleich die emotionalen Schichten im ist Gold. Dieses Fett und die Göldzuwaage scheint der Grund dafür zu sein, daß Aga sich ein Lebe leisten kann, das mit dem seiner Untertanen nicht viel gemein hat. Nun hat Aga Khan, der in Frankreich residiert, einen Nachbarn bekommen: Maurice Thorez. Auch Oberhaupt einer Sekte, aber keiner moslemitischen, sondern einer moskowitischen. Die Luxusvilla des Mister Thorez hat Millionen gekostet. Darob Aufregung bei den Untertanen, die ihn zwar nicht mit Gold, wohl aber mit ihren Mitgliedsbeiträgen aufwiegen. Nichts gegen den Komfort. Nichts gegen Wintergärten und Jagden, gegen Ankauf von Gütern. Bedenklich wird die Sache aber, wenn die Käufer mit „Arbeitcrgeldern“ zahlen und wenn sie zur gleichen Zeit ihre Lanze gegen das Bürgertum uijd seinen aufreizenden Luxus einlegen, jenen Luxus, den sie in ihren Reservatgebieten selbst an den Tag legen. Warum ohne Krawatte und mit dem Anzug des Dieners bekleidet in den Wahlkreis fahren, warum von „wir Proletarier“ sprechen und die Rechte des arbeitenden Volkes nur gegen gutes Geld vertreten, wie etwa ein Anwalt, der sich die Interessen des Klienten zueigen macht, ohne innerlich mit ihm konform zu gehen? Im Marxismus spielt das ökonomische Interesse eine große Rolle. Nun sehen die Dinge im Untergrund und in der Opposition ganz anders aus. Die Arrivierten, die für ihre Person die soziale Frage gelöst haben, sollten besser mit neuen Argumenten kommen und nicht ein Spiel vorführen, das oft peinlich ist. Die Gattin des Generaldirektors wird sich genau so gebärden, ob der Herr Gemahl nun ein „Bürgerlicher“ (in der Gesinnung) ist, ein Genosse oder ein Adeliger. Das ist nun einmal so in der menschlichen Natur angelegt, wie übrigens die menschliche Art dem Marxismus (wie auch den christlichen Politikern) manchen üblen Streich spielt. Das ewig Menschliche drückt die marxistischen Ideen — je mehr Marxisten an die Macht kommen — auf eine fatale Wirklichkeit zurück, jene Wirklichkeit „Mensch“, mit der die Kirche in ihrer klassischen Realistik seit zwei Jahrtausenden ringt. *

WÄHREND AUCH DIE ÄRA MENDES-FRANCE nichts Wesentliches an den Dingen in Nor d-afrika zu ändern vermochte, hat Spanien seine Beziehungen zum marokkanischen Volk und seine Position in Marokko fortschreitend zu festigen gewußt. Gewiß haben die Franzosen recht, wenn sie die Spanier beschuldigen, aus ihren Schwierigkeiten Nutzen zu ziehen. Wäre es aber nicht verwunderlich, wenn sie es nicht täten? Sicherlich konvergieren letzten Endes die Interessen Spaniens und Frankreichs in Afrika. Sicherlich können sowohl Spanien wie Frankreich letzten Endes an keiner vollen Emanzipierung Nordafrikas interessiert sein. Die spanische Regierung hat aber gerade im Augenblick, als Unzufriedenheit und Empörung im französischen Interessengebiet die höchsten Wellen schlugen, eine neue, in ihrer Bedeutung und Tragweite nicht zu unterschätzende Form in ihrem Protektorat eingeführt. Dem Kalifen von Tetuan, der nach wie vor nicht den von den Franzosen eingesetzten, sondern den von ihnen abgesetzten Sultan von Marokko für den rechtmäßigen Herrscher anerkennt und als dessen Stellvertreter im spanischen Protektorat fungiert, sind größere, weitgehende Souveränitätsrechte in Form einer Kabinettsbildung zugestanden worden. Mit gebührendem feierlichen orientalischem Pomp und entsprechenden feierlichen Ansprachen der marokkanischen und spanischen Würdenträger ist das Mayzen, das neue Kabinett der Kalifen von Tetuan, eingesetzt worden. Der Unterschied zwischen den Verhältnissen in der französischen Interessensphäre und dem spanischen Protektorat konnte nicht besser unterstrichen werden.

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