6844083-1976_09_04.jpg
Digital In Arbeit

Selbstvorsorge — am Ende

Werbung
Werbung
Werbung

„Der Staat soll nicht nur für eine begrenzte Schicht der Gesellschaft die Risken des Daseins übernehmen. Diese Unterstützung muß auf alle Erwerbstätigen ausgedehnt werden, die mit ihrer Erwerbstätigkeit zur Finanzierung der Staatsausgaben beitragen“, formulierte der Sozialversicherungsexperte Professor No-vak im September 1975. Die Erläuterungen zur 32. ASVG-Novelle, welche vor kurzem den Nationalrat passierte, zitieren ihn wörtlich. Tatsächlich enthält dieses Zitat die Quintessenz der Novelle. Wir sind damit dem staatlichen Gesundheitsdienst und der Volkspension nach volksdemokratischem Muster leider einen Schritt nähergekommen. Unsere Sozialgesetzgebung bewegt sich auf Grund einer gewissen autonomen Gesetzlichkeit immer stärker in diese Richtung.

Die 32. ASVG-Novelle stellt eine besonders große Etappe auf diesem Weg dar. Neben — speziell für Angestellte — ziemlich massiven Beitragserhöhungen bringt sie gleichzeitig Umstrukturierungen der Einnahmendistribution zum Nachteil der Angestellten, womit — unbeschadet anderslautender offizieller Motivierungen — die Uniformierung der gesamten Sozialversicherung und damit die Verwischung der unterschiedlichen Gebarungserfolge der einzelnen Anstalten weiter vorangetrieben wird.

Darüber hinaus wird aber auch noch der Kreis der Versicherten beträchtlich erweitert. In die obligatorische Unfalls- und Pensionsversicherung werden die freiberuflich tätigen Ärzte — inklusive Tierärzte —, die Rechtsanwälte, Apotheker, Architekten, Ingenieurskonsulenten und Zivilingenieure miteinbezogen. Die Wirtschaftstreuhänder werden von der Kranken- und Unfallversicherung erfaßt werden,,.-des - weiteren erhalten auch Schüler und Studenten eine Unfallversicherung.

Durch Hinaufsetzung der Höchst-beitragsgrundlage werden außerdem noch die Kassen der Sozialversicherung ein wenig aufgefüllt — was

allerdings nur solange zutrifft, als das Gros der erhöhten Pensionsansprüche nicht fällig wird. Auf der anderen Seite wird die staatliche Pension dadurch für einen beachtlichen Kreis auf mittlerem Einkommensniveau attraktiver. Dies ist in erster Linie im Hinblick darauf interessant, daß Pensions- und Krankenversicherung nunmehr auch generell für die freiwillige Versicherung durch nicht versicherungspflichtige Personen geöffnet werden — allerdings nur für solche unter 45 Jahren. Wer also noch immer nicht zum Kreis der Pflichtversicherten gehört, kann freiwillig dazu stoßen.

Eine weitere Neuerung ist nicht nur für die neu zu Versichernden, sondern auch für Frauen, welche beispielsweise der Kindererziehung wegen für einige Zeit aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, interessant, nämlich die Möglichkeit, Versicherungszeiten einzukaufen. Dadurch wird die Relation zwischen Pension und Aktivbezug günstiger. Auch das erhöht natürlich die Attraktivität der Sozialversicherung.

Diese Maßnahmen werden verständlicherweise speziell von vielen Freiberuflern begrüßt werden, ganz im Sinn von Novak, der dazu schreibt: „Das auch von den Se' ständigen artikulierte Sicherheitsbedürfnis ist also durchaus verständlich und widerspricht nicht den berufsständischen Eigenarten der Freiberufler, wie oft eingewendet wird.“

Vor wenigen Dezennien wäre eine derartige Formulierung noch auf entscheidenden Widerstand der Betroffenen gestoßen. Heute ist zweifellos ein breiter Konsens dafür vorhanden.

Für viele gut verdienende Ärzte und Rechtsanwälte ist nämlich die Altersversorgung zu einem kritischen Problem geworden, denn die von ihren Kammern gezahlten Pensionen liegen weit unter denjenigen, die im Durchschnitt nach dem ASVG gezahlt werden und erscheinen speziell Menschen, die an hohe

Verdienste gewöhnt sind — wie dies bei vielen Freiberuflern der Fall ist — als unzumutbare Reduktion ihres Lebensstandards.

Früher war für Ärzte und Rechtsanwälte die Selbstvorsorge selbstverständlich: Die hohen Aktiveinkommen ermöglichten ausreichende Rücklagen für einen sorglosen Lebensabend.

Heute sind zwar die hohen Aktiveinkommen geblieben, ja womöglich noch höher geworden, aber Inflation, Besteuerung und eigen-tumsfeindliche Gesetze aller Art verhindern die Selbstvorsorge. Das „verständliche Sicherheitsbedürfnis“ der Freiberufler hat gar keine andere Möglichkeit als die staatliche Pension, welche als einzige einiger-

maßen inflationsgeschützt ist — bisher zumindest.

Ist also die Einbeziehung der Freiberufler in das ASVG ein Fortschritt? Wie man es nimmt. Aus der Perspektive der Gegenwart zweifellos, aber wir dürfen nicht übersehen, daß es sich hier um ein Sozdal-problem handelt, das erst künstlich durch die planmäßige Vernichtung aller Selbstvorsorgemöglichkeiten geschaffen worden ist. Zerstörung der Selbstvorsorge und Bedarf für staatlichen Versicherungsschutz sind einander komplementär.

Aber: Die Kosten der Sozialversicherung steigen konstant an. Durch die Einbeziehung von bisher nicht versicherten Personenkreisen erhöhen sie sich sogar überproportional — und das in einem schon heute gigantisch verschuldetem Staat. Wie lange wird in dieser Situation die Sozialversicherung noch eine zuverlässige Garantie im Falle von Krankheit und Unfall und für die Altersversorgung sein?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung