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Das ASVG und die bildenden Kunstler

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In dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), das am 1. Jänner 1956 in Kraft getreten ist, sind unter den versicherungspflichtigen Personen auch die selbständigen bildenden Künstler angeführt, wenn „die betreffende Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Haupt-quelle ihrer Einnahmen bildet und wenn sie in Ausübung ihres Berufes keine Angestellten beschäftigen“. Diese Einbeziehung der bildenden Künstler in das ASVG hat unter den Künstlern lebhafte Unruhe hervorgerufen. Die Künstler beschweren sich vor allem darüber, daß man ihnen vor der Beschlußfassung über eine so einschneidende, ihre Interessen betreffende Angelegenheit keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. In dem Motivenbericht zum ASVG findet sich nur ein kurzer Hinweis, daß durch die Aufnahme der bildenden Künstler in das ASVG einem schon lange geäußerten Wunsche aus diesem Kreise entsprochen werde. Eine nähere Angabe, wer diesen Wunsch geäußert hat, fehlt.

Wenn wir die Frage, was die bildenden Künstler vom ASVG erwarten können, beantworten wollen, müssen wir zuerst feststellen, was das ASVG dem Versicherten bietet und was der Versicherte dafür zu leisten hat. Wir wollen hier nur die zwei Punkte, die in der Resolution der Künstler die Hauptrolle spielen, herausgreifen: die Altersrente und den Versichertenbeitrag.

Nach dem ASVG hat der Versicherte nach dem vollendeten 65. Lebensjahre und die Versicherte nach dem vollendeten 60. Lebensjahre Anspruch auf die Altersrente, wenn wenigstens 180 Versicherungsmonatc vorliegen. Nun haben die Vertreter der Künstler die Forderung erhoben, daß ihnen — wie den Arbeitern — frühere Arbeitszeiten in die für die Altersrente erforderlichen Versicherungszeiten eingerechnet werden. Dabei haben sie aber übersehen, daß in der Hauptsache bei den Arbeitern und Angestellten nur solche Arbeitszeiten angerechnet werden, für die diese Versicherten auch Sozialbeiträge entrichtet haben. Wenn die Vertreter der Künstler über den gesetzlichen Rahmen hinaus eine Anrechnung früherer Arbeitszeiten etwa in dem Ausmaß anstreben sollten, daß Angehörige ihres Standes nach Erreichung der Altersgrenze (65. oder 60. Lebensjahr) sofort in den Genuß einer Altersrente kämen, werden sie diese Forderung schwerlich durchsetzen, da der

Gesetzgeber dann die gleiche Begünstigung auch allen anderen Versicherten gewähren müßte.

Das gleiche gilt von der Forderung, daß die öffentliche Hand den auf den Arbeitgeber entfallenden Anteil des Sozialversicherungsbeitrages übernehmen soll. Der bildende Künstler, der nach dem ASVG vollversichert ist, muß nämlich die gesamten Beiträge allein tragen, während sie beim Angestellten vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam getragen werden. Bei einem Monatsbezug von 2400 Schilling zum Beispiel zahlt der Angestellte einen monatlichen Beitrag von 246 Schilling. Der versicherungspflichtige Künstler hingegen hat bei dem gleichen Monatseinkommen einen Beitrag von 498 Schilling zu entrichten. Die Versicherungsleistungen aber sind in beiden Fällen die gleichen. So verständlich also der Wunsch der Künstler sein mag, einen Teil der Beitragsleistung auf den Staat zu überwälzen, wird auch dieser Forderung kein Erfolg beschieden sein, weil die gleiche Begünstigung auch die anderen selbständigen Berufe (Gewerbetreibende, Bauern) fordern würden.

Die Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Versicherung der bildenden Künstler im Rahmen des ASVG verbunden sind, beginnen aber schon mit der Auslegung des Begriffes „bildende Künstler“. Der Begriff ist im Gesetz nicht näher umschrieben; es ist daher für die Auslegung ein weiter Spielraum gegeben. Zunächst ist man versucht, den Begriff von der Akademie der bildenden Künste in Wien abzuleiten. Darnach wären die Absolventen dieser Anstalt, in der Hauptsache also Maler und Bildhauer, als bildende Künstler anzusehen. Gehören dazu aber auch Maler oder Bildhauer, die diesen Beruf praktisch ausüben, ohne jemals eine Kunstschule besucht zu haben? Darf dieser Begriff willkürlich zum Beispiel auch auf die Absolventen der Akademie für angewandte Kunst (Gebrauchsgraphiker, Textilentwerfer usw.) oder auch noch auf andere Gruppen ausgedehnt werden? Die Abgrenzung der Versicherungspflicht allein wird die Behörden bis zum Verwaltungsgerichtshof hinauf durch Jahre beschäftigen.

Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, wer als bildender Künstler im Sinne des Gesetzes anzusehen ist, wird die praktische Erfassung dieser Gruppe besonders schwierig sein. Denn gerade der Stand der Künstler, die keine Angestellten haben, ist einem großen Wechsel unterworfen. Junge Künstler, die nach Absolvierung der Schule zur Ueberzeugung kommen.daß sie in dem schweren Konkurrenzkampf nicht bestehen können, ergreifen einen anderen Beruf. Andere wandern vorübergehend oder dauernd in das Ausland ab. Auch der alleinstehende Künstler wird, wenn er große Aufträge erhält, für die Dauer der Mehrarbeit Angestellte aufnehmen und scheidet damit aus der Versicherung aus. Kurz, es wird in dieser Gruppe der Versicherten dauernd Veränderungen geben.

Auch die Feststellung der Bemessungsgrundlage für die Beiträge des Versicherten wird nicht leicht sein. Denn gerade der Künstler wird in der Regel keine verläßlichen Angaben über sein laufendes oder künftiges Einkommen machen können.

Schließlich hat sich der versicherungspflichtige Künstler selbst binnen drei Tagen nach Beginn der Pflichtversicherung anzumelden und ebenso binnen drei Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden; ebenso hat er alle für die Versicherungspflicht .bedeutsamen Veränderungen binnen drei Tagen anzuzeigen. Verstöße gegen diese Verpflichtung werden mit Geldstrafen bis zu 3000 Schilling belegt; außerdem können Beitragszuschläge bis zum zweifachen Betrage der nachzuzahlenden Beiträge vorgeschrieben werden. Auch hier eröffnen sich betrübliche Ausblicke für die Künstler, die sich erfahrungsgemäß mit Vorschriften solcher Art schlecht abfinden.

Der Widerspruch, daß das ASVG für die Masse der Versicherten bedeutende Verbesserungen bringt und daher mit Recht als ein großer Fortschritt auf dem sozialen Gebiete gerühmt wird, während sich für die zahlenmäßig unbedeutende Gruppe der bildenden Künstler ein unbefriedigendes Ergebnis einstellt, läßt sich einfach erklären. Die Bestimmungen des ASVG sind, besonders was ihre Durchführung anbelangt, auf die unselbständigen Dienstnehmer zugeschnitten. In dieses Gesetz wurde nun mit einem Teil der bildenden Künstler eine Gruppe der Selbständigen, die unter ganz anderen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen leben, hineingepreßt. Da sie nicht hineinpassen, müssen sich zwangsläufig Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten ergeben.

Die bildenden Künstler, gleichgültig ob sie ihren Beruf allein ausüben oder Angestellte beschäftigen, gehören in die Pensionsversicherung der Selbständigen, die ja nunmehr — nach Pressemeldungen — ernstlich in Angriff genommen wird. —

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