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Schreibverbot für Goethe

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Ungerecht und eines Kulturlandes unwürdig sind die Ruhensbe-stimmungen für Österreichs freischaffende Künstler. Sie beweisen einmal mehr die fragwürdige Haltung eines Staates.

Das Personenkomitee der österreichischen Komponisten, Schriftsteller und bildenden Künstler, gegründet, um die Interessen und Ansprüche dieser Berufsgruppe vor dem Gesetzgeber zu wahren, wird deshalb alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um diese Situation zu bereinigen. Es wird noch im Herbst neuerlich auf Ministerebene verhandeln und so lange intervenieren, bis Tantiemen beziehungsweise Honorare nicht mehr pensionshemmend wirken.

Durch zwei in letzter Zeit eingebrachte gesetzliche Regelungen ist das Problem der Ruhensbe-stimmungen noch brisanter geworden. 1984 hat man die Freigrenze für Nebeneinkommen bei ASVG-Pensionisten herabgesetzt, 1985 auch bei den öffentlich Bediensteten Ruhensbestimmun-gen eingeführt.

Demnach darf ein Pensionist, dem es bis 1983 gestattet war, zu seiner Pension 5.959 Schilling zu verdienen, trotz steigender Inflationsraten nur noch ein Erwerbseinkommen von 3.306 Schilling haben, andernfalls wirkt sich das schädlich auf seine Pension aus.

Etwas günstiger sieht die Situation aus, wenn jemand neben seiner Pension höhere Honorare und Tantiemen bezieht. Beispielsweise wenn ein Komponist mit einer Pension von 15.000 Schilling monatlich 12.000 Schilling dazu verdient. Zwar wird bei ihm die Freigrenze von 3.306 Schilling um 8.694 Schilling überschritten und seine Pension müßte um diesen Betrag gekürzt werden. Das aber verhindert eine Bestimmung, derzuf olge höchstens 40 Prozent der Pension ruhend gestellt werden dürfen. Da nun 40 Prozent von 15.000 Schilling 6.900 Schilling ausmachen, wird lediglich diese Summe ruhend gestellt, und der Mann erhält 9.000 Schilling Pension.

Vermietet dagegen ein Pensionist sein Haus, verpachtet sejne Äcker, verleiht sein Geld, mindert dies seine Pension keinesfalls. Walter Dillenz, der Sprecher des Personenkomitees, hat zu wiederholten Malen Bundeskanzler Fred Sinowatz und den Ministern Franz Vranitzky, Harald Ofner und Herbert Moritz ins Bewußtsein gerufen, daß die Welt ärmer wäre, wenn nicht Künstler wie Goethe, Verdi oder Goya - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen — bis ins hohe Alter kreativ tätig gewesen wären.

Denn sie und viele andere haben erst im „Pensionsalter“ ihre reifsten Werke geschaffen. So vollendete Goethe erst kurz vor seinem Tod als 83jähriger den „Faust II“, Verdi schrieb seinen „Othello“ mit 74 und seinen „Falstaff“ mit 80, und Goya schuf seine eindrucksvollsten Bilder, mit denen er zum Wegbereiter der Impressionisten wurde, nach seinem 60. Geburtstag.

Ruhensbestimmungen, argumentiert Walter Dillenz, wurden doch eingeführt, damit Pensionisten durch Weiterarbeit anderen keine Arbeitsplätze wegnähmen. Das aber sei bei schaffenden Künstlern nicht der Fall: Ein Werk, das ein Künstler schafft, schade keinem anderen, schließe nicht aus, daß ein anderer gleiches tut.

Im Gegenteil. Künstlerische Kreativität hat immer noch befruchtend gewirkt und Arbeitsplätze in einem weiten Bereich der Kulturvermittlung - in Theatern, Orchestern, Verlagen, Druk-kereien und im Buchhandel - geschaffen und dem Staat Devisen gebracht.

Weil alle Interventionen bisher keine anderen Reaktionen auslösten als schöne Worte, wollen die Mitglieder des Personenkomitees demnächst mit Unterrichtsminister Herbert Moritz und Justizminister Harald Ofner abermals ins Gespräch kommen und eine Gleichbehandlung der Verwertung von geistigem Eigentum mit dem aus anderem Eigentum (Einkünfte aus der Vermietung von Wohnungen) erreichen. Dafür bedarf es gemäß einem vorliegenden Gutachten weder einer Änderung des Pensionsgesetzes noch wäre eine solche Gesetzesanwendung verfassungswidrig.

Sollten diese Vorsprachen abermals fruchtlos bleiben, werden sich die Künstler an den Ver-waltungs- und Verfassungsgerichtshof wenden. Dann bleibt es den Höchstgerichten überlassen, das Recht auf Kreativität auch für pensionsberechtigte Staatsbürger zu sichern.

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