6875980-1978_43_17.jpg
Digital In Arbeit

Wieso „familienfreundlich“?

Werbung
Werbung
Werbung

Familienpolitik ist Aufgabe des Bundes, der Länder und Gemeinden - aber sie müßte, unserer Meinung nach, im Sinn des Subsidiari-tätsprinzips gestaltet sein: dem zu helfen, der sich aus eigener Kraft nicht mehr zu helfen vermag.

Vieles von dem, was die Bundesregierung in den vergangenen Jahren im Konzept ihrer Familienpolitik geleistet hat, verdient volle Anerkennung. Manches davon wäre für jede Regierung in diesen siebziger Jahren durchzuführen gewesen, wer immer an ihrer Spitze gestanden wäre. Selbstverständlichkeiten als Erfolge aufzuzählen, liegt aber nun einmal im Stil amtlicher Öffentlichkeitsarbeit.

Die Haushaltsführung wurde-im

Zug der Familienrechtsreform - als vollwertiger Beitrag zum Famüien-unterhalt anerkannt. Für manchen Scheidungsprozeß sicherlich eine notwendige Klarstellung - aber war die Arbeit der Frau im Haushalt nicht einst doch noch höher eingeschätzt, als man von der Prämisse ausging, daß das Arbeitseinkommen des Mannes ausreichen sollte, eine Familie zu ernähren? Und wenn die Arbeit der Frau im Haushalt, die Erziehung der Kinder, die Schaffung, einer liebevollen Umwelt auch dem Staat gegenüber -wenigstens für die Anrechnung auf die spätere Pension - geltend gemacht werden soll, paßt der Minister. Denn der spätere Einkauf in Versicherungszeiten kann kaum als Ersatz angesehen werden.

Der Bund fördert den Betrieb von Famüien- und Partnerberatungsstellen - eine längst fällige Maßnahme, die bis zum Schock der Fristenlösung fast ausschließlich von kirchlichen Institutionen versehen wurde. Die Vorwürfe, daß dort allzu leicht und allzu bereitwillig der Termin für die nächste Abtreibungsklinik vorgemerkt wird, wurden bisher nicht entkräftet.

„Die Ausgaben für die materielle Famüienförderung sind von 1970 bis 1978 von 12 auf 30 Milliarden gestiegen ...“ Wer hat das gezahlt? Der Bund etwa? Finanzminister, Familienstaatssekretärin, aber auch die Sprecher der Wirtschaft haben offenbar längst vergessen, was in den frühen fünfziger Jahren bei der Konstituierung des Familienlastenausgleichs gesprochen und beschlossen worden ist: Die früher sechs, jetzt nur noch fünf Prozent von der Gehaltssumme, die in den Fonds fließen, sind ein Lohnbestandteil jedes einzelnen Arbeitnehmers. Uber den Fonds sollte ausgeglichen werden, was der Familienvater dem Alleinstehenden gegenüber an Mehrbelastungen zu tragen hat.

Daß der Arbeitgeber die sechs oder fünf Prozent leisten muß wie Uberstunden- oder Sozialversiche-

rungszuschläge, berechtigt ihn ebensowenig dazu, den Familienlastenausgleich als sein Verdienst zu preisen, wie den Finanzminister, ihn für andere Zwecke umzufunktionieren.

Etwa für die Sanierung defizitärer Verlage oder Verkehrsmittel. Freie Schulbücher, Schülerfreifahrt sind im Prinzip sehr zu begrüßende Errungenschaften. Wenn aber dann die Tarife für Schülerfreifahrten überdimensioniert angehoben werden, weil die Mittel aus dem Familienlastenausgleich genommen werden; wenn die Ausgabe der Schulbücher nicht die früher von den Schülerladen her gewohnte sparsame Vorgangsweise vorschreibt - dann kommt es zur oben

erwähnten (bewußt überpointierten) Schlußfolgerung.

Und dann die Umwandlung der Steuerbegünstigung in eine direkte Beihüfe: Daß auch jenen - und gerade ihnen - geholfen werden mußte, für die die Steuerermäßigung nichts brachte, steht außer Diskussion. Aber Beihilfen, Steuersystem und Sachleistungen stellen Instrumente für mehr soziale Gerechtigkeit dar, die nicht beliebig auswechselbar sind. Erst ihr ausgewogenes Zusammenwirken dient dem Ziel einer größeren Gerechtigkeit.

Steuergerechtigkeit aber bedeutet, daß jenem durch Steuermäßigungen geholfen werden soll, der durch anderwärtige Belastungen gegenüber seinen Mitmenschen mit gleich hohem Einkommen im Nachteil ist. Also etwa dem Familienvater gegenüber dem Alleinstehenden. Selbst die Bundesregierung hat festgestellt, daß die Armutsgrenze heute bereits bei einem Großteil der Famüien mit drei und mehr Kindern unterschritten wird, wo eben das Familieneinkommen-oft genug vom Vater allein eingebracht - durch fünf geteilt weniger ergibt, als das Gesetz dem einzelnen als steuerfreies Existenzminimum zuerkennt.

Familienpolitik kann sich nicht auf Beihüfen, auch nicht auf Steuermaßnahmen beschränken. Familienförderung ist auch eine Frage der Atmosphäre, die die Gesellschaft der Famüie bereitet. Niemand denkt daran, den unehelichen Kindern jene Verbesserungen wieder nehmen zu wollen, die ihnen die FamUienrechtsreform zuerkannt hat - sie können nichts dafür. Aber im Steuer-, Famüien- und Sozialrecht Anreize zu setzen, sich scheiden zu lassen oder gar nicht erst eine Ehe einzugehen, weü man dann „besser wegkommt“, muß sich letzten Endes auf die Familie negativ auswirken. Und solange kann der Regierung das Prädikat „famüienfreundlich“ - und damit zukunftsorientiert - nicht verliehen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung